Das Kino der Hoffnungslosigkeit

Wojciech Kuczok: Höllisches Kino. Über Pasolini und andere. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 136 Seiten. 9 €. ISB-N: 978-3-518-12542-7

von Christophe Braun



Wojciech Kuczoks (*1972) Roman Gnój (dt. Dreckskerl) erregte 2003 großes Aufsehen in Polen und erhielt ein Jahr später die Nike, die wichtigste literarische Auszeichnung des Landes. Die Geschichte einer unglücklichen Jugend in den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, das düstere Portrait einer Familie, die unter der Tyrannei des gewalttätigen Vaters leidet, war ein großer Erfolg in Polen. Die Übersetzung erschien 2007 bei Suhrkamp und fand auch in Deutschland wohlwollende Beachtung.

Doch Kuczoks Interessen erstrecken sich weit über die Romanschriftstellerei hinaus: Bereits in den Neunzigern hat sich der junge Journalist einen Namen als Filmkritiker gemacht. Daneben verfasste er selbst das Drehbuch zur preisgekrönten Verfilmung von Gnój – PRĘGI (2004) von Magdalena Piekorz. Inzwischen promoviert der Filmwissenschaftler an der Jagiellonen-Universität in Krakau.

Kurzum, es war für den Suhrkamp-Verlag, wollte er das gesamte Schaffen seines neuerworbenen Autors berücksichtigten, eigentlich eine Notwendigkeit, einen Band Essays zum Film ins Programm zu nehmen. Das ist nun geschehen, und das Ergebnis, Höllisches Kino, ist verwirrend.

Zunächst der Untertitel: Über Pasolini und andere. Dabei handelt es sich schlicht um einen Verkaufstrick: Vom großen, bösen, letzten Film des italienischen Filmemachers, von SALÒ, ist auf insgesamt vier von 136 Seiten die Rede. Davon abgesehen sucht man vergebens nach Verweisen auf Pasolini. Man kann's dem Verlag insofern nachsehen, als auch von den anderen Regisseuren, die hierzulande bekannt sind – Antonioni, Bergman, Greenaway, Haneke, Noé, von Trier, Weir – sehr wenig und meist nur in Halbsätzen gesprochen wird. Kuczok konzentriert sich auf das polnische Kino, und zu meiner Schande muss ich gestehen, keinen einzigen der von ihm besprochenen Filme gesehen zu haben. Die da wären, insbesondere: DAS LEBEN ALS EINE GESCHLECHTLICH ÜBERTRAGENE TÖDLICHE KRANKHEIT (2000) und SPIRALE (1978) von Krzysztof Zanussi. Hätte Suhrkamp das schmale Bändchen mit dem Untertitel „Über Zanussi und andere polnische Independent -Filmer“ versehen, es hätte sich zweifellos schlechter verkauft, aber wenigstens hätten Inhalt und Verpackung zusammengepasst.

Kuczok ging beim Schreiben anscheinend davon aus, dass die Filme nicht allein mir, sondern seiner gesamten Leserschaft gänzlich unbekannt seien, denn er liefert zu praktisch allen besprochenen Werken umständliche (und mitunter verwirrende) Inhaltsangaben. Dass er sich hierbei, wie überhaupt im ganzen Buch, einer teils arg gekünstelten Sprache bedient, trägt nicht gerade zum Lesevergnügen bei. Zum Beispiel seine gelegentliche Schwäche, Wichtiges großzuschreiben, etwa so:

Hiernonymus Bosch hat damit nicht die Hölle gezeigt, er hat sie geschaffen, eine HÖLLE (mit Großbuchstaben geschrieben im Namen der KUNST, und kursiv), denn wenn wir ästhetischen Genuss schöpfen angesichts dieser Wahnsinnsvision, dann sind wir eher im HIMMEL ...“ (S. 9)

Aus dem Satz wird deutlich, dass man von dem Autor keine kritische Würdigung der besprochenen Filme erwarten darf. Nichts liegt ihm ferner als Kritik. Stattdessen taucht er ein in den Kosmos seines „höllischen Kinos“ – die besprochenen Filme handeln von Tod, Krankheit, Verzweiflung, alles unter dem Paradigma der Ausweglosigkeit – und versucht, die psychische Entwicklung der Protagonisten mittels seiner Prosa nachzuvollziehen. Das funktioniert mal besser, mal schlechter. Kuczoks Augenmerk liegt fast ausschließlich auf den Protagonisten. Selten geht er darauf ein, wie – also, mit welchen filmischen Mitteln – sich ein Regisseur seinem Thema nähert.

Verwirrend ist weiterhin seine Verwendung des Begriffs „Hölle“, den er auf den ersten Seiten erläutert: „Um einen Film über die Hölle zu machen – mehr noch, einen höllischen Film -, muss man sich an die Worte Pasolinis kurz vor seinem Tode halten und sie so konsequent in die Tat umsetzen, wie er selbst es in Salò getan hat: ‚Was die Künstler machen müssen – und die Kritiker verteidigen und alle Demokraten in einem entschlossenen Kampf von unten unterstützen müssen -, sind Werke, die so extremistisch sind, dass sie selbst noch für die aufgeschlossensten Ansichten der neuen Macht(-haber) inakzeptabel sind.’“

Aber im weiteren Verlauf verliert er diese Orientierung aus den Augen. Mögen Filme wie SALÒ und IRREVERSIBLE noch dem Konzept des Autors entsprechen, so trifft das auf DAS LEBEN ALS EINE GESCHLECHTLICH ÜBERTRAGENE TÖDLICHE KRANKHEIT scheinbar nicht zu, handelt der Film doch von einem Arzt, der von seinem bevorstehenden Tod erfährt und sich schließlich seinem Schicksal fügt. Inwiefern ist das höllisch im Sinne der oben genannten Definition? Während Zanussi sich seinem Thema behutsam nähert, die Psychologie seines Protagonisten in den Mittelpunkt stellt, bleiben die vermeintlichen Protagonisten bei Pasolini stets austauschbare Schablonen, Figuren in einer Versuchsanordnung, hinter der sich eine beißende Kritik am Konsum verbirgt. Die Filme könnten unterschiedlicher nicht sein, es verbindet sie einzig die zentrale Stellung des Todes und – was für Kuczok anscheinend wichtig ist – ihr zu Unrecht schlechter Ruf. Wie schreibt er in der Vorrede:

Wenn ich also, statt von einem mutigen Film, vom Werk eines kranken Geistes, einem abscheulichen und abartigen Film höre und gleichzeitig weiß, dahinter steht ein Regisseur von anerkannter und bewährter künstlerischer Potenz, ergreift mich ein wahrhaft höllischer Wissensdrang, und ich eile im so schneller ins Kino, je zahlreicher die perplexe Herde der Kinomanen in die entgegengesetzte Richtung strömt.

Ist es das, was er mit „höllisch“ meint: Verrufen, gefürchtet, verboten etc.? Diese Botschaft wäre natürlich ein kleines bisschen billig.

Die letzten beiden Kapitel fallen völlig aus dem Rahmen, weil Kuczok darin sein eigenes Schreiben, seine eigenen Erfahrungen mit dem Filmemachen thematisiert. Das letzte Kapitel hat Tagebuchcharakter und bestätigt den Eindruck, es hier mit einer Sammlung teils gelungener, teils sehr unausgegorener Essays zu tun zu haben, die in das titelgebende Korsett gezwängt wurden.

Man könnte fast sagen, Kuczoks Essays handeln weniger von den Filmen selbst, als dass die – untereinander völlig verschiedenen - Filme Ausgangspunkte sind für die gedankliche Auseinandersetzung des Autors mit dem Tod. Am Ende weiß man ein bisschen mehr über polnisches Independent-Kino und viel mehr über die Ansichten des Autors über Tod, Krankheit, Verzweiflung etc. Nicht uninteressant, aber angesichts der Erwartungen, die man hegte, als man das Buch aufschlug, doch ziemlich unbefriedigend.

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