Interessieren Sie sich zufällig für Film? - Jim Jarmuschs "The Limits of Control"

von Ciprian David

The Limits of Control
USA 2009. Buch, Regie: Jim Jarmusch. Kamera: Christopher Doyle. Musik: Boris. Produktion: Stacey Smith, Gretchen McGowan.
Mit: Isaach De Bankolé (The Lone Man), Paz De La Huerta (Die Nackte), Tilda Swinton (Die Blonde), Youki Kudoh (Molekül), John Hurt (Gitarre), Gael García Bernal (Mexikaner), Bill Murray (Amerikaner).
Verleih: Tobis.
Länge: 117 Minuten.
Start: 28.05.2009

Jarmuschs Fans dürften sehr eifrig auf seinem neuen Film gewartet haben, denn jedes angebrochene thematische Kapitel seines Werkes schien abgeschlossen zu sein. Und es wird bestätigt: The Limits of Control verlässt die Welt der Charaktere und richtet seinen Blick auf die Identität des Zuschauers, wie sie sich aus dessen Beziehung zum Film herauskristallisiert.
So entfaltet sich eine Welt der förmlich akkurat angeordneten filmischen Symbole in einer Serie von Einstellungen, die die Geschicklichkeit des als Kameramann von Wong Kar Wai bekannten Christopher Doyle noch einmal bestätigen. Während die formelle Struktur des Films ein Jarmusch-Klassiker mit drei Akten zwischen Exposition und Abschluss bleibt, entsteht ein großes Fragezeichen bezüglich des Inhalts, das leider nicht eine für alle Rezipienten befriedigende Antwort findet.

Der Film folgt dem Lone Man (Isaach de Bankolé) bei einem Auftrag, über den der Zuschauer nicht aufgeklärt wird. Die Reise zur Erfüllung des Auftrags entfaltet sich zu einer ästhetischen Odyssee durch Spanien, geprägt von Begegnungen mit einer breiten Palette von bohème-glamourösen Kontaktpersonen, die den Protagonisten Schritt für Schritt zu seinem Ziel weiterführen. Die mit dem Auftrag erteilten Anweisungen werden in verschiedenen Formen und Variationen wiederholt, so dass der Zuschauer auf den ersten Blick eine rhythmische Aneinanderreihung von stilisierten Revue-Auftritten wahrnimmt, die vage an Lynch erinnern und zu einem unspektakulären und unlogischen Mord führen. Die ostentative Abwesenheit einer sinnesstiftenden Erklärung der Handlung macht deutlich, dass im Mittelpunkt dieses Filmes nicht die konventionell rezipierte Erzählungsebene steht. Vielmehr muss man hinter der metaphorischen Bedeutung des Auftrags, der Reise zu dessen Erfüllung, der verschiedenen auftauchenden Charaktere nachgehen.

Schon der Filmanfang macht deutlich, dass es sich um eine andere Art Film im Vergleich zu seinen Vorgängern handelt. Der Filmanfang führt in einen Flughafen, wo The Lone Man, der, wie der Zuschauer, über den ganzen Film die Rolle eines Betrachters einnimmt, auf seinem Auftraggeber trifft. Dieser übernimmt eine Doppelrolle (Auftraggeber und Filmvorführer) und kündigt den Inhalt des Films an, durch kryptische Empfehlungen zur Erfüllung des Auftrags: Vorstellungskraft soll angewandt werden, weil die Welt subjektiv ist; die Wirklichkeit existiert nicht (sondern Film!); man soll stets konzentriert sein, und sich von Glanz und Glamour nicht ablenken lassen. Und vor allem, im Gegensatz zum von Mainstream-Filmen erzeugtem Eindruck, stehen seine Aussagen: „Das Leben ist nichts wert“ und „Wer denkt, er sei besser als die anderen, soll sich zum Friedhof begeben […] Das Leben ist nur eine Handvoll Erde.“ Der Auftraggeber spricht eine andere Sprache, und die entstandene Situation verdeutlicht: Der Zuschauer wird hier mit der Filmsprache konfrontiert sein, nichts soll in der Übersetzung verloren gehen oder dazu gedichtet werden.

Von nun an übernimmt The Lone Man die Rolle des Trunkenen Schiffes aus dem zu Anfang des Films zitierten gleichnamigen Gedicht von Rimbaud, und er bietet eine filmische Version des Gedichts. Während es sich bei Rimbaud um die Sprache und die Wahrnehmung der Welt handelt, wird der Protagonist in The Limits of Control durch die Fluggesellschaft Air Lumière (phonetisch ähnlich zu „ère Lumière“, also „Ära Lumière“, nach den Namen der Erfinder der Kamera) in einer Auseinandersetzung mit Film, Filmsprache und Wahrnehmung von Film eingeführt. So verläuft die initiatorische Auftragsreise des Lone Man über drei Akte auf zwei Ebenen: Die der Wahrnehmung und die der Sprache, die sich einander ergänzen und erklären, immer eine Konnotation über den Film als Medium beibehaltend. Die Reise führt ihn vom urbanen Milieu bis in die unbewohnte Natur Spaniens, von der naturfremden Ära des Kinos bis zur vergessen Zeit der Huicholen, von Bildern zu Charakteren, von Symbolen und Abbildungen zu Orten und Geschehnissen, von archaischen Weisheiten zur Realität, und seine Wahrnehmung ändert sich progressiv und entfernt sich von den von der modernen Gesellschaft eingeprägten und kontrollierten Mechanismen. Die einzigen Konstanten auf der Inhaltsebene sind die Rituale, die er durchführt: Die Tai Chi-Übungen und die paarweise bestellten Espressos.

Was auf dem ersten Blick inhaltlich an dem Film nicht reizt, spielt sich auf der formellen Ebene ab. Jedes Ereignis des Films wird durch eine Zusammenstellung von Symbolen angekündigt: Die Zugfahrten trennen die Akte des Films, die Zettel mit den kodierten Informationen führen den Lone Man weiter auf seiner Reise, die Gemälde im ersten Teil kündigen als wunderschöne Metapher der Wahrnehmung (als Zugang zur Realität über ein Medium) und der Entstehung des Films (als Streben der abbildenden Künste nach Realismus) die Kontaktpersonen an, der durchsichtige Regenmantel von Paz de la Huerta kündigt den Schirm Tilda Swintons an.

Die Reise des Protagonisten wird von seinen Begegnungen mit den Kontaktpersonen bestimmt, denn sie, als Exponenten verschiedener Blickwinkel auf Kunst und den impliziten Zugang zur Wirklichkeit, legen den Rahmen des eigentlichen Inhalts fest: die Auseinandersetzung mit Wahrnehmung.
Einerseits sind sie für den Lone Man Wegweiser, wie der Mann mit der Violine, Metapher für die Tatsache, dass die Menschen kontrolliert werden: Jedes Holzinstrument hat ein Gedächtnis, jede Note, die darauf gespielt wurde, bleibt ewig gespeichert. Oder wie Molekül (Youki Kudoh), die eine weitere Stufe der Wahrnehmung ankündigt, durch die Orientierung an Materie: Von nun an sind Gegenstände (Lampe, Postkarte, Blumen, Croissants) der Zugang des Protagonisten zum Wissen. Er erkundet seine Umwelt, bevor er die nächste Kontaktperson treffen darf.
Andererseits berichten sie dem Zuschauer über die Entwicklung der Wahrnehmung des Protagonisten. Die Blonde (Tilda Swinton) ist der Höhepunkt des ersten Akts – die Begegnung mit dem Film als Ikone. Sie erzählt über ihre Vorliebe für gute Filme, für die alten Filme, in denen Menschen echt aussehen, für Filme, in denen die Protagonisten einfach sitzen, ohne zu sprechen und den Dialog somit in der Interpretation der Zuschauer erstehen lassen. Sie erklärt die Entstehung der Spannung durch Variationen der Form, wenn sie beim Vertauschen der Espressotassen Suspicion, die interaktive Showserie von Hitchcock, erwähnt. Sie kündigt ihren Tod an, zugunsten des Erfolgs des Auftrags, und zeigt in einem wunderschönen Bild am Ende ihres Auftritts, wie hilflos sie gegen die Kontrolle des Mediums ist, nur mit einem transparenten Regenschirm gegen die Sonne. Die ikonische Diva ist die erste, die dem Protagonisten etwas gibt: „Diamonds are a girl’s best friends“ sagt sie, und gibt ihm die kleinen leuchtenden Steine, die er der nackten Frau geben muss, um weiterzukommen.

The Limits of Control ist ein Film über die Liebe für qualitatives Kino, der in einer wundersam spielerisch-selbstreflexiven Weise zeigt, wie weit man sich von den Gesellschaftszwängen befreien muss, um pure Filmsprache zum Ausdruck bringen zu können. Nicht nur die leicht erkennbare Mischung von Sex und Kriminalität (Paz de la Huerta) muss in den Hintergrund treten, sondern auch die ikonischen Figuren müssen verschwinden, weil sie die Fundamente der Wahrnehmung geprägt und sich vom Natürlichem abgewendet haben, weil sie durch Etablierung und Aufbau auf einer Reihe von Klischees dazu beigetragen haben, dass die Filmindustrie eine artifizielle, von stereotypen geprägten Filmsprache und eine dementsprechende Wahrnehmung erzeugt hat. Diese personifizierte Industrie (Bill Murray), die Verachtung für jeden Kunstsprossen zeigt, muss im Finale vernichtet werden. Erst dann ist das Blatt vor dem Zuschauer leer, befreit von jeglichem Kontrollmuster, erst dann kann die Welt unmittelbar angegangen werden.