Verlängerter Las-Vegas-Trip – “Fear and Loathing in Las Vegas” als Director’s Cut

von Harald Mühlbeyer

“Fear and Loathing in Las Vegas” – Director’s Cut
USA 1998. Regie: Terry Gilliam. Darsteller: Johnny Depp (Raoul Duke), Benicio Del Toro (Dr. Gonzo).
Länge: 113 Minuten
Extras: Outtakes, B-Roll, Interviews, Produktionsnotizen.
VÖ: 07.08.2009
Anbieter: Universum Film GmbH


Terry Gilliams „Fear and Loathing in Las Vegas” liegt nun in der Director’s Cut-Verion auf DVD vor. Nun ist es so, dass die um gute zwei Minuten kürzere Kinofassung, die bisher in Deutschland auf DVD erhältlich war, ebenso Gilliams Schnittfassung war. Für die amerikanische Criterion-Collection-Ausgabe aber hatte er vier Jahre nach Kinostart zwei Szenen wieder in den Film montiert, die im visuellen Rausch, in der Aussage des Films (so es eine gibt) freilich keine wirkliche Änderung ausmachten.

Insbesondere eine Szene aber gibt der Struktur des Filmes – also dem Niedergang von Raoul Duke in der zweiten Filmhälfte – mehr Griffigkeit; sie war in kurzen Schnipsel schon im Filmtrailer enthalten gewesen.
Nachdem Duke mit seinem Anwalt Dr. Gonzo in Las Vegas die Sau rausgelassen haben, wie es nur geht, ging er zum Exzess am eigenen Körper, an der eigenen Seele über; nach der extrovertierten die introvertierte Zerstörungsorgie sozusagen, mit der Droge Adrenochrom („Nach dem Zeug kommt dir pures Mescalin wie Malzbier vor.“) Die Lichter gehen ihm aus. Er erwacht in seinem vollkommen verwüsteten Hotelzimmer und versucht, das Vorgefallene zu rekonstruieren – und hier kommen – neben der Einschüchterung eines Zimmermädchens und dem Ankotzen eines Highclass-Ehepaares während der Autofahrt – in der längeren Filmfassung weitere üble Erinnerungen auf, durch die Play-Taste des Kassettenrecorders, der als Chronist des Vergessenen dient.

Im Bazooko-Zirkus will Duke einen Affen kaufen, der dann aber verschwindet – er habe dem Barkeeper den Kopf abgebissen, sei dann verhaftet worden; und auf einem Supermarktparkplatz sitzen Duke und Gonzo auf dem Autodach und zerhauen Kokosnüsse, zur Empörung der Passanten: so kann man nicht mit einem Auto umgehen!

Das war’s schon. Die beiden Ereignisse sind gegeneinander geschnitten, wodurch sie im Strudel der Bilder noch weiter untergehen als es im verwirrend-unübersichtlichen Trip des Films ohnehin schon der Fall ist. Doch sie vertiefen die Kluft zwischen Duke/Gonzo und der Gesellschaft, in der sie sich finden: und das ist eines der Hauptthemen des Films.

Gilliam schuf mit „Fear and Loathing“ nicht einfach nur ein Drogen-Kultfilm. Vielmehr beschreibt er ziemlich genau die Las-Vegas-Reise, die Hunter S. Thompson im April 1971 mit dem Anwalt Oscar Zeta Acosta mehr oder weniger in dieser oder anderer Weise unternommen hat; angeblich. Ein Drogentrip in die Glitzermetropole Las Vegas, dorthin, wo der Amerikanische Traum am Spieltisch Wirklichkeit werden soll – und sich als Alptraum entpuppt. In einer exzessiven Stadt treiben Thompson (alias Raoul Duke) und sein Anwalt ihr Unwesen; in die Stadt, deren behaupteten Träume nur leere bunte Seifenblasen sind, platzen Duke und Gonzo mitten hinein und gebärden sich als Alptraum im Alptraum. Und entlarven auf diese Weise den Mythos vom Amerikanischen Traum als hohle Fassade: weil Duke und Gonzo sich als das verzerrte Spiegelbild einer ohnehin verzerrten Wirklichkeit gerieren.

Und gerade indem Gilliam diese beiden Extremisten in die extreme Realitätssimulation Las Vegas setzt und dabei gerade NICHT in irgendeiner Weise die Wirklichkeit von 1997/98 hineinspielen lässt, als er ihn drehte, wird sein Film wirklich relevant. Auf eine archetypische Weise: Gilliam inszeniert Duke als Dante, Gonzo als Vergil, der ihn in die tiefsten Kreise der Hölle führt; Duke als Faust, Gonzo als tricksterhaften Mephisto, der ihn zu immer schlimmeren Hemmungslosigkeiten verführt; Duke als Alice, Gonzo als das weiße Kaninchen, das durch ein alptraumhaftes Wunderland führt.
Duke und Gonzo setzen alles daran, die Gesellschaft, in der sie sich befinden, von innen heraus anzufressen; und verderben sich dabei gehörig den Magen, auch, weil sie längst selbst Teil dieser Gesellschaft geworden sind. Die Subkultur der 60er ist zu einem Teil von Amerika geworden, noch immer erfolgen kleinere Scharmützel mit Rednecks, doch die Welle, auf der die Hippies in den 60ern geritten sind, ist gebrochen und zurückgerollt. Sie hat nur Treibgut hinterlassen. Das, was nur wenige Jahre zuvor als wahr und wichtig erschienen ist, ist nun vom schlechten, falschen Leben übermannt worden.

Ein Film über verlorene Träume also, die nur noch in der Illusion durch Drogen, als irre, wirre Erinnerung, wiederbelebt werden können.

Und der dabei irre und witzig und irrwitzig ist.

Wer die alte DVD hat, braucht die Neue kaum – auch wenn hier im Bonusmaterial noch ein paar Outtakes enthalten sind, die wirklich witzig sind (und die Gilliam dennoch zurecht herausgeschnitten hat, weil sie den Stromschnellenfluss des Films verlangsamt hätten); plus dem Schwarzweiß-Kurzfilm „A Dress Pattern“, den Gilliam dem Film vorschalten wollte, als er sich mit der Writer’s Guild of America wegen deren Weigerung überworfen hatte, ihn und Tony Grisoni als Autoren zu würdigen.
Wer sich aber wirklich mit „Fear and Loathing in Las Vegas“ auseinandersetzen will, braucht die hervorragende Criterion-Edition. Auf zwei Disks gibt es neben der Director’s Cut-Fassung drei Audiokommentare (von Gilliam, von Johnny Depp und Benicio del Toro sowie von einem grunzenden, stöhnenden, schreienden Hunter S. Thompson) sowie einige Dokumentationen –unter anderem über den wirklichen Thompson/Acosta-Trip nach Las Vegas und eine BBC-Doku von 1978, in der Thompson nach Hollywood reist. Das ist der Stoff, den du wirklich brauchst.


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