exground 09 - DAS JÜNGSTE GEWITTER: Die irre Schönheit der Trostlosigkeit

Dieses Jahr ist die Retrospektive des exground Filmfests dem schwedischen Regisseur Roy Andersson gewidmet. Mit DAS JÜNGSTE GEWITTER, aber auch mit SONGS FROM THE SECOND FLOOR ist er international bekannt geworden als ein außergewöhnlicher Filmemacher. Auch für seinen Debütfilm EINE SCHWEDISCHE LIEBESGESCHICHTE wurde er gefeiert und seine außerordentlichen, unfassbar präzisen Werbefilme wurden nicht zuletzt von Ingmar Bergmann hoch gelobt.

Jede Szene besteht da aus genau einer Kameraeinstellungen, meist ganz ohne Kamerabewegungen oder Schwenks. In seinem neusten Werk - DAS JÜNGSTE GEWITTER von 2007 - sehen wir lauter Menschen, die unglücklich sind. Oft weiß man gar nicht genau, warum eigentlich - aber die Welt, in der sie leben ist so blass und eigentümlich, dass man sie sofort zu verstehen glaubt.

Viel Seltsames passiert hier: Ein Mann zieht seinen Hund hinter sich her, der sich in der Leine ganz heftig verwickelt hat. Ein Mädchen trifft einen Rockstar und weiß dann nicht, was sie sagen soll. Ein Friseur rächt sich an einem schlechtgelaunten Kunden, indem er ihm eine "Straße" quer über den Kopf rasiert. Manche dieser Figuren tauchen wieder auf in anderen Szenen, meist funktioniert die einzelne Szene aber wie ein in sich abgeschlossener Kurzfilm, der vor allem von seiner seltsamen Atmosphäre, von absurden Alltagsmomenten und kleinen Irritationen lebt.

Eine Szene schichtet sich auf die andere, ohne dass eine klare Handlungslinie erkennbar wäre, doch der Film vermag die Spannung erstaunlich lange zu halten. Es ergibt sich kein wirklicher Handlungsbogen, stattdessen ziehen sich einige Themen geradezu musikalisch durch den Film, es ergibt sich so etwas wie eine Entwicklung, die die Episoden in eine größere Struktur eingliedert: Die Klage über das Elend (der menschlichen Existenz), das Proben einer Gruppe von Musikanten, das Heraufziehen, Ausbrechen und Nachlassen eines Gewitters - all das eingefangen in atemberaubend schönen Bildern.

Ganz am Anfang und nach dem Gewitter spielt außerdem jeweils ein Traum eine Rolle. Da erzählt jemand von einem Alptraum und später, als das Gewitter und einige der trübsten und trostlosesten Momente überstanden sind, noch mal jemand von einem Traum, der sehr schön war; nämlich das junge Mädchen, das hofft, den Rockstar wiederzutreffen - vergebens. Sie hatte einen Traum vom Leben mit dem Star in einem Haus, das wie auf Schienen durch die Welt fährt, bejubelt von den Fans.

Vieles in der Ästhetik des Films spricht dafür, dass seine Szenen in einem Zwischenreich zwischen Wachen und Träumen stattfindet. Und doch wirken die Figuren in ihrer Hässlichkeit, Blassheit, Einsamkeit und ihrem Elend doch seltsam geborgen und eingehegt in die skurrile Schönheit der Welt.

Beim exground war Anderssons bisheriges Gesamtwerk zu betrachten und zu jedem seiner Filme fand ein Publikumsgespräch statt mir Anderssons langjährigem Mitarbeiter Johan Carlsson, der in Wiesbaden auch seine noch unfertige Dokumentation TOMORROW'S ANOTHER DAY über die Dreharbeiten zu DAS JÜNGSTE GEWITTER vorstellte. In diesen Gesprächen bestätigt Carlsson vieles, was man vielleicht schon vermuten konnte, gibt aber durch zahlreiche Anekdoten auch Einblicke in die Arbeitsprozesse: Andersson arbeitet detailversessen und perfektionistisch über teilweise extrem lange Zeiten (d.h. mehrere Wochen reiner Drehzeit für nur wenige Sekunden Film) an den einzelnen Einstellungen, dabei wird das meiste in seinem privaten "Studio 24" fast ausschließlich mit Laiendarstellern gedreht. Für das Haus, das auf Schienen durch die Welt zu fahren scheint, wurde eine Miniaturwelt gebaut, die vor dem Fenster vorbeigezogen wurde - eine Technik, die Andersson mehrfach verwendet.

Anderssons Werk ist ein wenig sperrig und möglicherweise gerade darum so eindrucksvoll. Seine Filme lassen uns friedlich, träumend, vielleicht etwas melancholisch zurück, auch nachdenklich über die (besonders) rätselhafte letzte Einstellung. Dem exground ist für die Wahl von Andersson zum Gegenstand ihrer Retrospektive jedenfalls sehr zu danken.

Martin Urschel