exground 09: Haie der Großstadt: THE GOOD AMERICAN

Ja, was macht den Amerikaner eigentlich zum "Guten" Amerikaner? Der gute Amerikaner ist der am weitesten verbreiteten Vorstellung vermutlich in erster Linie ein guter Geschäftsmann. Er wird seine kreative Kapitalaxt wohl in irgendeine Geschäftsnische (welche, ist erstmal egal) geschlagen und sich dort gewinnbringend ausgebreitet haben. Legal, falls möglich. Der gute Amerikaner pflegt einen vorbildlichen Lebensstil, spendet überschüssiges Geld an wohltätige Zwecke, ist schön, gesund und lebt in einer stabilen Beziehung.


Auf Tom Weise treffen manche dieser Dinge zu, andere nicht. Erstmal ist Tom Weise gar kein Amerikaner, sondern Deutscher. Mitte der 90er Jahre ging er nach New York, wo er auf Grund seiner HIV-Infektion nur illegal bleiben konnte. Der Status als "illegal alien" hatte jedoch nur bedingt Einfluss auf seine Karriere. Weise verdiente seine Brötchen zunächst als männliche Prostituierte mit begrenztem Erfolg, bis er auf die Idee kam, einen eher administrativen Posten in diesem lukrativen Geschäftsbereich einzunehmen. Die Geburtsstunde der Internetseite www.rentboy.com und des "Hustlaballs", einem spektakulären Party-Event der Schwulenszene (und der Escort/Callboy-Szene im Besonderen), das diesseits und jenseits des Atlantiks stattfindet. Das hat funktioniert, Tom Weise ist ein wohlhabender Mann geworden.

Die Dokumentation von Jochen Hick zeigt einen Heimkehrer: Weise will Amerika verlassen und zurück nach Berlin. Warum? Der Stress. Sein Status als illegaler Einwanderer macht Weise spürbar zu schaffen, mit seinem Partner Keith will er in Berlin zur Ruhe kommen. Mehr oder weniger. Die Schwulenszene in der Form, wie Weise sie organisiert, ist für Außenstehende nicht ganz leicht zu verstehen. Was sofort auffällt, ist das extreme Körperbewusstsein. Wessen Haut nicht zart wie Seide, wessen Gesicht nicht perfekt geschnitten, wessen Jugendlichkeit bereits im Niedergang begriffen ist, der muss wenigstens seinen Körper in den Perfektionsbereich bearbeitet haben. Muskulös, fettfrei, durchtrainiert. Das ist das Klischee, das man kennt, die Schwulenszene als Extremform des Körperkults. Das hinter jedem Körper auch ein Ego steckt, das womöglich nur aus Verletzbarkeit so viel Wert auf eine unerschütterliche Fassade legt, kann man ahnen.

THE GOOD AMERICAN schafft es nicht ganz, die innere und äußere Beherrschtheit von Tom Weise zu durchleuchten, seine Biografie bleibt opak und das Ausmaß seiner Selbstinszenierung unklar. Der Mann hat verletzliche, zarte Seiten, das wird deutlich. Aber man bekommt sie nie zu Gesicht, kann sie nur erahnen. Die Dokumentation ist dann am spannendsten, wenn Weise, dem Kontrollfreak, eben jene Kontrolle entgleitet – was nie vollständig geschieht. Neben Privatleben und Beruf muss Weise auch unterschiedliche politische Klimata jonglieren. Was in New York geht, geht in Las Vegas keinesfalls. Ausgepackte Schwänze auf der Bühne des "Hustlaballs" sind in Nevada tabu. Am Event teilnehmende Natursekt-Fetischisten kommen trotzdem auf ihre Kosten, wenn der warme Urinstrahl aus dem intime Details verbergenden Hosenschlitz heraus auf nackte Haut prasselt. Das Geschlecht muss eingepackt bleiben, alles andere ist egal.

In Berlin wird dann nicht mehr mit Nacktheit gegeizt, die Körperlichkeit wird fast erdrückend. Tom Weise, der viel Leid im Leben erfahren hat, den Kontakt zu seinen Eltern verlor und zeitweise auf der Straße lebte, scheint aufzugehen in dieser Welt der Körper, der Lust, des Sex, der Haut, des Schwitzens, der Extase. Man versteht es, irgendwie. In dieser Welt hat Weise die Kontrolle. Man wünscht ihm, dass er die Kontrolle über seinen eigenen Körper noch eine Weile behält.

- Daniel Bund