DVD: „Memories of Matsuko“ - Eine kleine Heilige

„Memories of Matsuko“ / “Kiraware Matsuko no isshô”
Japan 2006. Regie: Tetsuya Nakashima


Der 20-jährige Shou Kawajiri (Eita) wollte eigentlich Musiker werden und verließ daher seine Heimat, um nach Tokyo zu ziehen. Zwei Jahre ist er nun schon dort, hat es zu nichts gebracht, seine Freundin hat ihn gerade verlassen. Shou empfindet sein Leben als sinnlos und hat keine Idee, was er weiter damit anfangen könnte. Von seinem Vater erfährt er, dass dieser eine zwei Jahre ältere Schwester namens Matsuko (Miki Nakatani) gehabt hatte, die von der Familie verstoßen worden war. Allerdings wurde sie nun in Tokyo ermordet und der Vater bittet Shou darum, ihr vermülltes Appartement aufzuräumen. Widerstrebend nimmt der junge Mann seine Aufgabe wahr. Doch während er ihre Sachen ordnet, stößt er auch auf ein paar Erinnerungsstücke und nach und nach trifft er Menschen, die seine Tante kannten. So bekommt Shou immer mehr ein Bild von ihrem Leben, den Umständen, die sie zwangen, ihre Familie zu verlassen, die verschiedenen Stationen ihres Lebens, vor allem die vielen Männer und was dazu führte, dass sie am Ende verwahrlost, fett und einsam starb.

Dies klingt nach dem Stoff für ein großes Melodram. Und genau das ist „Memories of Matsuko“ auch. Gleichzeitig handelt es aber um eine Parodie des Genres, besonders in Matsukos Art, mit ihrem mehr als tragischen Lebenslauf umzugehen. Als kleines Mädchen fühlte sie sich immer gegenüber ihrer jüngeren, kranken Schwester zurückgesetzt, die ihr Vater (Teruyuki Kagawa) ihr vorzog. Dies führte aber nicht zu Haß gegenüber der Schwester oder dem Vater. Im Gegenteil liebte sie beide über alle Maßen. Einmal stellte sie fest, dass ihr Vater über eine bestimmte Grimasse, die sie zog, lachen musste und sie endlich einmal beachtete. Fortan verzog sie ständig das Gesicht. Als sie aber älter wurde, funktionierte auch das nicht mehr. Und dann, zu ihrer Zeit als junge Lehrerin, wurde sie für einen Vorfall gekündigt, bei dem sie eigentlich nur hatte versuchen wollen, alles richtig zu machen. Aus Zorn über die fatalen Verstrickungen und die ständige Ablehnung ihres Vaters griff sie ihre kranke Schwester an. Dies führte zu ihrem Ausstoß aus ihrer Familie. Doch wie sie immer ihr Schicksal angenommen hatte und niemals mit Haß oder Bösartigkeit gegenüber den Menschen, die sie liebte, reagiert hatte, versucht sie ihren Weg weiter zu gehen.

Der Film verdeutlicht ihre Beharrlichkeit und ihre Gutmütigkeit durch eine äußerst phantasiereiche und bunte Bildgestaltung. Somit wirkt der Film, auch wegen der Ähnlichkeit zu der Protagonistin, oft wie „Die fabelhafte Welt der Amélie“, allerdings mit einem weit schwierigerem und brutalerem Lebensweg. Vielfach gibt es Musicaleinlagen oder Einfügungen von Zeichentrick. All das Bunte und Fröhliche legt Matsukos Inneres frei. Der schönste Tag ihres Lebens war ein Ausflug mit ihrem Vater in ein Einkaufszentrum. Nichts mehr wünscht sie sich, als einen Partner zu haben, was die Verstoßung ihres Vaters und die fehlende Akzeptanz ihrer Familie kompensieren würde. Das Erstaunliche ist, dass sie trotz allem Schrecklichem, das ihr wiederfährt, niemals die Hoffnung aufgibt. Obwohl auch sie schwere Schuld auf sich lädt, bleibt sie im Kern immer gut. Metapher für Matsukos Leben sind die in jeder Einstellung präsenten Blumen. Nie verliert sie ihre innere Schönheit, wie die Blumen welkt sie und zieht sich zusammen, doch beim kleinsten Lichtstrahl erblüht sie von neuem, schön und rein wie eh und je. So erlebt Matsuko das schwerste Melodram, ist der Inbegriff einer geschlagenen, aufopfernden Frau und nimmt alles als Märtyrerin und Heilige. Ihr letzter Liebhaber nennt sie später sogar seinen Gott, da sie ihn, der eigentlich schon als Schüler für den Beginn ihres Unglücks gesorgt hatte, dennoch über alles liebte.

Der Neffe Shou erfährt dies alles durch Erzählungen und gewinnt so langsam eine Vorstellung von Matsuko. Dabei stellt er fest, dass sie viel Ähnlichkeit mit ihm hatte und ihr Umgang mit ihrem Schicksal lässt ihn für sein eigenes Leben neuen Mut schöpfen. Denn gerade in diesem von allen als wertlos angesehenem Leben seiner Tante verbirgt sich eine liebenswerte Person, ein Vorbild, ja sogar eine kleine Heilige. Dadurch, dass Shou für sich Matsukos wahre Persönlichkeit offenlegt und sie mag, wird ihr nach dem Tod von diesem jungen Spross ihrer Familie die Absolution erteilt, die sie sich immer wünschte. Verbildlicht wird diese Verbindung der beiden dadurch, dass sie sich am Schluss treffen. Shou begleitet seine Tante zum Flußufer, wo sie ermordet wird, und er als einziger kennt ihren Mörder. Der Fluss, auf den sie in ihren letzten Lebensjahren immer weinend starrte, der dem ihres Heimatortes so sehr glich, ist gleichsam Bild für ihre Sehnsucht nach ihrer Familie und für den Strom des Lebens mit all den Zufällen und Ereignissen, die den Verlauf prägen. Matsuko konnte im Leben kein Glück finden, doch hat sie das nie verbittert, sie hat immer versucht, allem und allen mit Liebe und Hoffnung zu begegnen.

Für das Erzählen einer derartigen Geschichte bedarf es natürlich einer sehr wandlungsfähigen und charismatischen Hauptdarstellerin. Miki Nakatani hat zurecht viele Preise für ihre Darstellung erhalten. Ihre schöne Gestalt strahlt über den gesamten Film und es gelingt ihr Matsuko in allen Lebenslagen und -altern glaubwürdig darzustellen.

„Memories of Matsuko“ ist ein durchweg hervorragender und empfehlenswerter Film, der leider hierzulande wenig bekannt ist, obwohl er großes Potential auch als Publikumsliebling hätte. Besonders bemerkenswert ist die extreme Buntheit und Lebendigkeit der Inszenierung, die aber trotzdem niemals Matsukos Geschichte ins Lächerliche oder Absurde zieht, ihrer Heldin zollt die Erzählung stets den gebührenden Respekt. Die DVD-Veröffentlichung bietet nun an, den Film zu entdecken. Zudem befinden sich auf der DVD ein sehr ausführliches Making Of sowie tiefgehende Interviews mit allen Hauptdarstellern, ein Musikvideo, entfallene Szenen und zwei kurze, unterhaltsame Features zu einer Pornodarstellerin aus dem Film und zu witzigen Tätowierungen einer Nebenrolle.

Elisabeth Maurer


„Memories of Matsuko“ / “Kiraware Matsuko no isshô”

Regie: Tetsuya Nakashima
Drehbuch: Tetsuya Nakashima nach dem Roman von Muneki Yamada
Kamera: Masakuzo Ato
Musik: Gabriele Roberto
Produzenten: Yutaka Suzuki
Darsteller: Miki Nakatani, Eita, Yusuke Iseya, Teruyuki Kagawa, Mikako Ichikawa
Verleih: Splendid
Laufzeit: 130 min
Veröffentlichung: 26.2.2010


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