Im Kino: „Eine Karte der Klänge von Tokio“ – Thriller als Kunstkitschkino

„Eine Karte der Klänge von Tokio“, Buch, Regie: Isabel Coixet. Kinostart: 5. August 2010.


Eigentlich, im Kern, ist dieser Film ein Thriller. Er ist nur nicht so erzählt.

Lange bewahrt er das Geheimnis, worum es überhaupt geht, schwelgt dafür in ausgesucht schönen Bildern von Tokio, in all den Geräuschen der Stadt, und zeigt bizarre japanische Bräuche – Sushiessen vom Körper nackter Frauen zum Beispiel, oder – ganz wichtig im Film – das schlüfende Verspeisen von Ramen – Japanklischees, die gebrochen sind durch das Wissen der Japaner um die europäischen Erwartungen an ihr Verhalten. Und zugleich beschreibt er die Arbeitswelt auf einem Fischmarkt. Und zugleich begibt er sich mit der Filmfigur des Voice-Over-Erzählers auf eine poetisch-elegische Reise durch Tokio, das voll Wunder ist – all das ineinandermontiert, um quasi fundamental klarzumachen: das ist zwar ein Spielfilm, auch wenn die Handlung noch nicht klar ist – aber vor allem ist es eine essayistische Meditation über die sinnliche Wahrnehmung einer lebendigen Stadt. Das ist es auch, was der Titel postuliert: „Eine Karte der Klänge von Tokio“.

Dann, allmählich, schält sich heraus, warum Ryu, die von der anonymen Erzählerfigur besonders intensiv beobachtet, mit Mikrophonen belauscht, gedanklich durchleuchtet wird, mit der er eine wortlose Freundschaft geschlossen hat, deren Geheimnis er respektiert – warum diese Ryu also fremde Gräber auf dem Friedhof säubert und pflegt. Denn der Industrielle Nagara heuert sie an. Nagaras Tochter hatte sich umgebracht, der Vater gibt dem Schwiegersohn David die Schuld, Trauer wird zu Wut, und Ryu, die nachts auf dem Markt Fische zerstückelt, ist Auftragskillerin. David, der spanische Weinhändler in Tokio, soll ihr nächstes Opfer sein, er, der Nagaras Tochter ins Unglück gestoßen hat. Diesem David, ebenfalls in Trauer wegen des Selbstmordes seiner Frau, kommt Ryu allerdings näher, es entsteht so etwas wie Liebe – eine ganz unwahrscheinliche Wendung, die jeden anderen Film zerbrochen hätte.

Doch hier zeigt sich die Meisterschaft von Isabelle Coixet, die auf untergründig emotionale Weise erzählen kann, die die Strömungen der Gefühle sehr genau in Filmbilder umwandeln kann, so dass diese Volte plausibel wird. Der Wein, den David Ryu anbietet; seine Traurigkeit, die mit Ryus subtilem Lebensüberdruss korrespondiert; die Einsamkeit, das Bedürfnis nach einem anderen, einem – sagen wir: Gefährten; alles wirkt zusammen, und es ist nur schlüssig, dass die beiden alsbald in einem Liebeshotel verschwinden, das à la Paris ausgestattet ist. Ihr Zimmer ist der Place des Vosges, gestaltet als Métro-Waggon, wo sie sich hungrig aufeinanderstürzen. Die Sinnlichkeit, die den Film bisher auszeichnete, wird zu heißer Erotik, und ab hier wird der Film wirklich spannend, hier hat er sein Wesen gefunden: die Killerin, die sich in ihr Opfer verliebt, und die Auftraggeber, die folglich hinter beiden her sind.

Dass der Film dennoch scheitert, liegt daran, dass er von der poetisch-essayistischten Ebene nicht lassen kann, die der Handlung im Weg steht, so dass der Film seltsam zweigeteilt wirkt, als traue die eine Seite der anderen nicht. Kombiniert funktioniert es schlicht nicht, und wenn auch einzelne Szenen vollends überzeugen, wenn auch einzelne Bilder von bezaubernder Schönheit sind, wenn auch die eigentliche Handlung den Film alleine tragen könnte: das, was der Titel anspricht, die Karte der Klänge durch Tokio, das filmische Erforschen von Bildern und Tönen und einer kleinen, fatalen, zufälligen Geschichte um Ryu, diese Ebene, die durch die Erzählerfigur verkörpert wird: das alles ist letztlich völlig überflüssig. Und bewirkt, dass der Film im Ganzen nur noch zu kitschigem Gefühls- und Pseudokunstschmonzes wird.


Harald Mühlbeyer



„Eine Karte der Klänge von Tokio“ / „Map of the Sounds of Tokyo“ / „Mapa de los sonidos de Tokio“
Spanien 2009. Buch, Regie: Isabel Coixet. Kamera: Jean-Claude Larrieu. Produktion: Jaume Roures.
Darsteller: Rinko Kikuchi (Ryu), Sergi López (David), Min Tanaka (Erzähler), Takeo Nakahara (Mr. Nagara), hideo Sakaki (Ishida).
Verleih: Alamode Film.
Länge: 109 Minuten.
Kinostart: 5. August 2010.