Hofer Filmtage: Eröffnung mit einem "Lied in mir"

Die Hofer Filmtage sind eröffnet, seit gestern. Seit vorgestern ist die neue epd Film raus, mit einem Artikel über die filmische Aufarbeitung der argentinischen Militärdiktatur - den hätte ich natürlich eigentlich lesen müssen zur theoretischen Fundierung des Hof-Eröffnungsfilmes "Das Lied in mir", von Florian Cossen mit Jessica Schwarz und Michael Gwisdek.

Cossen wirft uns hinein in seine Geschichte, ohne viel Federlesens sehen wir Jessica Schwarz als Maria beim Schwimmen, dann Abschied von Vater Anton (Gwisdek), Ankunft in Buenos Aires auf dem Weg zu einem Schwimmwettkampf in Chile. Da hört sie schon das titelgebende Lied, eine Mutter beruhigt ihr Kind damit, auf Spanisch, eine Sprache, die Maria nicht beherrscht, und dennoch kann sie das Lied mitsingen. Das wühlt sie auf, wirft Fragen auf. Als sie den Anschlussflug verpasst, ist sie in Buenos Aires gestrandet, ihren Pass hat sie (als Drehbucheinfall etwas holprig) verloren, sie findet eine seltsame großohrige Puppe, die ihr bekannt vorkommt, obwohl sie sie noch nie gesehen hat...

Das ist ein guter Start für den Film, direkt in medias res, noch sind keine 15 Minuten rum, als ihr Vater Anton in Buenos Aires bei Maria auftaucht und sie aufklärt, dass sie adoptiert wurde, dass sie hier geboren ist. Noch sind da nur Fragen in Maria über ihre verlorene Kindheit, sie ist gekränkt wegen der lebenslangen Lüge ihrer Zieheltern; doch wirkliche Zweifel kommen erst allmählich auf. An diesem Punkt wird Cossen etwas zu deutlich, klar: da kommt noch was, schließlich guckt Gwisdek immer mit so schlechtem Gewissen zur Seite, druckst herum. Und warum sonst sollte das Drehbuch Maria mit einem deutschsprechenden ortsansässigen Polizisten verkuppeln, der ihr sicherlich bei der Aufspürung der Wahrheit helfen wird?

Diese Schwachstellen im Mittelteil lassen Zeit für die eine grundsätzliche Frage, warum sich ein deutscher Film mit der argentinischen Militärdiktatur auseinandersetzen muss, was denn das eigentlich einen deutschen Filmemacher (und die deutschen Kinozuschauer) angeht, und ob hier denn nicht nur eine Art Fremdschau des politisch-militärischen Grauens geboten wird.

Doch dann zieht der Film das Tempo an, und auch seine Intensität. Es wird richtig spannend, wenn Maria ihre Restfamilie kennenlernt: Ihre Eltern waren vom Militär verschleppt und zu Tode gefoltert worden, umso mehr freuen sich Onkel und Tante, Maria wiederzuhaben; und sie findet sich im Zwiespalt zwischen ihrer Blutsverwandtschaft, die sie nicht kennt, und zwischen ihrem Stiefvater, der sie belogen hat, der aber ihr eigentlicher, emotionaler Vater ist.
Und irgendwie wird es jetzt auch für Deutschland relevant; denn hier werden die Fragen gestellt, die vor dreißig, vierzig Jahren ebenfalls an die Vätergeneration gerichtet wurden: was hast du in der Diktatur gemacht? Wie groß ist deine Schuld? Bist du der, als den ich dich kennengelernt habe?

So dass "Das Lied in mir" nicht einfach die Aneignung der historischen Last eines fremden Landes, sondern eine Art Verschiebung der deutschen Situation: Könnten nicht im Rahmen einer überfälligen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit solche Fragen gestellt werden?

Harald Mühlbeyer