Neue Filmreihe im Wiesbadener Murnau-Filmtheater: „Filmklassiker entdecken!“, konzipiert von unserem Harald Mühlbeyer

Ab Dezember an jedem ersten Freitag im Monat:

„Filmklassiker entdecken! Aus den Beständen der Murnau-Stiftung“ zeigt acht hervorragende deutsche Filmproduktionen aus den Jahren zwischen 1933 und 1945.
Was? Aus der Nazizeit!?!?

Das hat auch einmal die Reporter eines bekannten deutschen Nachrichtenmagazins umgehauen: „Sie wollen behaupten, Nazi-Deutschland habe unter Propagandaminister Goebbels gute Filme hervorgebracht?“ Ungläubiges Entsetzen spiegelt sich in dieser Frage der beiden Redakteure, als ihnen Quentin Tarantino im Interview über „Inglourious Basterds“ Unterricht in deutscher Filmgeschichte erteilt: „O ja, einige dieser Filme waren ziemlich gut! „Glückskinder“ zum Beispiel ist einer meiner Lieblingsfilme. Ein sehr, sehr lustiger Film.“

„Glückskinder“ ist denn auch der erste Film der monatlichen Reihe, Paul Martins Komödie aus dem Jahr 1936 mit Willy Fritsch und Lilian Harvey, die ungewollt miteinander verheiratet wurden: Am Freitag, 3. Dezember, um 18 Uhr im Wiesbadener Murnau-Kino. „Glückskinder“ ist vollendete Komödienkunst, und ein Vergleich mit den Klassikern der amerikanischen Screwballkomödie ist nicht zu kurz gegriffen. Und kaum einer kennt diesen Film; nur der Schlager "Ich wollt ich wär ein Huhn" ist einigermaßen Allgemeingut... Dabei ist "Glückskinder" nicht nur ungemein komisch, sondern auch überraschend raffiniert erzählt; wie vergessen der Film inzwischen leiderleider ist, zeigt sich auch daran, dass Google kaum Filmstills findet...
Damit nicht nur Sie, sondern auch Herr Tarantino seine Freude an diesem Abend hat, läuft im Anschluss, um 20 Uhr, „Inglourious Basterds“, in dem Tarantino (unter vielem anderen) auch ein Porträt von J. Goebbels als Filmgroßproduzent entwirft, der in einem Pariser Kino „Glückskinder“ sichtet.

Während die besten amerikanischen Filme der 30er und 40er heute allgemein als Klassiker anerkannt sind, sind die besten deutschen Produktionen einem breiten Publikum nicht einmal bekannt.
Es gibt tatsächlich in Deutschland eine Lücke im Wissen um die deutsche Filmgeschichte: Die Jahre zwischen 1933 und 1945. Das Filmschaffen während der Zeit des Dritten Reiches wird in der Filmgeschichtsschreibung oftmals nur im Hinblick auf ideologische Botschaften und politische Wirkungen hin betrachtet – völlig zurecht, sicherlich. Denn viele Filme – auch heute bekannte und beliebte Klassiker wie die „Feuerzangenbowle“ – sind untergründig in der NS-Ideologie verwurzelt. „Die Filme der NS-Zeit müssen im Kontext der staatlich beeinflussten Produktion und Rezeption gesehen werden“, mahnt filmportal.de; doch neben eine solche nicht unberechtigte pauschale Warnung sollte auch die Betrachtung der Filme selbst treten können. Filme überstehen die Zeitläufte; und viele Filme aus der NS-Zeit haben jenseits ihrer damaligen „politischen, ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen“ (filmportal.de) auch heute noch etwas zu sagen: das ist es, was Kunst ausmacht.
Neben eine politisch-historische Betrachtung kann auch eine qualitativ-ästhetische Betrachtung treten, wobei der eine Aspekt den anderen nicht ausschließen sollte. Das Problem dabei ist: Viele der „guten“ Filme aus der NS-Zeit sind heute vergessen und allenfalls dem Namen nach bekannt. Die Gründe dafür liegen zu einem Großteil an der Verfügbarkeit und am Material, nur die wenigsten Filme der neuen Reihe der Murnau-Stiftung liegen heute auf DVD vor.

Und doch lohnen sie sich, und die Reihe soll den Blick schärfen und Filmgeschichte nicht nur betrachten, sondern erlebbar machen. Es lohnt sich der Blick auf Filme, die einerseits den Geist von damals atmen, die aber andererseits auch teils mit erfrischender Subversivität, teils mit fast postmoderner Albernheit, teils mit anspruchsvoll-komplexer Inszenierungskunst bestechen.

Acht Filme wurden für diese Reihe ausgewählt:

- Glückskinder (1936) – Willy Fritsch und Lilian Harvey werden kurzerhand miteinander getraut: verheiratet, ohne es zu wollen. Zudem wird er entlassen und ist pleite. Helfen könnte da, eine verschwundene Millionärsnichte wieder zu finden; und vielleicht hat er sie mit Harvey ja schon gefunden? Sehr witzig, perfektes Timing der Gags, großes Komödienkino. Quentin Tarantinos Lieblingsfilm
- Sieben Ohrfeigen (1937) – Vom selben Team wie Glückskinder: Ein Film, der in der derzeitigen Wirtschaftskrise hochaktuell ist. Willy Fritsch verabreicht einem millionenschweren Spekulanten sieben Tage lang täglich eine Ohrfeige, damit er auch kleine Zahlen zu schätzen lernt. Man stelle sich vor, jemand verabreiche J. Ackermann 25 Ohrfeigen, damit er sieht, wie viel Rendite ihm da eigentlich vorschwebt…
- Opfergang (1944) – Faszinierendes, symbolisch überhöhtes Melodram von Veit Harlan, das den Zuschauer die ganze Wucht seiner Todesmystik spüren lässt.
- Sergeant Berry (1938) – Hans Albers in seiner Paraderolle als Draufgänger; diesmal ermittelt er gegen Drogenschmuggler an der US-mexikanischen Grenze. Kriminal-, Abenteuer- und Westernelemente in einem spannenden Film, der neben einem enormen Kaktus auch einen nackten Albers bietet.
- Capriccio (1938) – Lilian Harvey, als Mann erzogen, damit Mitgiftjäger keine Chance haben, wird versehentlich mit einem fetten Marquis verheiratet. Gibt sich, um zu entkommen, als jungen (männlichen) Grafen aus und trifft auf Viktor Staal und Paul Kemp. Eine Historien-Operettenkomödie, die in jeder Szene so dermaßen überdreht ist, dass sie sich am Ende in albernsten Nonsens auflöst.
- Peter Voss, der Millionendieb (1945) – Ein weiterer Film zur Wirtschaftskrise: Um Millionenverluste zu decken, wird Diebstahl vorgetäuscht, was eine Jagd um die ganze Welt nach sich zieht. Viktor de Kowa in einer Glanzrolle, ebenso Karl Schönböck. Satirisch und teilweise albern.
- Wir machen Musik (1942) – Helmut Käutner, Ilse Werner, Viktor de Kowa und jazzige Musik. Klassik versus Schlager, und dabei immer – im wahrsten Sinne des Wortes – pfiffig.
- Romanze in Moll (1943) – Ehedrama von Helmut Käutner, das mit herausragenden Darstellern eine tragische Dreiecksgeschichte um Marianne Hoppe, Paul Dahlke und Ferdinand Marian schildert. Einer der großen Filme von Käutner.


Dass sich in dieser Reihe gleich zwei Filme mit Fritsch-Harvey unter der Regie von Paul Martin und gleich zwei Filme von Helmut Käutner finden, ist einerseits der Material- und Rechtelage geschuldet, durch die einige Kandidaten wegen allzu großen Aufwandes ausgeschlossen werden mussten; es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass qualitativ hochwertiges Kino, das die Zeiten überdauert und auch heute noch den filminteressierten Zuschauer zu erreichen vermag, eben in der Tag oftmals an einzelnen Personen hängt. Es sind eben meist einzelne Talente und nicht die Politik oder die damalige Studiosituation bei Ufa oder Tobis, die Meisterwerke hervorbrachten.

Genau diese Filme möchte die Filmreihe aufspüren und sie der Öffentlichkeit zugänglich machen: Filme, die damals wie heute für das Publikum „funktionieren“ können; Filme, die es verdient haben, dem Vergessen entrissen werden.

Harald Mühlbeyer