Screenshot Region: KURSDORF


Was ist Kursdorf überhaupt?

Kursdorf ist eine idyllisch gelegene Ortschaft am westlichen Rand von Sachsen, sorgsam umschlossen von den beiden Start- und Landebahnen des Flughafens Leipzig-Halle, einer ICE-Strecke und dem Schkeuditzer Autobahnkreuz. Seit 1993 ist Kursdorf zur Stadt Schkeuditz eingemeindet.

Zur letzten Jahrtausendwende waren über 200 Einwohner ansäßig. Inzwischen könnten die noch verbliebenen Personen in einem durchschittlichen [sic!] Reisebus Platz finden. Im Laufe der kommenden Jahre wird ein Kleinbus ausreichend sein, um alle Einwohner unterzubringen.


So steht’s auf der Website von www.kursdorf.net und auch, warum es diese Web-Site gibt. Denn der Ausbau des Flughafens verschluckt ein ganzes Dorf.

Die Einwohner Kursdorfs erhielten kaum ernsthafte Unterstützung seitens der Schkeuditzer Stadtväter oder gar der Landesregierung Sachsen. Die Bürger waren rechtlich und finanziell auf Gedeih und Verderb der Flughafen Leipzig/Halle GmbH ausgeliefert. […] Der überwiegende Teil der Kursdorfer hatte keine Alternative. Der Erfolg rechtlicher Mittel schien äußerst fragwürding [sic!] und für die Einwohner nicht finanzierbar, so daß der einzige Ausweg genutzt werden mußte: ‚Freiwillige Zwangsumsiedlung‘ Nur Wenigen blieb der Weg zur Bank erspart, der Rest ebnete - in Form eines privaten Kredites für Ihre Umsiedlung - den Weg für den Erfolg der Flughafen Leipzig/Halle GmbH und DHL.“

Über Kursdorf hat Michael Schwarz von Nachtschwärmerfilm eine kurze Dokumentation gedreht, die heißt KURSDORF und ist „ein stilles Porträt über das lauteste Dorf Deutschlands“. KURSDORF ist Schwarzens Abschlussfilm der Filmklasse der Kunsthochschule Mainz und ist zu sehen

am Samstag, 5. Feb. 2011 um 20:30 Uhr im CinéMayence als offene Teampremiere (also auch Sie dürfen kommen!).

und

im Rahmen des Filmklasse-Programms der Kunsthochschule Mainz am 11. Februar 2011 um 20.00 Uhr.



(zyw)

MOP 2011: Kurzfilmhighlights


Prämiert wurde in Saarbrücken beim 32. Filmfestival Max Ophüls Preis York-Fabian Raabes ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE, doch – sorry – der beste war er unter den Kurzfilmen nicht wirklich. In 15 Minuten erzählt der Film von zwei Flüchtlingen, zwei Brüdern, die im Bauch eines Flugzeuges die heimliche Flucht in ein besseres Leben planen, doch nur einer hat sich für den gefährlichen Trip bzw. die Eiseskälte vorbereitet. Parallel dazu wird in die Vorgeschichte in einem sonnigen Township an der Elfenbeinküste geblendet. Leider passen die beiden Hälften des ansonsten und gerade in den Afrikaszenen toll gedrehten Films nicht so recht zusammen, etwas Konfuses haftet ihm bei aller, auch symbolischer, Stärke, an.

Dass nun andere Filme besser waren, heißt allerdings wenig, insofern es wie beim Langfilmwettbewerb ein unglaublich starkes Kurzfilmschualaufen an der Saar war.

Ein paar Ausblicke:

Natürlich: ARMADINGEN. Eine lobende Erwähnung gab es für witzigen Film von Philipp Käßbohrer – ein weiteres Zeichen dafür, dass die Jury wenig entscheidungsfreudig, aber mit wachem Sinn ihren Job getan hat.

Bauer Walter (Gernot Hertel) lebt mit Frau Helga (Karin Graf) auf dem kleinen Hof, und beide sind sie – ja, sagen wir’s wie es ist: alt, dick und rund geworden über die Jahre. Grummelig auch. Sie leben nebeneinander dahin; oftmals ist das Ächzen, Keuchen und Schnaufen, wenn sie Treppen steigen, sich in Sessel fallen lassen oder vom Stuhl erheben, das einzig „Kommunikative“ in der Partnerschaft, in der jeder seinen Platz, seine Aufgaben hat. Doch dann erfährt Walter auf der Weide über das Radio, dass ein Komet auf die Erde zurast. Die Rettungsmission der NASA ist gescheitert, noch einen Tag hat der Planet oder wenigstens die Menschheit. Tschüs dann.



Hektik ist nun Walters Sache nicht, doch immerhin will er seiner Frau noch einen letzten schönen Tag bereiten. Das gerät so linkisch wie rührend, vor allem überaus leise-komisch, denn Walter bemüht sich, Helga im Unklaren zu lassen, was da draußen vor sich geht, wofür er sich so einiges Einfallen lässt. Helga macht es ihrem Mann dabei nicht leicht, denn: Den vorsichtigen Bruch der Routine, der in einem Spontangrillen samt Platzregen endet, hält sie für die Vorboten einer Ehekrise. Es IST doch was mit dir! Zuletzt – und dafür muss ich SPOILERN!!!!!!, ein bisschen aber nur, tut auch nicht weh – kommt es ganz anders: In Erwartung des Endes legt sich Walter zur schlafenden Gattin, sieht sie nochmal an wie wohl seit Jahrzehnten nicht – als Zuschauer kann man da schon seinen Kloß im Hals haben –, ehe er einschläft. Doch die Verwüstung aus dem All trifft des Nachts nicht metaphorisch und grandios-witzig in seiner Dramatik ein Spielzeugeisenbahndorf, das als Weltmodell herhält, sondern ist nur Walters Traum. Er wacht auf, alles ist heil, und im Fernsehen erfährt er: Die Welt wurde doch gerettet – von Bruce Willis als Harry Stamper, so wie wir es in Michael Bays ARMAGEDDON (USA 1998) miterlebt haben.

Kurz: ARMADINGEN ist die Parallelhandlung zu ARMAGEDDON, das, was sich klein und unbemerkt im Hintergrund oder an der Seitenlinie oder eigentlich ganz woanders abspielt, während wir den großen Heldenabenteuern folgen. Allein diese Grundidee ist schlicht genial und schreit nach Fortsetzungen. Doch ob nun ein Biologielehrer im Allgäu den Kindern mühsam die Bläulinge aus AVATAR erklärt oder ein Pit-Stop-Mechaniker aus Lüdenscheid den TERMINATOR zu reparieren hat (nur die Geschichte vom Film-Nerd, der David Lynch entführt, gibt es leider schon, und zwar HIER): so lange das nur mit halb soviel herzenswarmen wie urkomischen Witz geschieht wird wie ARMADINGEN ist die Welt in Ordnung.

Keine große Erzählung, sondern eine Kurzgeschichte im besten Sinne, ein Ausschnitt aus dem Geschehen, der Wirklichkeit, ist MAK (CH 2010) von Géraldine Zosso. Fast zu schön oder aber zu gut ist der 18-Minüter gedreht, und er berührt ungemein, seltsam intensiv, vielleicht weil er keine ausgeklügelte Story hat, keine Pointe, sondern nur zeigen, nichts erzählen will. Wie sehr dieser leichte und doch zugleich tiefe Film ganz Erleben und einfach für sich ist, zeigt sich, wenn man ihn „gegen“ das Programmheft hält. Dort steht:

Ilinka ist 14 Jahre als. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Tante hat sie vor einem Jahr ihre Heimat in Moldawien verlassen und ist in die Schweiz gegangen. Ilinka hat vor kurzem ein Kind geboren, aber die momentane Situation der drei Frauen ist schwer mit einem Neugeborenen zu vereinbaren. Ilinkas Mutter hat von einer Box gehört, in welche Babys gelegt werden können. Ein Abschied?

Ja, so kann man Filme kaputt erklären und beschreiben. Hier allerdings nicht, dazu ist MAK zu stark und eigenständig. Und dumm jetzt, dass ich Ihnen das zugemutet habe. Aber: Dass Ilinka 14 ist, sieht man weder (Roxanna Delacroix in der Rolle mutet eher an wie 17, 18), noch spielt es eine Rolle. Dass und wann sie aus Moldawien gekommen ist, ist ebenso schnuppe, und die Tante hielt der Schreiber dieser Zeilen eigentlich für ihre Schwester. Tatsächlich sind Ilinka und ihre Mutter und Schwester (!) Illegale in der Schweiz; die junge Frau hat ein Baby, das soll weggeben werden. Geheimhaltung also, und die Frau Mama ist unwirsch, aber das ist verständlich: Ilinka soll sich nicht zu sehr ans Neugeborene gewöhnen; noch kann sie auch nicht recht mit dem Kleinen umgehen. Doch als sie mit Mama auf dem Weg ist, aus dem Bus aussteigen soll, bleibt Ilinka mit dem Kind zurück – winkend läuft die Mutter nebenher.



Einen Tag verbringt die junge mittellose Frau mit dem Winzling, es passiert nicht viel und genau deshalb: alles. Von Anfang bis zum Ende besteht MAK aus Stimmung, aus Zwischentönen, aus lauter Geschichten hinter dem offensichtlichen und unspektakulären Geschehen. Es ist fast schon ein Affront, diese Beiläufigkeit, und MAK ein sehr ernster, aber nicht schwerer Film, in dem Spiel und Buch, Kamera und das warme zärtliche tongenaue Licht genau abgestimmt sind. Das Ergebnis ist ein ungeheuerlich alltäglicher Ausschnitt aus einem Dasein, wie man es selten sieht und das einem arg und unaufdringlich zu Herzen geht.


Ganz anders und doch ähnlich, zumindest in der Souveränität der Inszenierung, der Ästhetik, ist RAJU (D 2010) von Max Zähle. RAJU ist keine Momentaufnahme, sondern ein kleiner Spielfilm, ausgeklügelt, genau komponiert, man merkt, wie die Geschichte von vorne bis hinten zum Langfilm strebt – auch wenn sie nicht so angelegt ist, sich dahingehend aufspielt. Aber das Potential, die Kraft hat der kurze Lange, auch seine Darsteller: Wotan Wilke Möhring und Julia Richter spielen die Hauptrollen, und gerade bei Möhring fragt man sich einmal mehr, wann der Mann so groß rauskommt, wie es ihm gebührt.



Möhring und Richter spielen ein deutsches Paar, das nach Kalkutta reist. Die Stadt wird ausgestellt, und zwar genau richtig, nicht allzu exotisch, nicht zu sozial-depressiv. Die beiden sind mehr als „nur“ Tourist und wenig genug um nicht „Besucher“ zu sein; der Kamerablick, den Zähle auf diesen schwülen Moloch wirft, in dem sich die Zeiten mehr zu vermischen scheinen als in den großen Metropolen Mumbai oder Delhi, ist dahingehend unglaublich authentisch in dieser halben unwohlen Distanz. Jan und Sarah (zwei typische Filmhochschülerfigurennamen) staunen mit großen Augen, aber sie kommen für einen bestimmten Zweck: In einem Waisenhaus (Stichwort: Mutter Theresa) holen sie sich ihren Nachwuchs ab, den sie selbst nicht in die Welt setzen können: den kleinen, titelgebenden Raju, ein süßer, dank Silberblick aber gottlob nicht allzu zu süßer Bub. Dann: Sarah bleibt im Hotel, macht einen Schwangerschaftstest. Schon denkt der phantasiebegabte Rezensent und Möchtegern-Drehbuchautor in spe: Schwanger ist sie, die Deutsche, jetzt doch, Gottes Hand hat schicksalsmächtig in ihren Uterus gefingert und da zur Unzeit die Wünsche der Wunscheltern war gemacht, jetzt haben sie den kleinen Bengel am Halb. Von wegen!: RAJU nimmt eine andere Wendung, denn Jan kommt der neue Sprössling, dem in Deutschland ein besseres Leben droht, von einer auf die andere Sekunde abhanden. Was dann folgt ist schönste, kleine und auch hier ganz unspektakuläre Thriller-Drama-Kunst, von der leider leider nun wirklich nicht verraten sei. Aber – Obacht! Dreifacher Floskelalarm –: “““Jan entdeckt ein finsteres Geheimnis“““ . Aber Ironie beiseite: RAJU weiß zu packen, sein dramatisches Potential mustergültig zu nutzen, ohne es zu strapazieren und liefert ein kluges, ein wenig auch überraschendes Ende, an dem mananknüpfen kann – und es als Zuschauer wirklich gerne täte.

AUF WIEDERSEHEN PAPA (D 2010) ist kein Plottwist-Film, schlägt jedoch so einige Haken, die einem nicht von selbigem lassen.
Ok, das war jetzt wirklich gar zu wüst, also noch mal:
Sandra Nedeleff präsentiert mit AUF WIEDERSEHEN PAPA (D 2010) eine finten- oder eher wendungsreiche Geschichte, die von ihrer kleinen großäugigen Hauptdarstellerin Lucy Ella von Scheelen (leider kein Name, wie ihn sich Filmhochschüler gerne auszudenken belieben) erstaunlich mühelos getragen wird. Ein Familiendrama, mutmaßt man seufzend, als über der 6-jährigen Charlie die Notenblätter und sonstige Utensilien ihres Vaters herabregnen, während sie mit ihrer Freundin im Vorgarten spielt. Denn Mama schmeißt Papa aus dem Haus, er hat eine andere – eine Neue. Versteht Charlie natürlich nicht so recht, schon gar nicht nach den Halb- oder Gar-Nicht-Erklär-Versuchen der Erwachsenen. Papa zieht aus, wird von Mama gehasst, liebt aber Charlie. Mama ist tief verwundet und erklärt ihrer Charlie abends im Bett, inspiriert und entlang der Geschichte von Schneewittchen, dass Papa von einer bösen Zauberin verhext sei. Was so genial Mamas Seelenzustand beschreibt und ein Handlungsgeschehen in Gang setzt, eine Konstellation auftut, wie sie sich Sophokles gewünscht, nicht aber hat träumen lassen. Man sieht den alten Griechen, zusammen mit Shakespeare, begeistert auf und ab hüpfend, tanzend, hätten sie solche modernen Familienverhältnisse als dramatische, tragödische Verfügungsmasse vor sich gehabt. Denn Charlie nimmt die Mama ein bisschen zu ernst.



Es ist aber gar nicht mal das clevere Drehbuch, das bewundernswert mühelos zwischen Ehedrama, Kindermär und, ja nun, kleinem Husarenstück in Sachen Suspense changiert, sondern der Umstand, dass und wie AUF WIEDERSEHEN PAPA diese Qualität erstaunlich stabil in der Kinderperspektive hält und dem Zuschauer gerade vermittels dieser Perspektive (und also darüber hinaus) einen tragischen und lustvoll perfiden anteilnahmsvollen Blick überhaupt erst ermöglicht.

Schließlich: ANNA (D 2010). Von Ugur Kurkut, mit Sybille Prätsch und Max Woelky, vor allem aber mit: Sybille Prätsch. Dummerweise habe ich just die Aufzeichnung von der „Befragung“ des Filmgesprächs in Lolas Bistro, den traditionellen After-Hour-Talks des Festivals in der SR-Mediathek gefunden. Das Gespräch geht praktisch doppelt so lange wie der Film selbst und nimmt mir einige schöne Einlassungen weg, zerredet diesen kleinen lustvoll sinisteren Film freilich auch. Sehenswert ist das allemal: Moderator Oliver Hottong befragt Kurkut, hat das Gefühl „dass der Film ihm Böses wolle“. Zuvor noch – nicht ganz so vortrefflich formuliert: „Würdet ihr mir zustimmen wenn ich sage, dieses ist im Wortsinne eine böser Film?“ – Schweigen, dann, Kurkut: „Was meinst du demn mit böse?“ Antwort: (…) „Der macht mir was Böses.“ Phantastisch! Noch besser Kurkuts Antwort: „Dann ist er gelungen“. Spricht’s und lacht freundlich.

Allerdings: Wie dereinst Sofia Coppola bei LOST IN TRANSLATION (ok, auch wieder so ein wüster Vergleich; wobei Frau Prätsch durchaus äußerlich etwas von Frau Coppola hat, aber von Frau Prätsch schwärme ich unten noch mehr) wissen Regisseur und die beiden, die einzigen Darsteller sich den klugscheißenden Fragen Hottongs („Staffelhölzchen der Identifikationsfigur“, „… schauspielerisch gaaanz wichtiger Moment“) auf einnehmende Weise nicht zu wehren, ihrem eigenen Film nur hinterher zu reden, derweil dieser kleine, gemeine Lump ein Eigenleben ganz für sich beansprucht. Hätte ANNA neben dem Moderator mit am Tisch gesessen, er hätte den eloquenten, souveränen Glatzkopf längst gefressen, mit Haut und – na ja – Haaren. Und gerülpst.

Durchaus, ANNA ist ein kleiner, schneller oder zumindest kurzer, ein einfach und nett bitterböser Film – für mich der liebste in dieser ganzen Festivalschiene, und noch immer muss ich grinsen, wenn auch nicht mehr laut lachen vor diabolischer Wonne wie direkt beim Anschauen. Acht Minuten dauert er, gefühlte fünf, und eigentlich nichts allzu besonderes. Bloß: Kompakt und gelungen, unangestrengt, aus dem Ärmel geschüttelt. Er nimmt einen mit, ehe man es merkt, spielt mit den Mitteln des Mediums wie sonst kaum ein Film des Wettbewerbs.

Aber um was geht’s? Stefan (Woelky) spricht in die Kamera, ein Botschaft an einen unsichtbaren (imaginären?) Freund: Er habe, erklärt er, eine „Neue“ kennengelernt, Anna heißt sie, und Stefan schwärmt, von ihren kleinen Eigenheiten, von ihrer Katze, spielt Aufnahmen von ihr ein – und spätestens hier wird schon klar, wohin der Haase läuft; gehässig fängt man an, sich zu amüsieren. Heute Abend, so Stefan, ist es soweit, da will er ihr einen Antrag machen. Oder sowas. Hach, es kann ganz simple, ganz unspektakulär und umso effektiv sein, das Unterhalten. Manchmal ist weniger eben doch mehr. ANNA ist jedenfalls ein Film, den man sich vielleicht mehrmals anschauen möchte. Meint Kurkut im MOP-Gespräch. Durchaus. Und: Chapeau!

Ansonsten bleibt Sybille Prätsch in ihrer Kleinrolle hängen. Warum, lässt sich auf eine durchaus faszinierende Weise schlecht sagen. Blaue, schmale Augen, hohe Wangenknochen, ein betörender, selten ausdrucksstarker Mund. Verwundern würde es, wenn wir sie ihn Zukunft nicht mehr und in breit gefächerten Rollen sehen würden. Schade wäre es auf jeden Fall, wenn dem nicht so wäre.

„In den letzten 30 wird’s dann handgreiflich“, sagt sie, im SR-Gespräch zum MOP. Welches HIER anzuschauen ist.

Und weil es von ANNA auf dem MOP-Presseserver kein direktes Bild gibt (falsch verlinkt), gibt es hier eben eines von Frau Prätsch, von ihrer Agenturseite, wobei ich hoffe, dass diese nichts dagegen hat...




Bernd Zywietz




P.S.: Screenshot trägt sich mit dem Gedanken, Ende des Jahres einen Jahres-Reader zum deutschen Film zu veröffentlichen. Wenn Sie dazu Meinungen oder Anregungen haben, schicken Sie uns diese einfach: redaktion(at)creenshot-online.com

MOP 2011: DER ALBANER


Schon beim 32. Internationalen Filmfestival in Moskau hat Johannes Naber mit DER ALBANER (D/ALB 2010) zwei Preise – dem „zweiten“ Platz und einer Auszeichnung für den Hauptdarsteller Nik Xhelilaj – gewonnen. Beim ebenfalls 32. Filmfestival in Saarbrücken erhielt er nun die Hauptauszeichnung, den Max Ophüls Preis. Nicht leicht ist die Entscheidung der Jury gefallen, wie auch die zwei zusätzlichen lobenden Erwähnungen und der Spezialpreis zeigen. Warum also DER ALBANER?

Warum eigentlich nicht? Na ja, ein wenig ist man wirklich ein wenig überrascht wie von der Goldenen Palme für Ken Loach und seinem Film THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY 2006 in Cannes. Der hatte sich gegen Iñárritus konfusem aber hochgelobten BABEL, del Toros überschätztem PANS LABYRINTH oder Almodóvars VOLVER durchgesetzt. Ähnlich – und doch ganz anders – war es in Saarbrücken. Doch was brachte die Entscheidung? Haben sich die Juroren einfach den ersten Film ausgedeutet, den sie gesehen haben? Schließlich gewann als bester Kurzfilm BETWEEN HEAVEN AND EARTH von York-Fabian Raabe, der bei aller Qualität leider nicht ganz so überzeugen konnte wie andere Beiträge in dieses Sparte – und der wie DER ALBANER am Dienstagfrüh als die ersten Wettbewerbsbeiträge das „Schaulaufen“ eröffneten.

Nein, so simpel urteilte die Jury natürlich nicht. DER ALBANER stach, blickt man so zurück, durch eine verblüffende Schnörkellosigkeit heraus, eine Sachlichkeit, die nicht unkünstlerisch war, die aber vielleicht den „rundesten“ und punktgenausten Film des Wettbewerbs hervorbrachte – zumindest einen, der sich ganz auf sein Thema und ein Anliegen konzentrierte, das so (auch darin liegt seine Güte) ein solches wiederum gar nicht war und ist.

DER ALBANER erzählt die Geschichte von Arben (Xhelilaj), der mit seiner Familie in einem albanischen Dorf in den Bergen lebt. Zu Beginn des Films kommen er, sein Bruder und Onkel aus Griechenland zurück. Dort haben sie als Gastarbeiter ein wenig Geld zusammengeschuftet, doch das langt hinten und vorne nicht in ihrer Familienhütte in den steinigen Bergen, um die herum die Moderne Einzug hält und wo eine seltsame Mittelzeit zwischen Gestern und Heute herrscht: Im Dorf drunten trinkt man sich einen und denkt sich nicht viel. Die die es zu etwas gebracht haben, fahren dick(ere) Autos, und in Deutschland, ja, da kann man richtig Geld verdienen, heißt es. Arbens Bruder steht auf Rap, darf in der Stadt zur Schule gehen. Und Arben? Der hat anderes im Sinn: die schöne, Etleva (Xhejlane Terbunja) vom Nachbarbauernhof (was in der Ödnis in Sachen Entfernung nicht viel sagt). Auch Etleva liebt Arben, und so treffen sie sich heimlich, denn bei aller Westlichkeit besteht noch das Gesetz der Familienehre, der Blutrache, da wird die Tochter als Gut betrachtet. So gerät Arben in die Bredouille, als Etleva schwanger wird. Schnell muss Geld her, damit er sie auslösen und heiraten kann, sie, die als in ihrer Familie nun nichts zu lachen hat.



Arben macht sich auf nach Deutschland, als Illegaler – und jetzt fängt der Film eigentlich erst an, könnte man meinen, doch das stimmt nicht, denn wie stark die Kontraste zwischen albanischer Provinz und Berlin auch sein mögen, erzählerisch kommt das eine nicht ohne das andere aus; die eine Welt ist immer schon in der anderen enthalten oder zumindest angelegt. Ja, Arben ist ein einfacher ökonomischer Flüchtling, kein politisch Verfolgter, er will von Deutschland nur eines: Geld, für daheim, für daheim. Selten plötzlich hat auch diese Motivation ihr eigenes Recht, eines, das sich nicht um wohlfeile politische Abwägungen schert. Arben wird ausgebeutet, lernt einen Serben kennen, der krank ist, dann sein Freund und Kollege wird; mit ihm zusammen gerät Arben auf die „schiefe“ Bahn, hilft beim Menschenschmuggel über die grüne polnische Grenze, hält Kontakt mit seinen Bruder, einem Hallodri, per Skype – Bescheid soll der sagen, Arben kommt bald. Etleva hat er das versprochen: Bei der Geburt ihres Kindes will er dabei zu sein.

Das klingt nach großem Sozial-, nach Melodrama, aber DER ALBANER verweigert sich den Extremen auf bewundernswerte Weise. Wir fühlen mit Arben, aber wir bemitleiden ihn nicht. Er ist ein Mann mit einer Mission, einer, der für seine Ehre, seine Liebe, seine Zukunft kämpft, ohne recht zu wissen, was das eigentlich ist, und wir bewundern ihn sogar dabei. Nie aber verführt uns Naber und sein vorzüglicher Schauspieler, der seinen Arben zwischen Bestimmtheit und Verzweiflung pendeln lässt, die Hauptfigur als universelle Leidensfigur oder politisches Exempel emotional zu vereinnahmen – geschweige denn dass der Film es selbst tut, dass er mehr erzählt als eine individuelle Geschichte, die Allgemeingültiges fasst, aber nie die Sympathie zu weit treibt oder zur Anklage gegen irgendwelche „Verhältnisse“ verkommt. Arben arrangiert sich, in einer Welt, in der jeder schaut, wo er bleibt, und für Gut-Böse-Schwarz-Weiß bleibt in dem zurückhaltenden, ganz zweckdienlich und zugleich vorzüglich, so selbstlos wie vorzüglich gedrehten Film weder Zeit, noch Platz. Schließlich geht es ums blanke Leben. So einfach ist das.



Naber spart sich Klischees, und wenn doch mal ein Stereotyp aufzuschimmern droht, dann weil es das einer Welt ist, die so ist, wie sie ist. Nette, fürsorgliche Deutsche und Leute, die hierzulande „angekommen“ sind (wenn auch ich Halbschatten) trifft Arben, arbeitet für drei Euro die Stunde, putzt Klos, lügt, als er von seinem Job berichtet, aber das ist okay für ihn. Allerdings wird die Zeit knapp. So macht sich Arben die Finger erst ein wenig schmutzig, dann, schließlich blutig, trotzdem: man verdenkt es ihm als Zuschauer nicht.

Am Ende kommt es nicht ganz dick; ganz konsequent bleibt Naber auch hier fast aufreizend hinter seinen melodramatischen Möglichkeiten zurück, spielt nicht mit den großen Schicksalsschlägen und dem Unheil, sondern bleibt bei einer durchs Individuum formbaren Gleichgültigkeit des eigenen Glücks und damit viel wirkungsvoller in seiner stillen unaufgeregten Konsequenz: Arben ist am Ende Gewinner und Verlierer zugleich, und das eine wegen dem anderen, aber auch das stimmt nicht ganz, denn der Arben, der weggegangen ist, ist nicht mehr der, der am Ende zurückkommt. Alles verändert sich, und nichts ist „schuld“ daran. Das ist die große, erstaunlich ein- und unaufdringliche Lektion von DER ALBANER – einem Film, der von der Relativität, von Fremde und Heimat, von Wünschen und Träumen, aber eben auch von Menschen, ihrem Wesen und ihren Beziehungen so eindrucksvoll und mit geschicktem Wahl von Sujet und Handlungsorten berichtet, dass man glatt glauben könnte, es handele sich einfach nur um eine Drama über illegale Arbeitsemigranten. Aber das ist DER ALBANER ebenso wenig wie DER PATE lediglich ein Film ist über Italiener und Verbrecher.

(zyw)

Bernd Eichinger ist tot.


Und man kann sagen oder schimpfen was man will: Er war eine eigene Größe im und für das deutsche Kino.

Hut ab und Beileid den Hinterbliebenen. Zu denen eben auch der europäische Ganz-Großfilm gehörte.

Grindhouse-Nacht in Mannheim: Überraschung, Überraschung

Am Samstag, 29.1., können Liebhaber der gepflegten Filmkultur sich wieder mal einen schönen Abend machen - indem sie zuhause bleiben und NICHT zur Grindhouse-Nacht im Mannheimer Cinema Quadrat gehen.
Dort laufen ab 21.30 Uhr wieder in einem Double-Feature zwei Grindhouse-Filme der Extraklasse.

Hoffentlich nicht schon wieder Horror wie all die letzten Monate; gibt ja auch noch was anderes...

Filmklassiker im Murnau-Filmtheater: "Opfergang" - plus "Mutters Maske"

Am Freitag, 4. Februar, wird in der Filmreihe "Filmklassiker entdecken! Aus den Beständen der Murnau-Stiftung" Veit Harlans Melodram "Opfergang" von 1944 gezeigt. Die Veranstaltung findet um 18 Uhr im Wiesbadener Murnau-Filmtheater statt, Harald Mühlbeyer wird in den Film einführen. Im Anschluss, um 20 Uhr, läuft Christoph Schlingensiefs Remake "Mutters Maske" von 1988 mit Helge Schneider in der Hauptrolle.


"Opfergang" (Regie: Veit Harlan, 1944)

Carl Raddatz heiratet nach der Rückkehr von einer Weltreise die schöne Irene von Meyendorff, deren Vater gerne bei geschlossenen Fensterläden eine Dionysos-Dithyrambe von Nietzsche deklamiert. Zugleich ist Raddatz angezogen von der sinnlichen Kristina Söderbaum, die so lebendig erscheint. Doch Söderbaum ist unheilbar krank, bei Abwesenheit des Geliebten wird sie immer schwächer. Kraft gibt ihr dessen täglicher Gruß, wenn er an ihrem Gartentor vorbeireitet – bis auch er durch Krankheit verhindert wird. Nun reitet die Ehefrau grüßend am Garten der Nebenbuhlerin vorbei…

„Opfergang“ ist ein faszinierendes, symbolisch überhöhtes Melodram von Veit Harlan, in dem sich in stilisierter Erhabenheit der Konflikt zwischen bildungsbürgerlicher Trockenheit und weltumfassender Sinnlichkeit, zwischen Verehren und Begehren in delirierende Höhen hinaufschwingt. Harlan, der große Regiekünstler, ist zugleich einer der nationalsozialistischsten Filmemacher: Mit voller Wucht verbinden sich hier Melodram, Todesmystik und Opfermythos.


"Mutters Maske"
(Regie: Christoph Schlingensief, 1988)

Wenn Helge Schneider in seiner ersten großen Bösewicht-Rolle seine Mutter in den Wahnsinn zu treiben trachtet, die in tranceartiger Euphorie von der manisch depressiven Brigitte Kausch gespielt wird; wenn sich eine zarte Liebe zur aidskranken Nachbarin entfaltet; wenn Udo Kier als latent pädophiler Kinderheimleiter beim Maskenball „Am Brunnen vom Tore“ singt; wenn der Diener aus der Badewanne heraus das Geschehen kommentiert: Dann wird das Pathos des Originals persiflierend bloßgestellt; und zugleich werden auf verdreht-groteske Weise die melodramatischen Strukturen in Schlingensiefs Œuvre offengelegt.

Christoph Schlingensief über sein Remake von Veit Harlans „Opfergang“: „Das funktioniert am besten, wenn man erst "Opfergang" und dann "Mutters Maske" sieht. Dann merkt man, dass die beiden Filme in einer ganz merkwürdigen Abhängigkeit stehen. Sieht man "Mutters Maske" alleine, könnte man denken: ‚Ja, Christoph, was ist denn jetzt wieder passiert, willst du nicht andere Tabletten nehmen?’“


Die Filmreihe "Filmklassiker entdecken!", konzipiert von Harald Mühlbeyer, möchte auf deutsche Filmproduktionen aus den Jahren des Dritten Reiches aufmerksam machen, die es verdient haben, dem Vergessen entrissen zu werden.


Die weiteren Filme, monatlich im Murnau-Filmtheater:

"Sergeant Berry", Herbert Selpin 1938

"Capriccio", Karl Ritter 1938

"Peter Voss, der Millionendieb", Karl Anton 1945

"Wir machen Musik", Helmut Käutner 1942

"Romanze in Moll", Helmut Käutner 1943

MOP 2011: Der deutsch(sprachig)e Film – ein Integrationserfolg

Zu den Beiträgen und Gewinnern des 32. Filmfestivals Max Ophüls Preis 2011

Mir ist nicht bange, daß Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das Ihrige thun“, soll sich Goethe dereinst gedacht haben – und wenn man sich das gerade zu Ende gegangene 32. Filmfestival Max Ophüls Preis 2011 in Saarbücken angeschaut hat, hat man mit dem Uneins-Sein und -Bleiben auch heutzutage und auf andere Weise keine sonderlichen Problemen.

Das hat freilich weniger mit dem Zusammenhalt und -hang der Nation zu tun als vielmehr, dass in Sachen Film das Etikett „deutsch“ selten für soviel Qualität stand – und dabei so wenig „Deutsches“ bezeichnete. Der „MOP“ ist eine Festival vor allem für den Nachwuchsfilm made in Germany (oder zumindest: „in deutscher Sprache“), und wer sich davon im diesjährigen Wettbewerb nicht selbst überzeugen wollte oder konnte, glaubt es vielleicht Regisseur Dani Levi oder blickt auf die aktuellen Prämierungen.



Acht Flaschen Wein brauchte die sechsköpfige Hauptjury, so Levy, um unter den 16 Langfilmwettbewerbsbeiträgen (der siebzehnte, POLNISCHE OSTERN, lief außer Konkurrenz) den Gewinner zu küren. Ob es nun eine Bouteille zu wenig oder zu viel war (und ob Cosima Shiva Hagens gesundheitsbedingte Abwesenheit bei der Preisverleihung am Samstag im Congresszentrum dem Alkohol geschuldet) war, sei dahingestellt. Allerdings: Ob all der bunten Güte der Filme vergab die Hauptjury zum Hauptpreis hinzu noch einen Spezialpreis und zwei lobende Erwähnungen. Bis März, zum Rosenmontagsumzug müssen wir warten, um solch ein freigiebiges Herumwerfen von Süßigkeiten nochmal mitzuerleben. Doch man mag es nicht übelnehmen, war es doch wahrlich nicht leicht, schon vorab einen Favoriten zu küren. Und ein weiterer Beleg für die Vielfalt und Qualität der Einreichungen: Anders als letztes Jahr mit SCHWERKRAFT und BIS AUFS BLUT wurde kein Film bzw. Filmemacher doppelt ausgezeichnet – sogar die Darstellerpreise gingen an Schauspieler mit „eigenen“ Filmen.

Wer oder was haben diese Auszeichnungen und Lobhuldigungen jedoch nun bekommen? Zunächst waren es: die Schweiz. Beziehungsweise die Schweizer, die dieses Jahr die Österreicher mit deren vor allen skurrilen Komödien, die in den vergangenen Festivals so glänzten, verdrängt haben. Gleich fünf Wettbewerbslangspielfilme schickte uns Helvetia in den Norden und alle haben sie – berechtigterweise – etwas bekommen:

- 180° (CH 2010) von Chihan Inan: lobende MOP-Erwähnung;
- FLIEGENDE FISCHE MÜSSEN INS MEER (CH/D 2011) von Güzin Kar: Preis des saarländischen Ministerpräsidenten;
- STATIONSPIRATEN (CH 2010) v. Michael Schaerer: Preis der Schülerjury
- SILBERWALD (CH 2010) R: Christine Respond: Interfilmpreis
- Last but not least: DER SANDMAN (CH 2011) von Peter Luisi: Publikumspreis



Vergessen sei auch nicht die lobende Erwähnung der Dokumentarfilmpreisjury für Maria Müllers HÜLLEN (CH 2010). Übrigens: Auch Dani Levy ist Schweizer.

Ha!, mag da mancher sarrazinieren: Seht ihr, das sind jene feinen Einwanderungen, solcher Art von Emi- und Integrationwollen wir (uns) loben – Graswurzeldemokratie, Käsefondue, Bankgeheimnis, Ricola: wer hat’s erfunden, ganz recht, die Schweizer eben.

Doch gemach! Denn schon ein genauer Blick auf diese ganz feinen Alpen-Filme enthüllt: Auch „suspekte“ ethnische Hindergründe haben da ganz gehörig Anteil am Aufschwung, genauer gesagt und Schock schwere Not: Türken! Sowohl von 180° als auch FLIEGENDE FISCHE sind Regisseur und Regisseurin stammen (wenn auch nur in der zweiten Generation) aus dem islamnahen Osten; ihre Namen bringt es bereits an den Tag. Was in einem Fall (180°) eine Bereicherung ist, im anderen (FLIEGENDE FISCH) schlicht schnuppe.



Auch als bester Darsteller wurde sehr verdient Burak Yigit ausgezeichnet, der beim MOP in dem Mittellangen GURBET – FREMDE HEIMAT (D/TR 2010) von Deniz Söbir zu sehen war, im letzten Jahr aber bereits neben Jacob Matschenz in BIS AUFS BLUT brillierte.
Und der Förderpreis der DEFA-Stiftung wiederum ging an die Dokumentation ANDUNI – FREMDE HEIMAT (D 2010) von Samira Radis. Klingt auch nicht ganz geheuer, oder?

Um jetzt aber nicht weiter den Zirkus Sarrazin mit seinen Artisten und Clowns zu veräppeln, sondern um einfach weitere Beispiele dafür zu liefern, wie wenig Ideenbegriffe wie „deutscher Film“ oder „Nationalkinematographie“ hierzulande und in der Mitte Europas im positivsten Sinne an ihre Grenzen stoßen, weil eben solche nicht mehr wirklich von Bedeutung sind, noch ein paar Beispiele mehr: „Polnische-Ostern“-Regisseur und Co-Autor Jakob Ziemnicki ist gebürtiger Pole und Nick Baker Monteys, Regisseur von DER MANN DER ÜBER AUTOS SPRANG (D 2010), der mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde, wurde zwar in Berlin geboren, ist aber Brite (oder Schotte? Oje, Fettnäpfchengefahr!). Lobende MOP-Erwähnung bekam auch INSIDE AMERICA (2010) – ein österreichischer Film.

Und wenn eben kein Nicht-Deutscher hinter der Kamera stand, standen erstaunlich, erfreulich oft welche davor oder der Blick ging in die Fremde: Dokupreisgewinner THE OTHER CHELSEA (D 2010) von Jakob Preuss ist ein Personen- und Stadtporträt in, aus oder der ukrainischien Stadt Donezk mit ihrem „politischen“ Fussballklub. Eröffnungsfilm BAD BOY KUMMER des gebürtigen Budapesters Mikós Gimes: Ist über den deutschen Tom Kummer, der Starinterviews erfand, in den USA bzw. dem Traumland Hollywood. Der liebreizende Langfilmbeitrag WINTERTOCHTER (D/P[olnisch!] 2010) von Johannes Schmid handelt von einem Mädchen (betörend widerspenstig: Nina Monka), die am Heiligabend erfährt, dass ihr leiblicher Vater ein russischer Seemann ist, den sie nun in Polen sucht, gemeinsam mit einer älteren vertriebenen Dame, die sich dort ihrer Geschichte stellen muss.

Der Kurzfilmpreis erhielt ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE (D 2010) von York-Fabian Raabe. Der gedreht wurde u.a. in südafrikanischen Townships und von zwei illegalen afrikanischen Einwanderern, die als blinde Passagieren auf dem Fahrwerk eines Flugzeugs zu erfrieren drohen.



Und der Hauptpreis, der Max Ophüls Preis 2011? Der ging an ein Emigrations- und Illegalendrama: DER ALBANER (D 2010) von Johannes Naber, der, zum großen Teil in Albanien gedreht, einen Einblick in die dortigen Verhältnisse gibt. Naber übrigens hielt die beste Dankesrede seit langem? jemals? indem er die Gelegenheit nutzte die hiesige Film- und Kinopolitik und -ökonomie zu kritisieren und zum Beispiel eine Verstärkung der Verleihförderung anzumahnen. Wenn also irgendwo tatsächlich eindeutig und grenzgenau von deutschem Film die Rede sein kann, dann – leider – in solchen Bereichen…



Was das ganze Herkunfts- und (beinah) Identitätsgesinne soll? Sicher, auch in den letzten Jahren (und davor) haben wir immer im frankreichnahen Saarbrücken in Sachen Thema, Finanzierung und kreativem Personal Kultur- und National-Grenzgänger, Austausch und Fusion, beste Darstellerinnen wie Irina Potapenko (geboren auf der Krim) oder Nora von Waldstätten (geboren in Wien) bewundern und feiern dürfen. Aber 2011 strahlte das Filmfestival als ein ganz eigener Integrationserfolg besonders hell, schlicht weil es ein ganz anderes Verständnis von Integration an den Tag brachte, eines, das in anderen, öffentlichen Debatten, den Diskursen der „Einwanderung“ und „Leitkultur“ wenn nicht zu kurz kommt, so doch stets ein bisschen zu unanschaulich bleibt.

Im Schmelztiegel Kino, der in Saarbrücken geboten wurde, macht es dahingehend nicht mal sonderlich Spaß (geschweige denn Sinn), groß drüber nachzusinnen, ob Deutsche etwas über Albaner erzählen „dürfen“ (also ihre Leidensgeschichte „klauen“ oder vereinnahmen), ob Erfolgseinwanderer in Schubladen gesteckt, auf immer gleiche Weise vorgezeigt oder sich an bestimmte, auf „ihre“ Sujets fesseln (lassen). Natürlich gibt es dahingehend gewissen Schwerpunkte und Muster, aber schon 180° und FLIEGENDE FISCHE MÜSSEN INS MEHR zeigen, dass bei aller möglichen Kritik sich keine Vereinnahmungen und Erzählpolitiken mehr pauschal und eindimensional finden lassen, ohne dass sie mühsam daherkonstruiert würden. Fremde erzählen vom Eigenen, Eigene vom Fremden, beide vom selben und jeder für sich Universelles, kunterbunt und durcheinander.

Das eröffnet den Blick auf ganz andere Fragen, die einer anderen Integration, einer beispielhaften, einer der positiven Auflösung. Denn: Was soll das sein, ein „deutscher“ Film, was zeichnet ihn aus, ästhetische, inhaltlich? Integration ist hierbei ebenso wie in der Diskussion um den „Nutzen“ von Einwanderern eine erzegoistische, ausbeuterische Sache, aber eine famose, eine, von der jeder etwas hat: Das deutsche oder (gar schweizer-) deutschsprachige Kino fordert nämlich kein An- und Einpassen von Filmkünstlern, seien sie Türken, Schotten, Polen oder sogar Österreicher. Es integriert selbst, mopst sich und gliedert ganz eigennützige die Eigenarten der Kreativen, ihr Können und ihre Energie, ihre besonderen Blicke und Erfahrungen, ihren Mut, ihre Stimme und ihr Interesse ein.



Ist halt Kunst, ist selbstverständlich, dieses Bereichern, zwangsläufig, nichts Besonderes? Mag sein. Ich sag jedenfalls: Gratulation nicht nur den Gewinnern des Max Ophüls Preis 2011 und vielen Dank – für einen deutschen Film, der nur so gut sein kann, weil es ihn bzw. sowas auch jenseits von Fatih Akin und Co. ganz selbstverständlich irgendwie und eigentlich gar nicht gibt und geben braucht.


(Zu Filmen des 32. MOP gibt es hier demnächst mehr)


Bernd Zywietz

MOP 2011: Tiger und Phantome



Zum 32. Filmfestival Max Ophüls Preis 2011

Blau und weiß prangt er, der Tiger, in Großaufnahme. Aber nicht in Bayern sind wir – Tiger, nicht Löwe! –, sondern in Saarbrücken, und die adrette Raubkatze schaut einen so lauernd-souverän vom offiziellen Plakat des 32. Filmfestival Max Ophüls Preis 2011 (17.-23. Januar) an. Kein ausgefallenes blaues Herz steht als Motiv im Zentrum dieses Jahr (oder, wenn man will, kann man eines in der Nase des Tigers erkennen), dafür also kraftstrotzende Energie, Wildheit. Roarrr…

So kommt auch das Festival daher, der MOP, beworben überall in Saarbrücken, groß im Format. Man ertappt sich dabei, zwischen all den ganzen Festival-Kinoplakaten, die an den Wänden im Cinestar kleben, immer wieder beim Tiger zu landen und zu denken: Cool, den Streifen will ich sehen!



Dass mit dem Streifen-Sehen war das jenseits der des Tigers jedenfalls nicht so einfach – zumindest zum Auftakt am Montag und Dienstag. Viele der Filme waren schon vorab ausgebucht, was den Berichterstatter vor einige Probleme stellte, musste doch ad hoc an der Kinokasse der ausgefeilte Stundenplan umgetüfftelt und neu disponiert werde. Dafür sind die Kinokartenausdrucke, die es dann gibt, RIESIG im Format; Penner können sich auf winterlichen Parkbänken damit zudecken. Jedenfalls fast. Kleine Penner.

Das mit den Karten erübrigte sich allerdings schnell. Z.B.: Eine Vorstellung für Mittwochabend sei ausgebucht, hieß es noch am Dienstag. Am Mittwoch früh noch mal nachgefragt, gab es plötzlich eine. Dafür war das Kino abends überbucht. Egal, Tiger sind für Eleganz und Kraft bekannt und nicht für den Termitenhausbau.

Zum Auftakt der Veranstaltung am Montag: Die obligatorischen einleitenden Worte, darunter auch der polternde saarländische Ministerpräsident Peter Müller. Schon hier trat man souverän breitschultrig auf. Lässig in der Präsenz. Muskulös. Die Hauptjury ist dieses Jahr besonders namenhaft besetzt. Sechs Leute, neben dem letztjährigen MOP-Gewinner Maximilian Erlenwein (SCHWERKRAFT), Daniel Levy, Kameramann Benedict Neuenfels gibt es darin gleich drei Schauspieler: Helo von Stetten, Gottfried John und – ohne hübsche junge Dame geht’s eben nicht: – Cosma Shiva Hagen. Wird also dieses Jahr die Darstellerkunst den Ausschlag für die Wahl zum besten Kurz-, Mittel und Langfilm-MOP geben? Schauen wir mal. Nicht unklug jedenfalls der Gedanke, den SR-Moderator Oliver Hottong während des feierlichen Auftakts der Jury mit auf den Weg gab: Nachdem Gottfried John auf die Frage nach seiner Erfahrung mit Rainer Werner Fassbinder eloquent nicht geantwortet hatte, gab Hottong zu bedenken, ob die Jury den jungen RWF, wäre er heutzutage unter den Newcomern in Saarbrücken, als den großen Autoren des deutschen Films erkennen würden.

Der Eröffnungsfilm war ein Dokumentarfilm, ein außergewöhnlicher und empfehlenswerter: BAD BOY KUMMER (CH 2010) von Miklós Gimes handelt von dem Hollywood-Starjournalisten Tom Kummer, der in der Schweiz und in Deutschland mit spektakulären Interviews von Sharon Stone und Sean Penn bis Mike Tyson für Aufregung sorgte. Noch nie hatten die Idole sich einem Reporter geöffnet, noch ein Schreiber ihre Tiefe aufgezeigt und ausgelotet. Das Problem: die privaten Seelenblicke und Innenschauen waren samt und sonders erfunden. Gimes war selbst als Redakteur von Kummer geschädigt, und sein Film ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem erratischen Charakter dieses Halunken, den Gimes auch in eigener Sache nicht schont, der Gimes aber auch – wie dem Zuschauer – letztlich doch ein tragisch-faszinierendes Rätsel bleibt. In Los Angeles hat Gimes den Fälscher und Ex-„Tempo“-Autor besucht, der dort mit seiner Familie lebt und sein Geld als Paddle-Tennis-Coach verdient. In der Schweiz und in Deutschland begleitet er ihn, bringt ihn mit alten Weggefährten und Opfern seiner Fabulierkunst zusammen. Große Namen von diversen führenden Blättern bekommt man dabei zu sehen (nur nicht die ehemaligen Chefs des SZ-Magazins, verständlich).

Kummer changiert, schillernd, man bekommt ihn nicht zu packen, weil: er sich selbst offenbar nicht. Klar, er hat Scheiße gebaut, aber: Man musste doch wissen, dass das nicht hat echt sein können. Weder steht er zu seinen Münchhausen-Stücken, noch entschuldigt er sich für sie. Gimes rekonstruiert die Vergangenheit eines sensiblen, merkwürdig unsicheren Menschen, eines Künstlers und nun manischen Sportlers, der joggen geht, um sich nicht mit sich selbst auseinanderzusetzen zu müssen oder aber mit dem, was er auch sich selbst erdichtet hat. Ein Oberflächenphänomen, für das die Künstlichkeitsmetropole LA Heimat und Verdammnis in einem ist, Irrealopolis.



Im Film wie im Gespräch danach vertritt Gimes einen seltenen und respektablen sachlichen Journalisten-Ethos: Dass es keinen Unterschied mache, ob die Interviews mit den artifiziellen Figuren, die die Namen der großen Schauspieler und sonstigen Berühmtheiten tragen, erfunden seien – weil ja auch Stone & Co. nicht echt seien, weil die Interviews irgendwie „wahrhaftiger“ wären... Mit sowas kann man ihm nicht kommen, derlei postmodernes oder ‑strukturalistisches Gedankengut ist im fremd. Gimes zieht eine klare Linie zwischen subjektivem Journalismus, Gonzo-Schreibe und dem kompletten Erfinden von Begebenheiten. Kummer zum frechen Künstler hochzustilisieren, ist ihm ebenso falsch, wie den großen Jungen mit den hageren markanten Zügen als kalkulierten Betrüger abzustempeln.

So ist BAD BOY KUMMER ein selten faszinierendes Porträt, das doch keins ist oder nur eines, bei dem sich die Einzelteile, die durchaus zusammengehören, doch nicht zu einem Ganzen fügen. Jenseits von falschen Starinterviews, der Beziehung zwischen Kummer, den Redakteuren, den Stars und dem Publikum, blickt der sachliche Gimes wie durch Zufall auf ein verblüffend fundamentales Thema, über das sich Max Frisch einen Nobelpreis erschrieben hat: Wie man sich selbst die Welt und das eigene Ich darin zur Geschichte erzählt, bereitwillig etwas vorgaukelt und darüber nichts Lüge, aber alles eben auch nur Spiel bleiben muss. Anders gesagt: Was Kummer getrieben hat, kann man nicht sagen, schlicht weil dafür nicht die richtigen Worte und Kategorien zur Hand sind, die ihn und sein tun hinreichend beschreiben würde. BAD BOY KUMMER ist ein großartiger Dokumentarfilm, weil es zeigt, wie er selbst in seiner Suche und Analyse immer nur ein Bruchstück Wahrheit herausbekommt.

Ein anderer Film, ein anderer faszinierend-schillernder unauflösbarer Charakter – wobei man die Faszination nur relativiert, in Anführungszeichen oder hinter vorgehaltener Hand zugeben mag: ANDREAS BAADER – DAS LEBEN EINES STAATSFEINDES heißt der Film von Klaus Stern und erzählt – der Titel lässt’s erahnen – vom Chef der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) oder der „Baader-Meinhof-Bande“. In sechzig Minuten versucht Stern Baader zu porträtieren, den Egomanen und Narzissten, der als Kind so ruhig und verträumt war, dem die harte Hand des Vaters fehlte, wie es in einem Schulzeugnis heißt, der in München und Berlin den Macher gibt, der auf Action aus ist, zum Radikalen wird, ein Outlaw wie im / aus / für das Kino. Stern bekommt Baaders ehemalige Lebensgefährtin vor die Kamera, die sich bislang geweigert hat, auch den Stammheim-Richter Prinzing, der Baader im Rückblick Respekt zollt, auf seine Art, gar nicht bös gemeint: das Zeug für einen ordentlichen Wehrmachtsoffizier hätte er gehabt, der Baader.



Freilich, bei allen Kinderfotos von Baader und Erinnerungen von Weg- und Lebensgefährten bleibt Sterns Verwunderung, dass es soviele Filme und Biografien zur RAF und ihrer Zeit gäbe, bislang aber keine – auch nicht als Buch – nur mit Baader allein insofern mit einem Achselzucken zu beantworten, als der „Gegenstand“ oder „Stoff“ von ANDREAS BAADER – DAS LEBEN EINES STAATSFEINDES nicht politisch und sozial so brisant ist, sondern dass Stern selbst letztlich nicht mehr und nichts anderes von und zu Baader erzählen kann, als es die vielen RAF-Spiel- und -Dokufilme schon getan haben. Die Muster der Erklärungs- oder zumindest Begründungssuche sind auch hier die immergleichen, greifen auf die typischen Schemata zurück. War es die Psychologie? War es die Aufbruchsstimmung der Zeit, die individuelle Thrill-Suche? Tatsächlich der (post-) faschistische deutsche Staat? Statt der Anti-Schah-Demo samt ihrer brutalen Sprengung durch die Polizei sind es hier eben die eher apolitischen Schwabinger Krawalle in München, bei denen Baader die Brutalität der Ordnungshüter abstieß.

So bleibt letztlich auch Stern also nichts anderes übrig, als die Black Box Baader staunend in den Händen zu drehen und von vielen Seiten zu betrachten. Was vielleicht ehrlicher ist und das einzige, was man halt mit diesem – schließlich nicht repräsentativen, fast ikonischen – Gesellen einer arg bewegten und blutigen Zeit machen kann.


Bernd Zywietz