Grindhouse-Nachlese Februar 2011 – Gurke und Brood

„Vigilante“, USA 1983. Regie: William Lustig.

„The Brood“, Kanada 1979. Regie: David Cronenberg.


Boris Becker, der verehrungswürdige Kurator der Grindhouse-Filmreihe im Mannheimer Cinema Quadrat, hat mir, so empfinde ich es, einen persönlichen Gefallen getan. Eigentlich nämlich wäre ich bei der Februar-Doppelnacht gar nicht da gewesen, musste jedoch aus persönlichen Gründen meinen Berlinale-Trip vorzeitig abbrechen und konnte nun erleben, wie Becker bei der Zusammenstellung des Februar-Programms meinem Wunsch entsprochen hat: Ich hatte ihn im Januar – meine Abwesenheit im Februar antizipierend – gebeten, irgendwelche Gurken zu zeigen, die mich nicht interessieren würden. Und tatsächlich: „Vigilante“ aus dem Jahr 1983 von „Maniac“-Regisseur William Lustig ist ein wirklich schlechter Film, der auf den unteren Rängen der bisher gezeigten Grindhouse-Perlen rangiert: so schlecht, dass es nicht mal mehr Trash ist.

Die Story ist eigentlich ganz einfach, ein Selbstjustiz-Plot, aber sehr konfus und durcheinander erzählt. Am Anfang sehen wir Blaxploitationstar Fred Williamson, der seine Bürgerwehr einschwört auf den Kampf gegen das allgegenwärtige Verbrechen, gegen die Penner und Punks und Junkies, wegen denen man nicht mehr sicher über die Straße gehen kann, während Polizei, Justiz und Politik kläglich versagen. Wie es halt so ist, wenn’s um innere Sicherheit geht. Dann wechseln wir in ein Mietshaus, wo ein Bösewicht einer schönen Frau nachschleicht und sie auf dem Hausdach vergewaltigt und ermordet. Das Motto ist klar: wo etwas Schönes ist, sind die Schurken nicht weit, um es zu zerstören. Dessen eingedenk sehen wir eine Familienszene im Park, der Sohn spielt mit dem Modellflugzeug, der Papa, der Eddie Marino heißt, von Robert Forster gespielt wird und unschwer als künftige Hauptfigur erkennbar ist, verspricht der Mama, künftig weniger zu arbeiten und mehr für die Familie da zu sein. Und alsbald kommt eine grauslige Szene: Wie ein Mob drogengetränkter Gewalttäter ins Haus der Familie Marino eindringen, wie sie die Mutter jagen, den Sohn ermorden. In dieser Szene geht Lustig kompromisslos vor, geht den ganzen Weg von der Angst der Mutter über die Gewalt gegen Sachen bis zum Versteck des Jungen hinter dem Duschvorhang, dem einer mit Schrotflinte nachspürt, während die Mutter durch den Garten, zwischen all den auf der Leine aufgehängten Wäsche hindurchjagt, um Hilfe schreiend – doch niemand will es hören…

Das ist die beste Szene des Films, radikal durchgespielt bis zum bitteren Ende. Im weiteren Verlauf wird sich dann zeigen, dass Robert Forster kein guter Schauspieler ist, er kann nicht mal die einfachen, klaren Emotionen von Trauer und Wut in Eddie Marino darstellen. Mit immergleichem Gesichtsausdruck, ob vor dem Trauma oder danach, treibt er hilflos durch die Handlung. Der Sohn ist tot, die Ehefrau im Krankenhaus, schwer verletzt, er darf sie nicht besuchen. Der Anwalt des angeklagten Übeltäters ist korrupt, der Richter ein schmieriger Fiesling, die Staatsanwältin hilflos; und noch dazu führt die Handlung Eddie ins Gefängnis wegen Missachtung der Justiz, wo er prompt von zwei bulligen Bullies vergewaltigt werden soll. Wäre nicht Woody Strode in einer Nebenrolle, der ihm aus Gefälligkeit hilft.

Währenddessen geht die Handlung außerhalb des Gefängnisses, auf einem zweiten Gleis, weiter, mit einem Plot, der eigentlich gar nichts mit irgendwas zu tun hat, der aber den Film füllen soll, solange die Hauptfigur untätig im Gefängnis sitzt: Fred Williamson und seine Vigilantengang sind hinter den Dealern und Drogenhändlern des Viertels her, die böses weißes Pulver an Schulkinder verticken. Blutig blutig, wie sie sich immer weiter nach oben foltern, und oh, der eine Dealer schmeißt auch noch aus Spaß einen Gelähmten im Rollstuhl um! Williamson, Ex-Footballstar, hat noch genug Action in den Beinen, um den Schurken über diverse Dächer zu verfolgen und ihn dann zusammenzuschlagen.

Dann kommt Eddie raus, und er verübt ein paar Selbstjustizanschläge – jagt den Mörder des Sohnes über eine Baustelle und schmeißt ihn von oben runter, hat inzwischen auch gelernt, eine Autobombe zu bauen. Und dann hört der Film einfach auf, ohne irgendwelche dramaturgischen Fäden zu entknäueln, ohne irgendwas wirklich zu Ende zu führen. Ohne jemals Spannung erreicht zu haben oder so was wie Stringenz. Ohne etwas anderes als populistisch nach Lynchmob, Bürgerwehr und radikale Optimierung der inneren Sicherheit zu rufen – ganz offensichtlich ein Film der beginnenden Reagan-Ära.

Als zweiten Film zeigte Becker wieder mal einen Klassiker, den frühen David-Cronenberg-Film „The Brood“ von 1979. Der fängt schon mal gut an: Oliver Reed in einer theaterähnlichen Situation spricht mit einem nervösen Mann, in der Rolle von dessen Vater beschimpft er ihn, demütigt ihn böse – „Michael, du hättest besser Michelle geheißen!“ – und kitzelt so aus diesem die Gegenwehr-Reaktion gegen den Vater heraus: nicht nur verbal, auch körperlich, eine Art allergische Reaktion, wenn sich am ganzen Körper rote Pusteln bilden. Eine Demonstration des Psychiaters Hal Raglan, den Reed mit der ihm eigenen brütenden Contenance gibt, für seine selbstentwickelte Therapiestrategie, die er „psychoplasmics“ nennt.

In seiner Obhut auch Nola, die verstörte, gestörte, geschiedene Frau von Frank Carveth und Mutter der kleinen Candice. Frank entdeckt an Candice Spuren körperlicher Gewalt – hat Nola sie geschlagen und misshandelt beim gesetzlich geregelten Wochenendbesuch bei der Mutter in der Anstalt? Ah, man darf Nola das Kind keinesfalls vorenthalten, sie ist gerade in einer entscheidenden Phase der Therapie, wiegelt Raglan ab…

Als die Oma auf Candice aufpasst, wird diese dann von einem Zwergenwesen in rotem Kapuzenanorak brutal ermordet, Candice bleibt noch verstörter zurück, als sie ohnehin schon gewesen ist. Der rote Zwerg, geklaut offenbar aus Nicolas Roegs „Don’t Look Now“ / „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, verbirgt sich im Haus, tötet auch noch Candices Opa. Später treten die Wesen zu zweit auf, killen Candice’s Lehrerin, mit der Frank anbändeln wollte. Und spätestens jetzt ist klar, woher sie kommen: aus der Anstalt von Dr. Raglan…

Das ist durchaus spannend gemacht, ein schöner Horrorthriller, in dem Psychoanalyse, tiefe innere Wut, die Hilflosigkeit eines alleinerziehenden Vaters gegenüber dem Unerklärlichen, die tiefe, traumatische Verstörung eines kleinen Kindes, grausame Mütter und brutale Väter, die nie heilende seelische Wunden verursachen, ineinander verwoben werden. Und dazu, Cronenberg-typisch, körperliche Degeneration: die psychoplasmische Behandlungweise geht nicht nur die Seele an, auch der Körper reagiert, mit roten Pusteln, mit auswucherndem Kehlkopfkrebs – der aussieht wie Jahrzehnte später bei karibikverfluchenden Piratenkapitän Davy Jones; und mit außerkörperlichen Geburten, externer Brut-Gebärmutter, aus der fiese kleine Biester geboren werden…

Mit dem zweiten Film hat Boris Becker den miesen ersten wieder gut gemacht; ich kann schließlich nicht erwarten, dass die 40 anderen des Grindhouse-Stammpublikums mit gleich zwei Gurken an einem Abend abgespeist werden. Im nächsten Monat bin ich wieder offiziell dabei; und ich erwarte das Beste vom Schlechten.

Harald Mühlbeyer