Grindhouse-Nachlese Januar 2011 – Pop-Art und Kettensägen

„Das zehnte Opfer“ / „La decima vittima“, Italien 1965, Regie: Elio Petri.

„The Texas Chainsaw Massacre Part 2”, USA 1986, Regie: Tobe Hooper.


Marcello Polleti, gespielt von Marcello Mastroianni mit absurd gebleichtem Haar, wohnhaft Fellinistraße 8 ½, ist halt Italiener: Seine Noch-Ehefrau hebt sein Geld ab, die Geliebte will ihn, Gott bewahre!, heiraten; und er hängt an seinen Eltern, nicht aus Liebe, eher aus alter Gewohnheit. Deshalb verwahrt er sie hinter einer geheimen Schiebetür, schützt sie vor den Spionen des Senioren-Liquidierungs-Ministeriums. Marcello braucht Geld und will nicht viel dafür tun: also hat er sich gemeldet für das große Spiel, und er hat die sechste Runde siegreich überstanden.

Caroline Meredith, gespielt von Ursula Andress, ist Amerikanerin durch und durch. Sie versteht ihr Geschäft, geht es professionell an, und einen Werbevertrag mit Ming Tea lässt sie nicht sausen. Sie ist nahe dran, Champion zu werden, nur noch die zehnte Spielrunde muss sie überstehen, dann bekommt sie Geld, Orden, Ehrungen, wird so was wie Superstar, Dschungelkönigin und Jauch-Millionär zusammen. Jetzt ist sie auf Marcello angesetzt, und das Fernsehteam von Ming Tea will natürlich aufzeichnen, wie sie unter Werbeslogans („Ming Tea stärkt die Liebeskraft“ bzw. „Mit Ming Tea lebt man länger“) den Gegner tötet.

Caroline und Marcello sind nur zwei von vielen Kandidaten beim großen staatlichen Spiel „Die große Jagd“, weltweit organisiert, von Ministerien verwaltet. Jeder muss fünfmal Opfer, fünfmal Jäger sein, der eine muss den anderen erledigen. Legalisiert eure Morde! Selbstmörder: meldet euch zum Spiel! Das Ministerium umwirbt alle, Aggressionen sollen in rechtlich einwandfreie, kanalisierte Gewalttaten umgeleitet werden: womit zum Beispiel Kriege verhindert werden.

„Das zehnte Opfer“ von Elio Petri erinnert frappant an Tom Toelles Fernsehfilm „Millionenspiel“ von 1970, nach dem Buch von Wolfgang Menge; und tatsächlich gehen beide auf Kurzgeschichten desselben Autors zurück, allerdings auf verschiedene: The Prize of Peril bzw. The Seventh Victim von Robert Sheckley. Doch wo Toelle eine Art TV-Realismus nachstellt, eine inszenierte TV-Spielshow nachstellt, da setzt Petri ganz auf künstliche Stilisierung. Und sein Popart-Produktionsdesign trägt eine Menge zum Spaß bei, den dieser Film bereitet. Die Sechziger in Höchstform! Style ist alles in der Welt, die der Film zeigt, die Kostüme sehen aus wie wandelnde Op-Art-Werke, klare Linien von Beton und Glas, abstrakte, obskure Skulpturen stehen in der Gegend rum. Marcellos Haus ist mit einer Menge Gipsfiguren geschmückt, gestaltet nach den im Todeskrampf der Ewigkeit anheimgefallenen Pompeji-Opfer. Bunt ist alles, und radikal modern; weil die Gegenwart der 60er extrapoliert ist auf eine ungewisse Zukunft, mit größter und zugleich feinster Ironie: In einem Café hören wir Jazz als Filmmusik, die sich als source music entpuppt, zwei Saxophonspieler räkeln sich in bizarren Posen auf zwei Stelen. Am Rand der Autobahn warten nicht Rasthöfe, sondern Relax-Stationen auf den gestressten Herrn, der wählen kann zwischen asiatischer und nordischer „Massage“. Immer wieder tauchen irgendwelche Jäger und irgendwelche Opfer auf, andere Mitspieler bei der Großen Jagd, die sich im Handlungshintergrund Schießereien liefern: Mord ist alltäglich, solange sich der Täter als Spielkandidat ausweisen kann. Am Strand versammeln sich zur Abendstunde die Sonnenanbeter, eine religiös verzückte Sekte, deren Priester Marcello ist, der – ohne an irgendetwas von diesem Quatsch zu glauben – eine kleine Abschiedpredigt auf die Sonne hält, die leider, leider wieder im Meer versinken und ertrinken muss; aber, bei aller Trauer, kann man sich auf freuen für die Brüder in Kalifornien, die das aufgehende, auferstehende Gestirn neu begrüßen können… Die tränenreiche Verzückung wird nur gestört von den Ungläubigen, diesen verdammten Neorealisten, die hinter der Abzäunung mit Tomaten schmeißen.

„Das Zehnte Opfer“ ist mit unbedingtem Willen zur Modernität, zum 60er-Zeitgeist, zum Spiel-Stil des Pop-Art gedreht; und zugleich ironisiert er diese Modernität, stellt zugleich dar und bloß, setzt Unernst neben Ernst, nutzt alberne Kalauer und kritische Satire wie er Avantgarde-Kunst neben die antiken Ruinen Roms stellt. (Und natürlich ist genau das der Zeitgeist der 60er: zu stilisieren, und die Stilisierung gleichzeitig selbstironisch aufzulösen.) Unauflösbar miteinander verschlungen sind Handlung und Setting, der von Caroline angedachte Showdown ihres Mordes an Marcello vor laufenden Kameras kann natürlich nur im antiken Tempel der Venus stattfinden (im Kolosseum sind zu viele Löcher im Boden, da kann das Ballett nicht auftreten); während Marcellos Gegenintrige nur in der modernen Villa eines Industriellen stattfinden kann (weil er einen Swimmingpool und ein Krokodil benötigt). Am Schluss gibt es ein Maschinenpistolen-Gefecht auf dem Forum Romanum, Marcellos Ex-Frauen mischen kräftig mit…

Zu diesem Zeitpunkt hat sich der Film schon in eine Screwballkomödie gewandelt. Denn, ganz klar: Jeder Film braucht eine Liebesgeschichte, und wenn sich Mann und Frau bekriegen, müssen sie sich am Ende kriegen. Weshalb irgendwann verschiedene Nebenfiguren – ohne, dass der Film dafür irgendwelche Anhaltspunkte gegeben hätte – eine Verliebtheit zwischen Marcello und Caroline behaupten, und holterdipolter simsalabim: die beiden fühlen sich verliebt. Das kann man als groben Bruch der Charaktere werten; oder als ironisch-affirmative Befolgung der Konventionen, die das Klischee persifliert. Am Ende muss auf jeden Fall eine Hochzeit stehen, in Italien muss geheiratet werden. Und wo zu Beginn des Films in einem SM-Club scharf geschossen wurde, da erblühen nun – make love, not war – Blüten aus dem Revolverlauf.

Ein großartiger Anfang für eine Grindhouse-Nacht war dieser Film; nein: zwar nicht wirklich Mitternachts-Bahnhofkino, dafür eine längst vergessene Perle der Filmkunst. Ein gelungener Streich – und der zweite folgt sogleich.

Vor ein paar Tagen, ungelogen, hatte ich erwogen, mir diesen nun folgenden Film auf DVD anzuschaffen; und ich hatte Abstand davon genommen, weil es sicherlich nur das halbe Vergnügen ist, ihn allein vorm TV anzusehen. Weil er auf jeden Fall ein Kandidat für die Grindhouse-Nacht ist; und, wie es das Schicksal so fügt: nun kam er, in der ungeschnittenen Originalfassung: Tobe Hoopers „Texas Chain Saw Massacre 2“ von 1986, der Film, den Schlingensief als Haupteinfluss für seine eigene Kettensägenmassaker-Version angegeben hatte.

Der erste „Kettensägen“-Teil von 1974 konzentrierte sich ganz auf Terror, auf das Schaffen einer bedrohlichen, unheilschwangeren Atmosphäre. Erst am Ende geht es los mit dem Blutgericht-Gemetzel, mit dem kannibalischen Abendmahl der texanischen Hinterwäldlerfamilie: mit allen Mitteln der Horrorkunst geht einem der Film an die Nerven und an die Nieren. Der zweite Teil, der 13 Jahre später spielt, ist eine Parodie darauf, auch auf den ganzen Horror-Undergroundkult, der sich um Kettensägen und Konsorten gebildet hat. Ein ganz abgedrehter Film mit sehr speziellem Humor, der sich vielleicht nicht jedem erschließt. Vor allem, wenn man so was wie den Vorgänger erwartet.

Von Anfang an ist klar, was Schlingensief an diesem Film faszinierte: es geht nicht um Normalos, die in die Hände brutaler Perverslinge fallen; nein: hier regiert überall und bei jedem der Irrsinn, vom ersten bis zum letzten Bild. Zwei durchgeknallte Teenager rasen über die Landstraße, schießen auf Briefkästen und Straßenschilder, ja: die Jungs sind gut drauf, und das wollen sie auch allen zeigen. Deshalb rufen sie beim lokalen Radiosender an, beim Wunschprogramm der Moderatorin Stretch, und labern sie heftig voll. Dumm nur, dass sie bei all dem Fun, den sie da haben, einen Pickup-Truck von der Straße drängen… der dann, nachts, vor ihnen auftaucht, auf sie zurast, dann rückwärts neben ihnen herbraust, just bei einem weiteren dieser spaßigen Anrufe bei Stretch. Auf dem Dach des Trucks taucht ein Freak auf, die überdrehten Jungs kriegen total den Horror, und Stretch hört am anderen Ende der Autotelefonleitung alles mit an: wie Leatherface grunzt, wie die Jungs in Todesangst schreien, wie die riesige Motorsäge aufhäult, das Auto zersägt, bis sie zu den Körpern vordringt…

Subtiler Suspense-Horror ist hier nicht angesagt, hier geht’s gleich ans Eingemachte, in einer überzogenen Form, die das Splatter- und Slasher-Genre ad absurdum führt. Ganz geradlinig geht der Film weiter: Dennis Hopper tritt auf, als Polizeileutnant Lefty Enright, der verbissen dem ursprünglichen Massaker von vor 13 Jahren auf der Spur ist, damals ist sein Bruder umgekommen, das ganze wurde vertuscht, vergessen, obwohl immer wieder Leute verschwunden waren. Nun findet er den Beweis, den er gebraucht hat: denn dies ist kein normaler Verkehrsunfall, man sägt sich nicht bei 90 Meilen die Stunde die Schädeldecke ab. Das waren sie, die Killer. Und das beste: der Mord ist auf Audiokassette aufgezeichnet, Stretch hatte den Anruf mitgeschnitten, und den sendet sie nun übers Radio: „Hört sich an wie der Soundtrack zu ‚Rambo 3’“ – der erst zwei Jahre später erschien...

Hopper ist die Krönung des Films, wahrscheinlich war er damals nicht mehr allzu sehr auf Droge, auf Alk war er aber sichtlich heftig. Bei seinem ersten Erscheinen vor der Kamera kann er seine rechte Körperhälfte kaum bewegen, wie angeklebt hängt sein Arm am Rumpf; beim zweiten Auftritt ist er blass, mit unglaublichen Augenringen, kaum zu so etwas wie Gestik oder gar Mimik fähig: in jedem anderen Film würde er locker als Zombie durchgehen. Hier aber gehört er zu den Guten, zusammen mit Stretch und deren Radio-Tontechniker. Dieser ist von Anfang an als Opfer prädestiniert, und er erfüllt seine Rolle meisterhaft.

Indem er nämlich weggeht, Kaffeeholen, und Stretch allein im Studio zurücklässt. Wo alsbald Chop-Top auftaucht, der ein extremes Hautproblem hat, eine Sonny-Bono-Perücke trägt und einen Kleiderbügel dabeihat. Mit dem kratzt er sich an der Kopfhaut, reißt sich kleine Hautstückchen ab, die er dann nonchalant runterschluckt. Ekelhaft! Er wünscht sich Iron Butterfly, „In a Vida da Gadda“ (sic!), und schon stürmt Leatherface aus dem Plattenarchiv und jagt Stretch, die gerade noch im Lagerraum Schutz suchen kann… Leatherface ist wahnsinnig, ein Tier, das seine Beute wittert. Und Top Chop ist vollständig irre, brabbelt vor sich hin, während er Schallplatten aus ihren Hüllen reißt. Als der Tontechniker zurückkommt, haut er ihn mit einem Hammer, und haut und haut, und plappert und plappert, und hetzt Leatherface wieder auf Stretch. Als der ihr dann aber gegenüber steht, regen sich menschliche Gefühle. Sprich: die Mordlust wird zum Sexualtrieb, ja: er verliebt sich. Sie hat aber auch ein kurzes Höschen an, schön glatte Schenkel an langen Beinen. „Are you good? Hmmm, are you goooood?“ – Stretch hat einen guten Überlebensinstinkt, sie umgarnt ihn mit lockender Rede und räkelndem Körper. Und wie Leatherface mit seiner ausgestreckten Säge durch eine Kühltruhe mit Eiswürfeln wühlt, wie er sie vor sich hält, da wird plötzlich deutlich, was das Slashergenre überhaupt ausmacht, mit all den tödlichen Waffen, all den Sägen, Hämmern, Eispickel, Messern, Heckenscheren: deutlicher als in „Texas Chain Saw Massacre 2“ kann man kaum zeigen, wie die eindringenden Waffen und das spritzende Blut umkanalisierte Pornographie ist, in Horrorbilder gegossen.

Direkt vom Tonstudio geht der Film auf einen Vergnügungspark, wo historische Schlachten als Family Entertainment nachgestellt sind, in dessen Untergrund die Kannibalenfamilie ihrem einträglichen Schlachtergeschäft nachgeht. Der Boss der Familie, der bereits aus dem ersten Teil bekannte Koch, hatte zuvor schon einen Chili-Wettbewerb gewonnen, und nein: er hat kein Geheimrezept, es liegt nur am Fleisch, das muss gute Ware sein. Man versteht schon, was für Fleisch das war… In den Katakomben des Parks verwursten die Kannibalen ihre Opfer. Stretch fällt durch ein Loch, ein tiefer Fall wie durch ein Kaninchenloch, dann eine Rutsche runter in die Vorratskammer. Dort häutet Leatherface gerade den Tontechniker, zieht ihm die Gesichtshaut runter – plötzlich wird dem Film das Motiv der Maske wichtig, Leatherface, total verknallt, zieht Stretch das Tontechniker-Gesicht über, küsst sie unter diesem ledrig-blutigen Hautüberzug. Und völlig bizarr wird es, als der Tontechniker wieder aufersteht, nein: er war noch gar nicht tot, nun steht er Stretch gegenüber, die sein Gesicht trägt… während eine Kelleretage darüber Dennis Hopper tobt. Er hat sich ein paar Kettensägen zugelegt, mit dem Ein-Meter-Schwert zersägt er die Balken der unterirdischen Gänge, dass die Funken fliegen… Eine wilde Hatz beginnt, als Stretch entdeckt wird, Deckeneinstürze, Angst, Flucht, und schließlich soll sie geschlachtet werden. Ja: Opa lebt noch, 107 Jahre alt und schnell wie Jesse James, er darf wieder den Hammer führen beim Festmahl, Stretch ist angstvoll über einen Bottich gebeugt, der Hammer entfällt wieder und wieder der greisen Hand. Zeit genug für Dennis Hopper, zur Szenerie dazuzustoßen und dem Koch den Arsch aufzureißen („Wir kleinen Geschäftsleute kriegens doch immer in den Arsch!“). Und nein: entgegen dessen Befürchtungen kommt Hopper nicht von der Konkurrenz, nicht vom Catering-Service und auch nicht vom Taco-Mann, es geht nicht um Geschäftsspionage, sondern schlicht um Rache. Weshalb sich Hopper und Leatherface einen Mantel- und Degen-Kampf auf dem Tisch leisten, unter dem der Koch, ganz Geschäftsmann, seinen Bankrott eingesteht, und eine Handgranate zückt.

Man sieht: Tobe Hooper zieht alle Register, um ein Panorama des Wahnsinns zu zeigen, vom durchgeknallten Mordlüstling über den irren Psycho und den pervertierten Kannibalenmetzger mit Sinn fürs lukrative Geschäft bis hin zum besessenen Rächer, der angesichts seiner Feinde völlig durchdreht. Und auch Stretch wird nicht verschont bleiben, angesichts der mumifizierten Kannibalenoma im Rollstuhl, mit der alten, traditionsreichen Kettensäge in den vertrockneten Händen – „the saw is family“… Indem Hooper seinen Film weiter und weiter treibt, geht er weit über die Wirkung seines eigenen ersten Kettensägenmassakerfilms – und in dessen Nachfolge ähnlicher Terrorfilme – hinaus. Wo zuvor die unbehagliche bis unerträgliche Atmosphäre bedrohlicher Mordlust herrschte, da werden nun genau diese Bilder massiert aufeinandergedrängt, bis sie sich wandeln: bis sich eine parodistische Lesart Bahn bricht. Ohne, dass sich ostentativer Nonsens in den Film geschlichen hätte (wie dies ja etwa bei den Peter-Jackson-Splatter-Orgien der Fall ist), gelingt es Hooper ganz ähnlich wie Elio Petri sowohl dar- als auch bloßzustellen, seine Bilder sind sowohl Bilder des Horrors wie auch eines ironisch-parodistischen Kommentars darauf.

Am Ende schwenkt Stretch triumphierend ihre Motorsäge, und ihr irrer Verfolger ist in ein tiefes Loch im Boden gefallen, seinen Tod sieht man nicht – Keim für ein weiteres Sequel. Das aber nicht mehr von Hooper inszeniert wurde; und das man wahrscheinlich auch nicht gesehen haben muss. Im Gegensatz zu den beiden Filmen dieses wunderbaren Double Features.

Harald Mühlbeyer