Ausgezaubert


Ein Abschied von Gestern:
„Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2“


In zehn Jahren haben sich die Harry-Potter-Filme zu einer der erfolgreichsten Kinoreihen aller Zeiten entwickelt. Das war nun insofern kein Wunder, als die Bücher um den jungen Zauberlehrling, seine Freunde und die ganze magischen Parallelwelt samt ihren Schurken und Bedrohungen ein solch globaler Erfolg war, dass man das Ganze sicher auch mit Handpuppen hätte inszenieren können und trotzdem veritable Profit gemacht hätte.

Natürlich hatte sich von „Harry Potter und der Stein der Weisen“ – der 2001 die noch deutlich jüngeren und rundgesichtigeren Darsteller Daniel Radcliffe, Rupert Grint und Emma Watson alias Harry, Ron und Hermine einführten und zu Stars machten – bis zum gerade angelaufenen Finale des Finales „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2“ („HP 7.2“) alles weiterentwickelt: Die Kinder wurden in den Storys und auf der Leinwand älter wie die Bücher von J.K. Rowling dicker (analog „Snape“-Darsteller Alan Rickman, den laut eigenen Angaben im ZEIT-Interview jedes Jahr das schwarze Kuttenkostüme erweitert werden muss).

Mit den immer finster und komplexer (oder zumindest komplizierter) werdenden Geschichten, die Personal, Backstories, Ereignisse und Zauberartefakte ansammelten, die nun im letzten Teil auf einen einstürzen, hatte sich auch der Stil der Filme geändert: von Chris Columbus bunt-naiven Weihnachtsstaune-Filmen über Alfonso Cuaróns ästhetisch wertvollerem, zugleich etwas bemühten und erzählerisch bisweilen kontraproduktiven grünlichem Düstergeschmuddel (in „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“) und Mike Newells episch-edlem, aber auch leicht qualitätssteifem „Feuerkelch“ bis nun zum souveränen David Yates, der die letzten drei Romane in vier Filme adaptiert hat. So gut es eben ging, möchte man sagen, mit Blick auf die „Deathly Hallows“. Und es ging erstaunlich gut, jedenfalls was den ersten Part von „Heiligtümer des Todes“ betrifft.



Der Abschlussband der Kinder-und-Jugend-Fantasy-Saga, die eine ganze Generation global geprägt hat, war kein große Zauberleistung: Die etwas zähe Schnitzeljagd nach den Horkruxen, jenen aufgeteilte Seelenstücken von Potters Erzfeind „Den dessen Namen man nicht nennen darf“ Lord Voldemort, ist in einem Gestrüpp an Vorgeschichten verheddert, und bietet dazu noch die Geschichte (und Geschichten) von den – ebenfalls heiß begeherten –
„Heiligtümern des Todes“, die wieder was anderes sind und irgendwann mal in anderem Kontext aufgetaucht sind. Yates freilich hat mit Kameramann Eduardo Serra aus diesem zähen Dahinerzählen einen stimmungsvollen Film gemacht, mit Bildern, Momenten, Atmosphären, die ganz für sich stehen und Plotlöcher (oder was am Nicht-Erzähltem, Nachgereichtem und Selbst-Wissen-Müssen wie solche wirken mochten) und sonstige dramaturgische Fährnisse und Missstände vergessen machten.

Für „HP 7.1“ war es auch sinnvoll, den Roman für die Leinwand zu portionieren. Doch was man letztes Jahr damit gewann, verliert man nun bei „HP 7.2“, zumindest scheint es so, und vielleicht wäre es angesichts des Stoffs sowieso nichts zu retten gewesen.

„Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2“ beginnt mit der Horkrux-Jagd, bietet fünf Minuten Dialog, der, wie es später auch immer wieder der Fall sein wird, irgendwas zwischen Erklärbär-Infovergabe und Nerd-Talk ist. Irgendwelche Exposition oder das Wiederaufnehmen einer bestimmten Stimmung hat man sich gespart. (Also am besten Teil 7.1 zuvor noch mal schauen; am besten: Doublefeature!)

Nach einer noch einmal letzten zauberhaften Episode in der Koboldbank, geht der Film direkt in den überlangen Dauerhöhepunkt über, in dem schnell und pflichtschuldig um das Zauberinternat Hogwarts gekämpft, beiläufig und ohne inneren Nachhall alle Figuren (auch die Toten) noch mal einen Auftritt haben, Harry Opfert sich, in der Zwischenwelt „Gandalf“-Dumbledore den Obi Wan gibt, Potter zurückkehrt, seine Freundin Ginny küsst. Auch Ron und Hermine küssen sich („Ohhh!! Aaahhh! - hihihi“, sogar in der Pressevorführung). Voldemort wird besiegt. Epilog. Alles halt wie im Buch, soviel davon reingeht in die Filmzeit, und draufgeht, auf die Leinwand.



„HP 7.2“ hat leider etwas von „Transformers 2“, wo man angesichts der Dauerdramatik irgendwann auch ganz ruhig und merkwürdig unbeteiligt wird. Auch hier ist es nicht nur das Schnell-Schnell sowie eine irgendwann leerlaufende Zeitlupen-Pathos-Schraube die ein merkwürdiges Missverhältnis schafft zwischen der behaupteten Bedeutsamkeit vor den Augen und der Gefühlsantwort im Hirn oder im Herz (oder wo man derlei im Zuschauer ansiedeln will). Sicher, es liegt an der Vorlage und dem Zwang, diese möglichst effizient und effektiv, aber auch natürlich ganz „genau“ zu verfilmen; es liegt daran, dass hier nicht nur ein relativ geschlossenes Abenteuer wie in den anderen Harry-Potter-Filmen (zumindest bis Teil 5 oder 6, je nachdem) geboten werden muss; es liegt an dem Zuviel und Zu-Schnell, dem Postulieren, dem Beantworten von Fragen und Zusammentragen, weshalb der Abschluss der Reihe etwas müde ist, „unwürdig“, der aber auch seltsam wehmütig macht.

Das Grundproblem, so es denn eins ist, geht nämlich tiefer, und hierbei zeigt sich, welch kluger Regisseur Yates ist. Der Junge Potter hat sich als Figur vielleicht nicht überlebt, er ist aber in sich, über den Darsteller, im Genre und dem heimlichen Bildungsroman, der „Harry Potter“ auch schon immer war, zu erwachsen geworden. So sehr er für so viele Fans in und mit seinen Abenteuern ein Wegbegleiter über lange Jahre war, man mit ihnen aufgewachsen ist, so sehr ist er eigentlich schon gar nicht mehr da. Seine Verabschiedung hat sich in den Romanen und sonstwo schon vollzogen. Seine (oder zumindest diese) in viele Episoden aufgeteilte große Heldenreise ist um, ehe sie nun als „letzter Rest“ auf die Kinoleinwand findet.

Für diesen erwachsenen Potter – wie erschreckend wenig musste man für die Kamera Radcliffe, Rupert Grint und Bonny Wright alias Harrys Ginny im epilogischen Zeitsprung altern lassen, um sie als Eltern glaubhaft zu machen! – die eigene Geschichte (oder Art der Geschichte) nicht mehr angemessen. All das Rätselraten, die Bedeutungsschwere und die Gut-und-Böse-Konstruktion, die immer verwickelter sein musste, um sie zu legitimieren, zeigen sich in dem Dauerschall des letzten Teils vollends als seltsam überkommen. Nicht nur generisch als altbekannt, sondern auch innerhalb der Serie abgestanden, eindimensional, selbst schon eine Art der Nostalgie. „Herr der Ringe“ hatte immer noch seine ganz eigene, vorzeitliche mythische Welt. „Harry Potter“ war, was selbst ja auch wichtiges Thema war, stand immer zwischen den Welt, einer zauberhaften und einer banalen, alltäglich-menschlichen. Es bezeichnend, dass diese nun im letzten Teil keine Rolle mehr spielt.

Wie in Rowlings Roman der Fall „zeigt“ der Film weniger als dass er „erzählt“, er ist – Vulgär-Lacanismus für Populär-Religionserzatz – in die Ordnung der Sprache eingetreten, mit aller Wahn, Wahr- und Weisheit, die darin liegt. Das Leben bestehen vielleicht aus lauter Abenteuern, ist aber keine geschlossene Heldengeschichte. Rowling hat das gewusst und ihren Lesern final diese letzte schmerzliche Erkenntnis bittersüß verpackt mit auf den Weg gegeben: im Nachspiel, wenn Harry und seine Freund nun ihre Kinder zum Hogwarts Express bringen, dabei auch dem ehemaligen Erzfeind und Mitschülern Malfoy einen Blick gönnen, wie man das halt so macht unter Erwachsenen, wo es immer viele kleine Schurken gibt und – leider – nicht den einen.



Und auch Regisseur Yates unterläuft an drei Stellen den Stoff, den er zu erzählen hat, verweigert sich und möchte, fast subversiv, ein wenig mehr und etwas anderes, ja, dann doch: zeigen. Wenn Potter sich von Voldemort umbringen lassen muss, damit dieser hernach selbst bezwungen werden kann, gibt es keinen „E.T.“-Kurzzeittrauertod, keine weinenden Kinder ringsum, wie es zu erwarten wäre. Ein Lichtblitz und wir sind sogleich mit Harry im gleisenden Zwischenreich. „Was kommt, weiß eh jeder“, wird Yates seinen Produzenten erklärt haben, und Recht hat er, aber das Nicht-mitspielen-Wollen bei dieser Märtyrer-Posse und Taschenspielertrick ehrt ihn darüber hinaus.

Eine andere Szene: Harry, Hermine und Ron müssen sich während der großen Schlacht um Hogwarts durchs Getümmel schlagen. In allen anderen Filmen (auch denen der Potter-Reihe) hätte (und hat) man aus einer derartigen Situation große Spannung geschlagen. Man wäre mit hinein gegangen, so weit es geht. Yates hat das, was wir sehen, in etwa auch so szenisch angelegt. Er distanziert sich bzw. die Zuschauer aber davon, indem er den Ton des Gemetzels herunter- und dafür Alexandre Desplats extradiegetische Musik hochdreht, so dass die Szenerie nicht länger unmittelbar ist, sondern zu einem epischen und doch fernen, einem nacherzählten, ausgestellten Geschehen wird. Einem, das wie die großen Sagen und mythischen Heldentaten so groß(artig) ist, weil es dazu gemacht ist, längst vorbei ist oder nie wirklich war.



Schließlich gar: Harry hat gesiegt, Voldemort ist zu Staub zerfallen, die Welt gerettet, der große Sieg, endlich nach zehn Jahren, 450 Mio. verkauften Büchern in 69 Sprachen, acht Filmen und rund 4,5 Milliarden Euro Kinoeinnahmen. Erschöpft kehrt der berühmte Erlöser Harry, der Wunderknabe zurück vom finalen Zweikampf in die hehren Hallen Hogwarts, wo die geschundenen Gestalten der Guten sich nach dem kleinen großen Krieg versammelt haben. Doch während der ehemalige Junge mit der nun albern gewordenen Nickelbrille im scharf geschnittenen Gesicht durch den Gang geht, beachten ihn all die Mitschüler, Lehrer und sonstigen Bekannten nicht oder nur kaum, sie lachen wieder müde, versorgen ihre Wunden, betrauern ihre Toten. Kein Jubel, kein „Vivat!“ dem Heroen. Nicht länger dreht sich die Welt um ihn. Zeit, erwachsen zu werden.

Wie eine Pflichtstück ist „HP 7.2“ absolviert worden, mit handwerklicher Güte zwar – auch wenn die Bilder immerzu dunkel sind und die Checklisten-Dramaturgie ansonsten viel von dem Können vor und hinter der Kamera den Platz genommen hat –, doch es ist ein Schluss, der eher sein muss, als dass er sein will. Das Spielerische ist vorbei, der Sense of Wonder aufgebraucht. Es ist ein Scheitern, ein schönes immerhin, in dem Sinne als es uns zeigt, was Harry Potter und die Welt der Zauberer so alles und so lange zu geben vermochten, dabei mitgewachsen ist.

Jetzt aber hat Harry Potter seine Schuldigkeit getan, sein(e) Abenteuer durchlebt. Daher, im Guten: Vielen vielen Dank Harry, für alles.
Du kannst jetzt gehen.


Bernd Zywietz