DICKE MÄDCHEN überall!



Günstig gemacht, nie aber billig ist DICKE MÄDCHEN von Axel Ranisch – vielleicht der Überraschungshit des Jahres. Für nominelle 500,- Euro Budget entstanden ist der Film. Ranisch improvisierte mit Peter Trabner, Heiko Pinkowski und seiner Oma Ruth Bickelhaupt, drehte das alles auf MiniDV – und erzählt damit eine urkomische wie berührende Geschichte, nicht zuletzt über Menschlichkeit und die Ränder und Grenzen von Konventionen in puncto Leben und Liebe.

Ranisch, Cast und Crew von DICKE MÄDCHEN, aber auch die kleine Produktionsfirma Sehr gute Filme, zu der neben Ranisch auch Pinkowski, Produzentin Anne Baeker und Kameramann Dennis Pauls gehören, konnten sich nicht nur freuen, dass der Film es tatsächlich, nach mehreren Preisen (u.a. dem fürs beste Drehbuch!), ins Kino schaffte (dank des Verleihs Missing Films): DICKE MÄDCHEN wurde dieses Jahr auch mit einer Sonderehrung des Deutschen Kurzfilmpreises
bedacht. 

Seit dem 15.11. läuft DICKE MÄDCHEN auf deutschen Leinwänden (kommt dabei auch nach Mainz: ins CinéMayence, ab dem 24.1.2013!).

Ein Interview mit Axel Ranisch gibt zum Lesen und zum Anhören HIER bei Deutschlandradio Kultur. Und unter dem Titel „Jedes Gramm ist eine Genuss“ rezensiert Daniel Sander DICKE MÄDCHEN auf Spiegel-Online.

Früher natürlich noch hat Bernd Zywietz DICKE MÄDCHEN und Axel Ranisch „entdeckt“. Weshalb Sie in ANSICHTSSACHE - ZUM AKTUELLEN DEUTSCHEN FILM noch mehr über den sympathischen Filmemacher und weitere Vertreter einer Generation „German Mumblecore“ werden lesen können.


Neuer Reader, neues Blog

Die Screenshot-Redakteure Bernd Zywietz und Harald Mühlbeyer haben zugeschlagen: Ansichtssache - Zum aktuellen deutschen Film heißt das Großwerk, das im Februar im Schüren-Verlag erscheinen wird.

Kurzbeschreibung:

Ansichtssache – zum aktuellen deutschen Film

Es gilt als ein schlechtes Jahr für den deutschen Film, wenn kein neues Werk von Til Schweiger oder Bully Herbig startet, denn dann sinkt die Quote am Gesamtmarkt rapide. Das deutsche Filmschaffen jenseits solcher zugkräftiger Namen aber bleibt meist außen vor und ist an handfesten Zahlen nicht festzumachen. Der Großteil der deutschen Filme findet selten den Weg in die deutsche Öffentlichkeit oder auf viele Leinwände. Ist der junge Deutsche Film bei allem Kritikerlob nur für Programmkinos und das Fernsehnachtprogramm gemacht? Immerhin in Fachkreisen finden Diskussionen zu diesen Fragen und Lamenti über Produktions- und Rezeptionsbedingungen, über Qualität und Förderbedingungen, Besucherzahlen und Zuschauerquoten statt.
Ansichtssache – Zum aktuellen deutschen Film will Thesen und Positionen dieser Debatte festhalten – durchaus auch subjektiv, immer aber fundiert, detailgenau und wohlbegründet; ohne Anspruch auf Vollständigkeit, stets aber mit Blick auf das große Ganze.
Das facettenreiche und vielschichtige Filmschaffen Deutschlands in seinen aktuellen Tendenzen betrachtet und begleitet
Ansichtssache - Zum aktuellen deutschen Film mit Fokus auf Newcomerschauspieler und ihre Filme, Independent- und Nachwuchsregisseure, auf Themen, Ästhetiken, Festival- und Produktionsumgebungen, mit besonderem Blick auf die Produktionen der letzten beiden Jahre. Denn zwischen allen „Keinohrhasen“ und „Berliner Schülern“ findet man eine reiche, bunte und vielschichtige Kinolandschaft, sucht aber systematische Publikationen, wache Beobachtungen und Entdeckungslust zu und in diesem spannenden Bereich bislang vergebens. Ob es sich nun um Personen vor und hinter der Kamera, einzelne Filme, Trends, verlorene Traditionen oder neue Chancen der Produktion und Distribution im digitalen Zeitalter handelt: Eine Reihe renommierter Autoren, Filmkritiker, -wissenschaftler und -journalisten, aber auch Protagonisten selbst melden sich zu Wort, kommentieren, analysieren und werfen einen facettenreichen Blick auf den Deutschen Film aktuell.
Beiträge von
Brigitte Bertele, Sebastian Brose, Alexander Gajic, Sascha Koebner, Harald Mühlbeyer, Julia Quedzuweit, Thomas Rothschild, Hajo Schäfer, Bernd Schon, Georg Seeßlen , Rüdiger Suchsland und Bernd Zywietz.


Sie wollen mehr erfahren? Besuchen Sie die Webseite zum Buch: http://ansichtssache-buch.blogspot.de/!

Grindhouse-Nachlese November 2012 - "Das Söldnerkommando" und "Daimajin"

Cinema Quadrat, Mannheim, 24. November 2012

„Kill Squad“ / „Das Söldnerkommando“, USA 1982, Regie: Patrick G. Donahue.

„Daimajin“, Japan 1966, Regie: Kimiyoshi Yasuda.



Da ist man mal wieder bei einer Grindhouse-Doppelnacht, nach vielen Monaten ungewollter Pause; und schon gibt es Neuerungen im Altbekannten: Reihen-Kurator Boris Becker hat einen Assistenten dazugewonnen, der frischen Wind in die Filmauswahl bringen wird. Die hat ja zuletzt oft auf die Horrorkarte gesetzt und soll nun an Vielseitigkeit gewinnen. Frisch erfüllt von einer neuen Dosis Trash will man dann tippend sein Herz ausschütten, will die Belustigung und, ja, Begeisterung in die Welt hinausschreiben. Und macht dann den Fehler, „Das Söldnerkommando“ zu googeln.

 Dann nämlich stellt man fest, dass irgendwelche Schwengel, schlimme Bratenbengel, einem schon lange nen gebrauchten Lutscher ans Hemd geklemmt haben, worauf ich einen totalen Minusbock hab: Völlig illegitim und absolut verwerflich, dass die besten Stellen des Films durch Youtube geistern! Soll man jetzt noch was drüber schreiben, wo’s doch für alle Welt offensichtlich verfügbar ist!? Ein Film, der schon im Original schwachsinnige Dialoge haben muss, die durch die Synchro soweit verschlimmbessert wurden, dass sie an kondensierter Kultigkeit kaum mehr zu überbieten ist. Unbeschreiblich schön, fast poetisch, trifft der deutsche Ton mitten ins Herz des zeitlosen Sprachsalats, der im Wissen um die Sinnlosigkeit jedes Versuchs, US-Umgangsjargon (der er ja ohnehin nur für den Film geschaffen wurde) in irgendeine deutsche Sprechrealität zu verpflanzen, künstlich im verschwitzten Treibhaus hirnhyperventilierender Synchro-Übersetzer hochgezogen wurde.

Bleibt die Handlung, und die ist von einer dramaturgischen Schlichtheit, die ebenfalls geradezu entzückend ist. Joe und seine Frau werden überfallen von bösen Buben. Ganz nebenbei erfahren wir dann, dass die Frau gestorben ist, Joe jedenfalls sitzt im Rollstuhl und will Rache. Also trommelt er seine Vietnamveteranenkumpels zusammen: Den Bodybuilder und den Bauarbeiter, den Gärtner, den Zuhälter, den windigen Betrüger. Jeder einzelne wird vorgestellt durch einen Schwachsinnsdialog, der nahtlos in eine Prügelei übergeht – denn alle im Film, egal ob Autoverkäufer oder Partygäste (auch weibliche!), können Kung Fu, oder zumindest das, was sich das amerikanische Prügelactionkino filmgerecht darunter vorstellt. Das jedenfalls ist das Riff, auf dem der Film basiert, es folgen Strophen und Refrain: Man verfolgt eine Spur, prügelt sich, der Gesuchte kommt um und hinterrücks wird auch einer vom Söldnerkommando gekillt, durch einen geheimnisvollen Snyper. Daraufhin: militärisches Appell in Joes Rosengarten. Und auf zur nächste Prügelei. Und so weiter, bis zu einer lauten, krachenden Coda, in der die diversen Instrumente des Films mutwillig zusammengekloppt werden.

Ein Kontrast dazu: Die klassische, emotional begleitende Filmmusik, die „Daimajin“ bot. Das ist im Grunde ein Crossover aus Samurai- und Riesenmonsterfilm, produziert, um dem japanischen Star Godzilla ein bisschen Paroli zu bieten – und zwar, indem man auf anspruchsvolle Kinematographie setzte, die eben gerade nicht trashig aussieht. Denn Regisseur ??? greift zurück auf die Traditionen des Kinos, speziell auf den deutschen Stummfilm, der oft genug zutiefst romantisch war – mit mythischen Urgewalten, die jeder Vernunft widersprechen.

Romantisch (= antiaufklärerisch) auch „Daimajin“, der die Legende eines steinernen Berggottes belebt, der angerufen wird, das Dorf von seinem gewalttätigen Tyrannen zu befreien. Eine Story wie im Golem, und von Wegener oder Murnau hat der Film einiges; die Natur, die in ihrer überhöhten Künstlichkeit umso gewaltiger wirkt, die Bosheit des Gewaltherrschers, die sich auch ins Metaphysische hinzieht. Denn sein erster Amtsbefehl ist der Verbot einer rituellen Feier, die den Berggott besänftigen soll; der Aberglaube soll bekämpft werden. Der Film erzählt davon, wie das Mysterium zurückschlägt.

„Daimajin“ ist als sinfonische Schöpfung gestaltet, die Filmmusik – die Begleitung für einen Stummfilm sein könnte –, die Ausstattung, die Mise en Scene wirken als harmonische Einheit, in die die Handlung fließend eingebettet ist: Zwei verstoßene Königskinder, die sich nach einem Putsch auf dem Heiligen Berg in der Höhle des Majin versteckt halten und zehn Jahre später die Rebellion gegen den Gewaltherrscher wagen. Beschützt werden sie durch eine Priesterin – sie hält den Berggott Majin in Schach, und sie ruft den Krieg des Sagenwesens gegen den Tyrannen aus. Dieser versklavt die Bevölkerung für megalomanische Bauwerke, lebt in vollem Bewusstsein seiner unumschränkten Macht. Und unterdrückt höhnisch lächelnd jeden Aufstand.

Bis der Majin aufersteht, am Ende des Films. Sein Auftritt ist nicht als Sensation des Riesenmonsters inszeniert, sondern als logische Konsequenz. Bewunderungswürdig die Tricktechnik, die ihn zum Leben erweckt: Schüfftan-Verfahren (oder ähnliches) und Matte-Painting, Modelle und natürlich Schauspiel in der Ganzkörper-Gummimaske sind so gekonnt ineinander geblendet, dass sie niemals lächerlich wirken.

Nein: „Daimajin“ ist kein Schund. Und damit der größtmögliche Gegensatz zum „Söldnerkommando“. Schön, dass alles unter der Grindhouse-Haube Platz findet.

Harald Mühlbeyer

exground 2012 - ein paar Empfehlungen

Vom 13. bis 25. November findet in Wiesbaden die 25. Ausgabe des exground-Festivals zum Independentfilm statt. In der Caligari-Filmbühne, dem Murnau-Filmtheater und im Kulturpalast laufen Kurz- und Langfilme aus aller Welt. Einige davon seien hiermit empfohlen:

"Die Libelle und das Nashorn" von Lola Randl ist eine traumwandlerisch inszenierte Begegnung einer Jungautorin und eines alten Hasen im Filmgeschäft: zwei Personen, eine Nacht in einem Hotel. Gespielt von Fritzi Haberlandt und Mario Adorf - muss man mehr sagen?

"Tabu" von Miguel Gomes ist eine merkwürdig-absurde Reise ins Kolonialafrika, ein großes Liebesmelodram, ein nostalgisches Amalgam aus Filmgeschichte - ein reichlich komischer Film, in jeder Wortbedeutung: seltsam und witzig (für den mit dem rechten Sinn für Humor).

"When the Lights Went Out" ist ein klassisch inszenierter Horrorfilm aus Großbritannien; sehr atmosphärisch, und nur am Ende haut Regisseur Pat Holden zu sehr rein.

"Twixt" von Coppola habe ich schon auf dem Filmfest München bewundert, ebenso "Killer Joe" von Friedkin.

"Mary & Johnny" ist eine modernisierte Verfilmung von Ödön von Horvaths Stück "Kasimir und Karoline". Das wurde letztes Jahr schon von Ben von Grafenstein verfilmt, auf dem Münchner Oktoberfest; Samuel Schwarz und Julian Grünthal verlegen ihre Adaption auf das Züri Fäscht 2010, während der Fußball-WM.

"Puppe, Icke & der Dicke" ist ein vollkommen durchgeknallter Film, vor allem, weil Felix Stien sehr gut das Berliner Unikat Tobi B., der das Berliner Unikat Bomber spielt, in Szene zu setzen weiß. Ein völlig irrer Roadmovie-Trip von drei mehr als merkwürdigen Typen.

Ha! Und das ist nur eine kleine Auswahl des Festivalprogramms!


(müh)

FILMZ findet nicht statt und ist trotzdem da

FILMZ, das Mainzer Festival des deutschen Films, findet in diesem Jahr nicht statt. Doch FILMZ ist nicht tot, und FILMZ zeigt das auch.

Denn jetzt im November, wenn normalerweise Festivalzeit ist in den Mainzer Kinos, finden immerhin drei Veranstaltungen statt, die FILMZ (mit)verantwortet.

So hat das Mainzer FILMZ auf dem Wiesbadener exground ein Eckchen erhalten: Im Rahmen der "Neues aus Deutschland"-Reihe laufen drei mittellange Filme, die von FILMZ ausgewählt wurden. Am 20. November in der Caligari Filmbühne laufen die drei je knapp halbstündigen Filme "Crazy Dennis Tiger" von Jan Soldat, ein Bruderdrama aus dem Brandenburgischen, "Von Hunden und Pferden" von Thomas Stuber, der 2012 den Studenten-Oscar gewann, und "Memo" von Banu Kepenek, wieder mit Brüdern in Brandenburg, diesmal angereichert durch deutsch-türkischen culture clash.

Am 25. Nobember laufen im Residenz&Prinzess-Filmtheater unter dem Motto "FILMZ statt Tatort" Publikumslieblinge der letzten FILMZ-Jahre: Kurzfilme, mittellange Spielfilme und ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm werden gezeigt.

Schließlich findet am 30. November die Veranstaltung "Eine Heimat für den Film" statt, organisiert von Kontrastfilm und TAT in Zusammenarbeit mit FILMZ. Dort gibt es nicht nur Kurzfilme, die FILMZ ausgewählt hat, sondern auch eine Podiumsdiskussion zum Thema "Quo Vadis FILM(Z) in Rheinland-Pfalz?", in dem die Zukunft der hiesigen Filmwirtschaft, des FILMZ-Festivals und die Möglichkeiten und Chancen einer Filmförderung im Land besprochen werden.

(müh)

SKYFALL - Bond bierernst


Warum man den Jubiläums-007-Streifen auch mal nicht so toll finden darf ...

I.
Ja, viel gelobt und beschwärmt ist er geworden, der neue James-Bond-Film SKYFALL. Letztlich auch nicht zur Unrecht: Nach dem enttäuschenden Action-Vehikel QUANTUM OF SOLACE macht SKYFALL unter der Regie von Sam Mendes dort weiter, wo der brillante Haudegen Martin Campbell, der die Bond-Reihe bereits zweimal aus dem Sumpf zog, mit dem Reboot CASINO ROYALE aufgehört hat. Treibt Mendes es zusammen mit der Drehbuchinfanterie John Logan aber vielleicht zu weit? Oder aber: zu einfach? Oder in die falsche Richtung?

Schon CASINO ROYALE war famos, zugleich jedoch eine Herausforderung für alle, die die Kunst- und Kultfigur 007 als unverbindlichen (was nicht automatisch heißt: belanglosen oder beliebigen) Charakter mit enormem Bedeutungs-, Erinnerungs- und Verweispotenzial begriffen haben. Daniel Craigs Bond zeigte in diesem Film Emotionen, ist jung im Geheimdienst Ihrer Majestät; Sturm und Drang – verliebt sich, bekommt sein Herz gebrochen. Damit operierte CASINO ROYALE als Initialisierungs- und Initiationsgeschichte, bediente aber mit erstaunlich wenigen, dafür umso intensiveren Actionszenen auch das Genre – und wer hätte gedacht, dass ein Kartenspiel dabei fast noch spannender hergerichtet werden könnte?

Das Problem mit SKYFALL ist nun, dass die Innovation der Bond-Figur sich nachgerade überkonsequent einem an sich originellen Konzept unterwirft: dem der Erneuerung qua Rückwendung. Extrem gut und weit kommt der Jubiläums-Bond-Film dabei, zudem anspielungsreich und bisweilen (verhältnismäßig) erstaunlich subtil: Auf dem großen Level der Story gibt es in der ersten Hälfte klassischen Exotismus, Bond in der Türkei, in Fernost. Ein Schuss in die Schulter erinnert auch metadiegetisch an andere Bondfilme (THE WORLD IS NOT ENOUGH), zeigt ihn verwundbar bis ausgelaugt - eben: menschlich. Ein neuer „Q“ – brillant: Ben Whishaw (DAS PARFUM - DIE GESCHICHTE EINES MÖRDERSE) als Waffenmeister ist kein weißhaariger Onkel, sondern junger Digital-Nerd mit lässigem Selbstbewusstsein, der eher abschätzig auf die Gadgets vergangener Jahrzehnte schaut. Hier bereits wird sie deutlich, die Vorwärtsorientierung am Rückwärtigen, deren Innovation sich freilich nur mehr durch den Rückgriff auf Bekanntes, Bewährtes, Institutionalisiertes erkaufen lässt, das zugleich abgeschrieben und wieder-geholt wird. Damit dreht sich SKYFALL im Kreis, und erneut lohnt der Vergleich mit CASINO ROYALE, auch was die Arbeit des Geheimdienstes anbelangt: Dort die realistische Gruppe von namenlosen Experten, die sich zu mehreren um eine Mikro versammeln, um Bond aus der Ferne Tipps zu geben, wie er sich einer Vergiftung erwehren hat, und die im Zweifelsfall einfach googeln, wenn es um das mögliche Anschlagsziel auf dem Flughafen von Miami geht. 

In SKYFALL hingegen ist es wieder der einzelne Experte, sind es irgendwie mysteriöse allmachtsvolle Computerkenntnisse, die die Welt schützen oder aber bedrohen, und mit welchem hanebüchenem Eifer Rezensenten den Schurken Silva aus SKYFALL mit Julian Assange und Wikileaks assoziieren, nur weil der (bei aller Vielschichtigkeit und Faszinationskraft, die Javier Bardem der Figur zu verleihen versteht) erstaunlich amorph und bis auf seine persönliche Rache unausgestaltete Schuft Undercover-Agenten über YouTube (!) „verbrennt“, ist ein Phänomen für sich. Da waren wir mit dem Gauner Le Chiffre schon weiter, einfach weil der selbst Gejagter und getriebener war - und der so spektakulär unspektakulär das Zeitliche segnete. 
   
Doch auch sonst ist SKYFALL merkwürdig verbissen traditionalistisch in seiner Gesamtstrategie des Updates. „M“s Kritiker und Nachfolger – einmal mehr herrlich: Ralph Fiennes – verdient Respekt, weil er im Nordirlandkonflikt als Soldat diente und sich auch von der IRA nicht kleinkriegen ließ. Und wenn das (mittlerweile nicht mehr so) neue MI-6-Gebäude an der Themse (das von der IRA tatsächlich 2000 attackiert wurde) dank dubiosem Hacking (sprich: „Cyberterrorismus“) zumindest etagenweise in die Luft fliegt, verlegt man die Geheimdienstzentrale folgerichtig in einen Bunker Churchills aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, um schließlich wieder in einem klassischen Gebäude im Empire-Stil zu enden, wo des neuen (und vor allem, endlich wieder, männlichen) „M“s Büro hinter der ledergepolsterten Tür mit vollem Museums- oder Altherrenclub-Mobiliar ausgestattet ist. Und wo - davor - der weibliche Außenagent wieder da und das ist, wo er hingehört und idealserweise sein soll: hinterm Schreibtisch im Vorzimmer des Chefs als patente Schreibkraft Moneypenny. Während also Eva Green als Geliebte Bonds diesem in CASINO ROYALE innerlich das Herz brechen und die Seele zerrütteln durfte, ist die neue Eve (Naomie Harris mit umwerfender Lebendigkeit) letztlich nur dazu da, Bond zwar aus Versehen anzuschießen, ihn aber in seinem Machismo dann doch nur die letzte Ergänzung zu liefern.

Sinnbildlich steht Bond denn auch über den schönen, musealen Dächern einer imperialistischen Metropole London – jedoch nicht am Anfang des Films (wie es der Trailer von SKYFALL suggerieren mag), sondern am Schluss des Films. Es hat einen langen, letztlich aber leicht enttäuschenden Umweg gebraucht, um bei der Erneuerung der nachgerade archetypischen Figur „James Bond“ letztlich doch (nur wieder) dort zu landen, wo – immerhin – die kulturell erfolgreichste Filmreihe der Welt vor 50 Jahre gestartet ist. Das macht Lust auf den nächsten Film. SKYFALL als Transitstation wird dadurch nicht runder.

II.
All diese Wege und Konzepte ließen sich jetzt einfach und vor allem mit einem gewissen Genuss verkraften (gar mit einer Freunde, die beispielsweise standesbewussten Erfolgen wie dem Harry-Potter-Universum mit dem seinem Internatsflair und der Standes-Bedeutung innewohnt). Wäre da nicht die erstaunlich billige Fixierung auf die „Vergangenheit“ (oder eben: Herkunft) von James Bond im letzten Drittel des Films. CASINO ROYALE zeigte, dass gerade in einem heimat- und ortlosen James Bond, der nicht nur konstruiert biografisch, sondern als Figur selbst immerzu „Waise“, sprich: als „Konzept“ un-bedingt war (um faszinations-, symbol- und wirkmächtig sein zu können) enormes Ergründungspotenzial verborgen liegt. Tatsächlich braucht es ja gewisse Leerstellen für 007, ebenso wie eine gewisse Distanz zu seiner Chefin „M“. Indem SKYFALL beide nun zu „echt“ werden lässt, zu konkret und menschlich (bis hin zu: sterblich), werden die Figuren – tatsächlich: - reduziert auf nachgerade beliebige fiktionale Figuren einer (und entsprechend: nur einer) erfundenen Welt ohne symbolische Magie und Relevanz darüber hinaus.

James Bond als Menschen zu zeigen, mehr noch: als Menschen zu befragen, dass schafft SKYFALL zwar hervorragend, wenn der Film an Bonds Profession zweifelt, hinsichtlich seiner psychischen und physischen Fähigkeiten. Gerade hierin wird 007 als Figur zwischen „M“ und Silva als einer Art „Gegen“-Bond glaubhaft und ambivalent (etwas, das der Widerpart Trevelyan alias Sean Bean in GOLDENEYE so großartig versprach, aber nicht einzulösen wusste).

******** Obacht: SPOILER! ***************

Wenn aber Daniel Craig „M“ in das Haus seiner Familie verbringt, in dem alten Aston Martin als Privatwagen, begibt sich SKYFALL – der Titel bezieht sich auf besagtes Anwesen der Bonds im schottischen Nirgendwo – in einen Bereich, der nicht nur nicht zwangsläufig aus der dramatischen Konstellation und Situation des Films entspringt, sondern der den Film mit Abgegriffenem unnötig kaputt macht – oder bestenfalls für fadenscheinige Meta-Lesarten herhält.

Bis zu diesem finalen Akt ist SKYFALL dahingehend packend, als dass – ausgerechnet! – ein Bond-Film neue Maßstäbe nicht in Sachen Spektakel, sondern in Sachen Zurückhaltung (gleichwohl bei erstaunlicher ästhetischer Finesse – Kamera: Stimmungsaltmeister Roger Deakins) setzt. Der Schluss bietet jedoch einen merkwürdigen Versatzstückhandel. Was an sich nicht so schlimm wäre, haben sich Bond-Filme oftmals anderswo bedient oder zumindest an Fremdem orientiert (z.B. am Kung-Fu-Bahnhofskino der frühen 1970er mit THE MAN WITH THE GOLDEN GUN). In SKYFALL geht es aber ums Eingemachte, um die Backgroundstory von James Bond persönlich. Und so entpuppt sich sein Elternhaus nicht nur als abgeschiedenes Herrenhaus in der schottischen Ödnis (und wo bitte, ist der arme James denn zur Schule gegangen – oder auch nur einkaufen?), sondern er hat noch einen alten Haushofverwalter, der auf den guten alten jungen „Master“ wartet wie zu abgehalftertsten Western- und Kolonialistenzeiten der „Boy“ – und das alles, leider, bar jeder Ironie. Eine, die bitter notgetan hätte, weil sie sich ansonsten von selbst und unfreiwillig einschleicht. Das Anwesend der ehrwürdigen Bonds gemahnt denn auch an Spukkulissen der Hammer-Studios (was, mit einer entsprechenden Ausdeutung versehen, natürlich auch wieder seinen Reiz hat). Aber wenn schließlich Bonds Eltern mit albernen Grabstein gedacht wird und – andererseits – „M“ den unoriginellen, klischierten Tod stirbt (ausblutend, in den Armen Bonds), dann fragt man sich wirklich und leider antwortlos, inwiefern hier noch irgendwie von „Update“ oder „Innovation“ zu sprechen ist. Zumindest von einer, die James Bond und der Idee hinter der Figur, würdig ist. Andreas Borcholte attestiert auf Spiegel-Online Sam Mendes, ihm sei mit SKYFALL ein Action-Thriller gelungen, der den ultimativen Kino-Macho Bond dem Zeitgeist anpasst. Gelungen ist SKYFALL – doch ob die Anpassung an den Zeitgeist, einem, in dem jeder Tatort-Komissar bereits bemüht an sich und seiner Privathistorie herumleidet, in Sachen 007 wirklich so famos ist, sei dahingestellt.

SKYFALL, das ist das Problem, verwechselt (bei aller unbestreitbarer Qualität) letztlich Ernsthaftigkeit und leichthändige weil verweisendeTiefe (= CASINO ROYALE) mit „gothic“ Schwulst als vermeintlichem Ernst aus zweiter Hand, der – einerseits – wenig Deutungs- und Phantasiespielraum zulässt und – andererseits – dann doch belanglos im Ungefähren bleibt. So wie die beiden Autoren Neal Purvis und Robert Wade allein schon ordentlich mit den Standards und Ready-Mades der Bond-Serie jonglierten, ohne zu begreifen was sie da tun oder warum sie es tun (und, allein gelassen, ein Skript fabrizieren wie das zu DIE ANOTHER DAY), so arglos hantiert wird letztlich mit dem dräulichen Skyfall, bei dessen Nennung Bond zwar in der psychologischen Untersuchung grimmig selbige beendet, das aber höchstens eine diffuses Batman-Trauma (tote Eltern) parat hält. Freilich ohne Mord und resultierendem Verbrecherhass.

Das ist insofern schade, als durch solche Psychologisierungsbemühungen die persönlichste Beziehung („M“ und Bond) leichthändig dem billigen „Anything-Goes“ eines emotional-affektiven Beliebkeitskinos preisgegeben wird, das nur mehr auf Wirkung setzt, ohne Gedanken an das Davor und Danach, die Bedingungen und die Folgen. Jenes Augenblickskinos, das in Sequels bedenkenlos die Heldenfigur des vorangegangenen Films sterben lässt, und zwar in den ersten fünf Minuten.

Das ist nun – so muss man fairerweise zugeben – in SKYFALL nicht gar so schlimm. Doch gerade weil man die ersten zwei Drittel so auf (Pseudo-)Realismus oder aber Unverbindlichkeitsglamour althergebrachter 007-Streifen setzt (und beides liefert der Film), erscheinen die letzten 20 bis 30 Minuten derart unwürdig, dass sie – freilich auf höchstem Niveau (und das soll freilich auch was heißen) die Bond-Filmreihe nachhaltiger zu unterminineren in der Lage sind als ein leicht zu vergessender Humbug wie DIE ANOTHER DAY. Eben gerade weil SKYFALL selbst sich so absolut setzt in seiner Definitionsmacht - und ernst nimmt.

Vielleicht ist das das Problem mit dem neuen, dem Jubiläums-Bond-Film, der in der Folge doch wieder (oder: einmal mehr) seiner Zeit voraus ist: Dass es nicht die ironische Unverbindlichkeit ist, sondern viel- und weit mehr ein fahrlässiger Ernsthaftigkeitsgestus ohne Überzeugungskraft, der platter ist als alle Jux und Dollerei, die zumindest immerhin noch interpretative Spielräume offen lässt. Gerade, wenn man James Bond ernst nimmt und ein Eigenleben zugestehen mag.

Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung Online: "Am Ende werden die Toten begraben und die Trümmer weggeräumt. Eine neue Zeit beginnt, frisch wie die junge Miss Moneypenny. So muss das gewesen sein, kurz nach dem Krieg, als James Bond aus dem Kopf von Ian Fleming geboren wurde." Bloß dass SKYFALL eben nicht von einem allgemeinen Krieg erzählt, sondern von persönlicher Vendetta, eine albern kleinen Verbrecherbande und Furiosum im finalen konstruierten Klischee. Nicht London ist am Ende zerbombt, sondern Bonds Heimathaus futsch und der schöne Aston Martin kaputt  warum nur? Symbolisch jedenfalls erzählt SKYFALL quasi das Gegenteil. 

zyw

Hofer Filmtage: This is the End

 "Draußen ist Sommer", Friederike Jehn

"Die Tage dazwischen", Carsten Pütz

"Leg ihn um", Jan Georg Schütte


Ja, der Abschied - es ist natürlich nur die quasi postkoitale Wehmut nach einem Festival, die mich mit diesem Thema beschäftigen lässt. Das Beendigen jedenfalls ist im Film immer mindestens so interessant wie das Beginnen, "boy leaves girl" toppt "boy meets girl" - wobei in der Realität der Hof-Filme vor allem die Frauen die Männer verlassen.

So in "Draußen ist Sommer" von Friederike Jehn, einem feinfühligen Porträt einer Familie mit krassen Problemen. Frisch in die Schweiz gezogen, in ein Acht-Zimmer-Haus mit großem Garten, kann die neue Fassade die inneren Risse nicht kitten: das Misstrauen der Frau gegen den Mann, der schonmal untreu war; die Flucht des Mannes in die Arbeit, später in den Keller, wo er ein kleines Vogeljunges pflegt; die deplazierten Kinder in einem Land mit unverständlicher Sprache und mit gemeinen Mitschülern. Erzählt wird vom immer schneller werdenden Auseinanderdriften, von den immer stärkeren Fliehkräften in der Familie; und zwar immer wieder und immer wieder gern aus der Kinderperspektive, speziell aus der Sicht der pubertierenden Tochter, die völlig verloren ist. Der kleine Bruder hat Haarausfall, spricht und isst nicht. Nur die kleine Schwester findet eine Freundin, die sie aber auch kräftig unterbuttert. Und gemeinsam versuchen sie, Frieden und Harmonie herzustellen, mit den unzureichenden Mitteln, die sie bisher gelernt haben: kleine Lügen, Schwamm drüber, untern Tisch kehren und nach außen Fröhlichkeit markieren.

Wie in "Draußen ist Sommer" die Frau schließlich doch den Schritt weg vom Mann, in ein neues Leben mit neuen Möglichkeiten tut, das ist auch der Inhalt von Die Tage dazwischen, Langfilmdebüt von Carsten Pütz, offenkundig mit billigstem Consumer-Digital-Equipment gedreht, ohne großen Aufwand an Lichtsetzung oder Ausstattung; dafür mit vielen schönen, frechen, frischen Einfällen in der Inszenierung. Vor allem, weil die Darsteller zwischendurch sichtlich lustvoll improvisieren, und weil ohnehin die Ebene der Kommunikation - der fehlgeleiteten, der oberflächlichen, der unsensiblen - ein wichtiges Element im Film ist. Wie auf einer Party Plattitüden und Smalltalk-Quatsch verbreitet werden; wie in der Kneipe jeden Abend dasselbe gelabert wird, als wäre es das erste Mal; wie die Mutter ihrer Katrin die Beziehung zu Felix ausreden will; wie Katrin und Felix sich ohnehin nichts mehr zu sagen haben: Das ist wahnsinnig witzig, weil es viel zu wahr ist, um schön zu sein.

Ein Abschied der ganz anderen Art, aber auch ein Familienfilm, ist "Leg ihn um" von Jan Georg Schütte. Der Familienpatriarch, alt und schwer krank, fordert seine Kinder auf, ihn umzubringen. Wer die Entschlossenheit und den Mut zur Tat aufbringt, soll Alleinerbe von Vermögen und Firma werden. Eine Woche haben sie Zeit, und sie ersinnen die irrsinnigsten Pläne, von Gift über die Falle im Wald bis zu einer "Body of Evidence"-Nachahmungstat. Was Pütz mit frischem Frohsinn einfach so auf die Leinwand schleuderte, das Spontan-Improvisierte - darin ist Schütte Meister, seine vorherigen Filme "Swinger Club" und "Die Glücklichen" sind nur nach diesem Prinzip gebaut, gemeinsam mit den Darstellern die Figuren zu konzipieren, die Handlung nach einem knappen Leitfaden zu strukturieren, am Set zu improvisieren (und sich einen festen Stab an Mitstreitern zusammenzubasteln, die sich "die Glücklichen" nennen). Beim komplexer aufgebauten "Leg ihn um" wurde sicherlich mehr geplant, mehr vorab konstruiert; Lebendigkeit und Leichtigkeit tut dies kein Abbruch. Dem großen Spaß, den der Film bereitet, natürlich auch nicht.

So schließe ich die diesjährige Hofberichterstattung; nicht ohne dem Abschied einen Ausblick aufs Wiederlesen zu geben; denn über Schütte und seine Art zu filmen hat Kollege Zywietz einen sehr schönen Beitrag für den Reader "Ansichtssache" über den Zustand des aktuellen deutschen Films verfasst. Kommt im Februar im Schüren-Verlag raus, schon mal merken!


Harald Mühlbeyer

Hofer Filmtage: "Après Mai / Something in the Air" - Echos aus der Zwischenwelt

Wir wollen mal, dazu sind wir ja eigentlich hier, von Kunst reden. Und damit von Olivier Assayas, einer der großen französischen Regisseure, nicht erst seit seinem opus magnum "Carlos".

"Après Mai", dem der deutsche Verleih den albernen Titel "Something in the Air" gegeben hat (vgl. "Mir ist so komisch zumute, ich ahne und vermute, heut liegt was in der Luft"), ist ein sehr guter Film. Denn kann ein Film schlecht sein, in dem ziemlich am Anfang Syd Barretts Platte "The Madcap Laughs" aufgelegt wird, wenn im Lauf des Films Captain Beefheart und die Incredible String Band zu hören sind - mit Songs in voller Länge -, wenn wir gegen Ende quasi live bei einem Psychedelic-Konzert dabei sein dürfen, inklusive Lightshow aus Diacollagen, mit Farben, Formen, Film, Bildern und Worten?

Die musikalische Ebene hat ihr ganz eigenes Gewicht in diesem Film, die weit über die Illustration des Zeitgeistes hinausgeht. Der Film spielt 1971, die französische Linke liegt in den Nachwehen des Revolutionsmonats Mai 1968, und Gilles, die Hauptfigur, ist mit dabei bei den protestierenden Studenten. Kunst studiert er, Filme will er machen, und natürlich ist er angelehnt an Assayas selbst, der hier sein eigenes Erleben fiktionalisiert, und es dabei schafft, den Film ganz unabhängig zu machen von jedem möglichen Bezug zu seiner Person. Weil man sich nicht die ganze Zeit vorstellt, was denn nun historisch-biographisch ist, was hingedichtet wurde. Nein: Assayas schafft es - ähnlich wie bei "Carlos" - ganz einfach, ganz ungezwungen mitten hineinzusteigen in diese Zeit, zu diesen Menschen, zu ihrem Denken und Handeln.

Dazu gehört natürlich seine dynamische Handkamera, die freilich keinen irgendwie dokumentaristischen Look gestalten will, die auch nicht mit ein paar Extrawacklern mehr "Bourne"-mäßige Nervosität verbreitet. Nein: Sie ist einfach dabei, fängt die Energie des Geschehens auf.

Gilles ist links, anarchistisch, und das bedeutet auch eine ständige Positionierung: Wie links? Mit welchen politischen Positionen, mit welchen persönlichen Konsequenzen? Trotzkis, Leninist, Maoist, Anarchist?  Inklusive all der absurd erscheinenden Diskussionen über Politik und Haltung und Polittheorie und Handlungspraxis, die von heute aus gesehen so seltsam erscheinen und doch wichtig und sehr ernst waren; man kennt sowas von Antonionis "Zabriskie Point", mit der unsterblichen Zeile "Ich bin bereit zu sterben, aber nicht aus Langeweile", und als Komödie durchexerziert aus dem "Leben des Brian".
Gilles treibt durch die Szene, wird zum Kämpfer, mit filmischen Agitatoren reist er nach Italien, kehrt zurück, sucht seinen Weg. Freunde und Weggefährten verstreuen sich, nach London, nach Afghanistan, und beim Wiedersehen sind sie verändert, und Gilles ist es auch. Doch hat er sich genug verändert, wie steht er zur Revolution, wie steht die Revolution zu seinem Leben? Mit perfekt inszenierter Vagheit stellt Assayas eine Welt vor, die vor 40 Jahren die Welt war, als der Glaube an eine Veränderung noch die Menschen bewegte.

Assayas folgt keinem filmisch-dramaturgischem Schema, zumindest nicht offen; es gibt nicht die eine große Liebe, den einen großen Schlusspunkt auf den alles zuläuft, wie es oft in Biopics ist, die ja genau daran scheitern, dass subtil und ungewollt die Dramaturgie ihren Fiktionsstatus preisgeben. Der Film treibt mit Gilles, am Ende ist Gilles plötzlich weg, wir erfahren, dass er schon seit einer Woche in London ist. Und dort gerät der Film mit Gilles vollends in die Welt des Surreal-Absurden, mit Steinzeitfrauen, Nazis und einem Urweltmonster auf einem Filmset in den Pinewood-Studios.

Harald Mühlbeyer

Hofer Filmtage - Genre? Gerne!

Eigentlich hatte ich's nicht vor; aber jetzt muss ich doch nochmal diese Sache mit dem Naserümpfen über "Cold Blood" aufgreifen, es lässt mich nicht los. Weil im Q&A mit Ruzowitzky so ein grundsätzliches Misstrauen gegen "Hollywood" aufgeschienen war, eine filmkunstbeflissene Attitüde, die weiß, was Kultur ist und zu sein hat. Überinterpretiere ich das was? Oder empfange ich hier doch die richtigen Vibes?

Interessant jedenfalls, dass dann Susanne Biers "Love is all you need" mit Jubelstürmen in vollem Haus aufgenommen wurde. Das ist eine formvollendete Romcom mit Italieneinschlag und Pierce Brosnan, und Bier tut im Grunde nichts anderes als Ruzowitzky, sie nutzt die Regeln des Genrespiels voll aus. Das fängt an mit der satten Farbgebung - wo hat man je schon so leuchtende Augenfarben gesehen, und die Zitronen in der grünen Plantage mit blauen Arbeiterinnen sind auch ein kräftiger Farbenrausch -, und natürlich schmalzt Dean Martin "That's Amore", und natürlich kommen allerlei Lebenslügen von Einsamkeit und Krankheit und Entfremdung ins Spiel bei diesem Hochzeitsfest in Sorrent, und am Ende wird alles schön aufgelöst und es bildet sich das neue Traumpaar, Brosnan eben und Trine Dyrholm, denen wir das von Herzen wünschen.

Ist das eine Genderfrage, haben hier die Frauen das Sagen beim Akzeptieren oder Ablehnen von filmischen Formen? (Die Naserümpfer bei Ruzowitzky waren männlich!). Oder wird einfach mit zweierlei Maß gemessen, wenn der eine das Genre bedient, ist es Mainstream, wenn's die andere tut, ist es wunderbar romantisch? Oder sind Männer - um mal bei der Genderthese zu bleiben - kritischer als Frauen, reicht es denen, wenn sie schön was fürs Herz bekommen? Oder ist es einfach besser, wenn Pierce Brosnan flirtet, als wenn Eric Bana killt?

Ein toller "männlicher" Film ist "Killing them softly" von Andrew Dominik, der ja als Erstling in Australien vor ca. zehn Jahren "Chopper" gedreht hat, mit dem Eric Bana - wieder er! - erstmals groß rauskam. Ein sehr witziger und sehr brutaler Blick in die Unterwelt ist das, zwei depperte Kleinkriminelle überfallen eine illegale Pokerrunde und werden vom Syndikat verfolgt, Brad Pitt spielt den Killer, der auf sie angesetzt wird. Die Story wird dabei angereichert mit ständigen kleinen Abschweifungen, mit Diskursen, die ein komplexes Geflecht an Charakteren präsentieren. James Gandolfini etwa spielt einen New Yorker Killer, der nach Kalifornien eingeflogen wird für einen Job, er ist ein versoffener Hurenbock, und Dominik versteht es, ganz ungezwungen ihn mit all seinen leutseligen Stories so genau zu charakterisieren, bis es dann Brad Pitt zuviel wird und er Gandolfini nonchalant aus dem Film befördert. Ray Liotta ist auch eines der unschuldigen Opfer des Films, der aus Gründen der Staatsraison in einer wunderschönen Zeitlupen-Tötungssequenz sein Leben lässt, das muss man gesehen haben.

Pitt hat sowieso die Fäden in der Hand - und muss doch immer auf Grünes Licht von Oben warten, vom "Aufsichtsrat" des Syndikats, da sind Gremien, da muss das Budget genehmigt und kontrolliert werden, da müssen Maßnahmen abgesegnet werden. Und Pitt, zart im Umgang und hart in der Sache, killt am liebsten sanft, ohne, dass ihm die Gefühle der Opfer im Angesicht des Todes auf die Nerven gehen. Während die Kleinkriminellen ganz eigene Typen sind, darüber brauchen wir gar nicht reden hier.

Die Dialoge sind brillant, auf den Punkt gebracht; und im Hintergrund, in den News, läuft der Wahlkampf Obama-McCain vor vier Jahren, im Zeichen der großen Finanzkrise, die längst auch die Unterwelt im Griff hat. Ein brillantes, pervertiertes Bild von Amerika ist das, so, wie es ein Gangsterfilm sein muss: America is business, das nehmen wir mit den letzten Worten des Films mit nach Hause, und wir werden es uns merken.

So, muss jetzt zum nächsten Film, bis morgen, liebe Freunde

Harald Mühlbeyer

Hofer Filmtage: "Cold Blood" - rot wie Blut, weiß wie Schnee

"Ich habe den Film aus denselben Gründen gedreht, aus denen Sie jetzt hier sind" - Stefan Ruzowitzky hat sich einen gewitzten Einstieg in seine Einführung zu "Cold Blood" einfallen lassen: "Nach all den Beziehungsdramen und Vergangenheitsbewältigungen hat man mal richtig Lust auf Action, Gewalt und Sex." Ja, hat man, und genau das bietet "Cold Blood", genau das wollen wir sehen!

Eric Bana als Gewaltkrimineller, Olivia Wilde als seine kleine Schwester, beide auf der Flucht durch den Winter Michigans, Bana zieht eine blutige Spur durch den Schnee, die Schwester lacht sich einen Ex-Sträfling an, der auf dem Weg ist zum Thanksgiving-Fest seiner Eltern, verfolgt werden sie von der Polizei, darunter die junge Tochter des Sheriffs, die von ihrem Vater immer untergebuttert wird... Die Jagd durch die verschneiten Berge, dann der Treffpunkt am gedeckten Thanksgiving-Tisch, Familienkonflikte, Liebe, psychopathische Gewalt, Überlebenskampf, Verfolgungsjagden, da ist alles, was einen guten Thriller ausmacht.

Zumal die Figur von Eric Bana alles andere als 08/15 ist, der nämlich zwar ein eiskalter Gangster, aber auch ein behütender Beschützer seiner Schwester ist, wie überhaupt ein Engel der Witwen und Waisen ist (nuja: die er zuvor zu solchen gemacht hat, aus Gerechtigkeitsgefühl). Und der im Finale dann doch der süffisante Sadist ist, der ein Festmahl pervertiert mit seiner abgesägten Schrotflinte, die ihm alle Macht der Welt verleiht. Widerspruch in der Charakterzeichnung? Nein, eher Komplexität, und das ist es, was die Figur - und auch den ganzen Film - interessant macht.

Der sich im übrigen nicht von Logik aus dem Tritt bringen lässt, sondern straightforward durch den Winterwald schreitet; und man fragt sich, was die Leute eigentlich mehr erwarten.
Es gab Naserümpfen im Publikum, nach der Vorstellung beim Q&A. Ja, das sei doch alles sehr Hollywood, sehr Mainstream, ob der Herr Ruzowitzky denn da überhaupt sich und seine europäische Perspektive habe einbringen können? Nein, wollte er nicht, es ist ja ein amerikanischer Film!
Oder: Jaaa, das sei ja nun ein Independent-Film, der sich aber doch so sehr nach den Regeln richtet, ob das denn nun tatsächlich die Schnittfassung des Regisseurs sei? Independent bezieht sich erstmal auf nix anderes als die Finanzierung, das ist keine ästhetische Kategorie; und ja, mit der Schnittfassung sei er zufrieden, sagte Ruzowitzky.

Man muss doch nicht auf einen Film herabsehen, der gut gemacht das Genre bedient? Man muss doch nicht herumkritteln, wenn einer im besten Sinne Unterhaltung bietet? Klar, die Leute auf einem Festival erwarten etwas "Anspruchsvolles", etwas "Sperriges", das sich dem Konventionellen kritisch gegenüber positioniert. Freilich: Man kann natürlich die Regeln brechen, oder neu erfinden, und kann sich ganz und gar auszudrücken versuchen. Man kann aber auch versuchen, das Publikum zu erreichen und dabei, in Handlung und Figurenzeichnung, eine gewissen Intelligenz des Erzählens und der Dramaturgie hineinbringen. Muss man das eine gegen das andere ausspielen?

Das ist ja das schöne an Festivals, dass man die Auswahl hat zwischen so ziemlich allem. Vor "Cold Blood" habe ich Peter Kerns "Diamantenfieber - Kauf dir lieber einen bunten Luftballon" gesehen, dessen Untertitel gar nichts mit dem Film zu tun hat, außer dass am Ende an einem Rollstuhl Luftballone befestigt sind.
Tatsächlich ist Kerns Film einer seiner zugänglichsten, der natürlich Trash ist und das auch gar nicht leugnet, aber immerhin keiner der filmischen Amok-Rundumschläge, die Kern so gerne gegen all seine Feinde austeilt. Diesmal gehts "nur" gegen die Behörden, speziell gegen das Jugendamt, das die kriminellen Brüder einer armen, elternlosen Familie in Heime und Pflegefamilien stecken will, und die Oma soll in die Klinik; und andererseits um reiche Etepeteteschnepfen, die sich ihr Leben mit Diamanten bereichern; die wiederum kaufen sie von Onkel Fritz, den Josef Hader spielt - mal ein richtiger Profi in einem Kern-Team! -, der sich wiederum der kriminellen Brüder als Boten bedieht, ohne sie anständig zu bezahlen... Etc.pp.

Schlussendlich kann man manchmal wirklich lachen; und, ganz wichtig bei Kern: Der Rest quält nicht. Das ist dann die andere Richtung des Filmemachens, dass einer sich, seine Gesellschaftssicht, seinen Ärger und seine Wut und sein ganzes Geld (so wenig es auch ist) aus Leidenschaft in seine Filme steckt, und froh sein muss, wenn sie irgendwer sieht. Und vielleicht auch irgendeinem auf irgendeine Weise aus der Seele spricht.


Harald Mühlbeyer

Hofer Filmtage: "FREIgestellt" - Arbeit hat keine Balken

Mein erster Film hier: "FREIgestellt" von Claus Strigel, ein Dokumentarfilm, der das Verhältnis von Arbeit, Freizeit und Freiheit untersucht und dabei geschickt Positionen aufeinanderknallen lässt. Wo hat man tatsächlich schonmal Aristoteles ("Arbeit ist der Feind der Tugend") mit Westerwelle ("Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit") miteinander kickboxen sehen? In der Talkshow, Teil von Strigels Film, treffen sie aufeinander, all die, die schonmal irgendwas über Arbeit gedacht oder gesagt haben, auch Marx und Hannah Arendt, von der Leyen und Lafargue (der das Recht auf Faulheit fordert), und wie es halt so ist in der allabendlichen Gesprächsrunde, irgendwann schlagen sie sich die Köppe ein.

Herrlich karikaturesk digital animiert sind diese Protagonisten, deren Äußerungen tatsächliche historische Zitate sind und die sich benehmen wie im Kungfu-Film der 70er: Strigel geht durchaus mit Spaß und Satire an sein Thema heran. Aber natürlich ist es ihm ernst damit, weil es ja auch ernst wird. Noch haben wir niedrige Arbeitslosenzahlen - in Deutschland, nicht im Rest von Europa wohlgemerkt -, doch muss man nicht über Alternativen nachdenken? Denn es kann ja nicht weitergehen, einerseits die Entfremdung des Menschen von sich selbst duch seine Arbeit, andererseits seine zwangsweise Freistellung, wenn einfach keine Arbeit mehr da ist, drittens auch der Wunsch nach mehr Freizeit und gleichzeitig nach mehr Geld. Sinnbild gleich zu Anfang: Wie eine Industrieruine zum Freizeitpark umfunktioniert wurde, mit Klettern, Kettenkarussell und Unterwasserkartenspiel.

Götz Werner, Chef der dm-Drogeriemarktkette, argumentiert schlüssig für das bedingungslose Grundeinkommen, Volkswirt Niko Paech für die Entkopplung der Wirtschaft vom Wachstumsdogmatismus. Und im Netzwerk arbeitssuchender Akademiker berichtet einer von den Erniedrigungen, denen er sich in der Arbeitsagentur aussetzen muss, die nicht auf ihn eingehen, sondern ihn hineinpressen wollen in ihr Raster von Maßnahmen und Leistungskürzungen.

Es ist, wie Götz Werner sagt, ein Aufeinanderprallen von Weltsichten: die westerwelleske, dass nämlich der, der nicht durch Druck, durch Androhung von Armut, zur Arbeit gezwungen wird, sowieso lieber faul im Bett liegt, gegen die wernersche, nach der bei einer Entkopplung von Einkommen und Arbeit jeder in sich den Drang verspürt, zu tun, wonach ihm ist; weil der Wille zur Arbeit in einem festgeschrieben ist, diese aber der Selbstverwirklichung und dem Einbringen des Individuums in die Gemeinschaft dienen sollte, ohne von außen aufgezwungen zu werden.

Das Pendeln zwischen diesen Weltsichten, zwischen den Argumenten und Auswüchsen und ihren Auswirkungen auf den Menschen montiert der Film geschickt zu einem dynamischen Flow, der nie seine Stringenz verliert. Erst am Ende verlandet der Filmfluss ein wenig, wenn Strigel allzugenau ein Projekt in Angermünde in der armen Uckermarck porträtiert, wo von einer Stiftung 100 Projekte gefördert werden, in denen tatsächlich jeder mal "sein Ding" verwirklichen kann. Das war wohl überhaupt der Ausgangspunkt der ganzen filmischen Recherche, und einzelne Protagonisten - der schwäbische Schrotthändler im tiefsten Osten der Republik, der hier tut und macht, ohne viel zu verdienen - sind direkt strukturierende Elemente des ganzen Films geworden.

Da ist auch der promovierte Wissenschaftler ohne Arbeit, da ist eine Supermarktsimulation in Hamburg, in der Langzeitarbeitslose an Arbeit gewöhnt werden sollen - eine Arbeit freilich, die inzwischen genausogut Lagerroboter übernehmen würden, die also völlig sinnlos ist und die Leute schlicht von der Straße und aus der Statistik raushält. Und da sind die Kinder mit ihren Wunschberufen, vom Sprengmeister über den Dinosaurierforscher bis zum Motorradpolizist und dem Chef einer Geldfabrik.

Werden sie je ihren Traum erreichen? Dafür müsste man über Alternativen zum Status quo nachdenken. Dass es welche gibt, zeigt Strigel in diesem Film, der irgendwann im Fernsehen laufen wird, nachts nach 23 Uhr. "Aber das ist OK", sagte Strigel nach der Vorführung, "denn an dem Sendeplatz muss man nicht vorformatierter Dramaturgie folgen, muss nicht erklären, was man da sieht." Denn dies ist eben ein Film zum Selberdenken.

Harald Mühlbeyer

Offener Brief der deutschen Filmkritik

Hier der offene Brief des Verbands der deutschen Filmkritik (VdFK) zum deutschen Filmpreis, den wir Ihnen natürlich auch gerne zur Kenntnis bringen möchten. Zu
mal sich unser für Sie gerade in Hof umtuender Redakteur Harald Mühlbeyer Mitglied des VdFK-Beirats ist.

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Offener Brief
Filmpreise / Deutsche Filmakademie 

Der Verband der Deutschen Filmkritik fordert den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann, auf, die 2004 beschlossene Übertragung der Ausrichtung der Gala und der Ermittlung der Gewinner des Deutschen Filmpreises an die Deutsche Filmakademie zu widerrufen, deren Mitglieder selbst von den Preisgeldern profitieren.

Wir glauben, dass das beschädigte Ansehen des finanziell höchst dotierten Kulturpreises der Bundesrepublik - der aber die „Filmkunst“ weitestgehend ignoriert - nur durch eine, vom Beauftragten für Kultur und Medien der Bundesregierung berufene, unabhängige Fach-Jury wieder hergestellt werden kann. Dieses Verfahren würde garantieren, dass neben dem Mainstream auch künstlerisch anspruchsvolle Filme eine Chance bekommen. 

Bisher schließen die selbst gewählten Regeln der Filmakademie einen Teil der deutschen Produzenten von der Ehrung mit der „Lola“ und vom Genuss der damit verknüpften Fördergelder aus. Bei der Interpretation der Abstimmungs-Regeln durch die Filmakademie kam es zudem zu Auslegungs-Differenzen, die Zweifel an der juristischen Gültigkeit der Preisermittlung weckten.  

Nur ein separater, vom Verdacht der Selbstbedienung befreiter Preis der Filmakademie, kann als Ehrenbezeugung gegenüber Filmschaffenden innerhalb ihrer Branche wirklich glaubwürdig sein. Diese undotierten Auszeichnungen wären den amerikanischen Oscars und vergleichbaren europäischen Filmpreisen gleichgestellt, vor äußerer Kritik geschützt und ständen nicht unter dem Druck, Fördergelder für kommende Projekte zu generieren. Deshalb rechtfertigt ausschließlich die Rückkehr zum über Jahrzehnte bewährten Wahlmodus die finanzielle Preis-Dotierung mit öffentlichen Geldern. Diese sollte künftig als Prämie bedingungslos an die Produktionsfirmen ausgezahlt werden. Der Verband vertraut dabei darauf, dass die Produzenten das Geld ausschließlich zum Wohl des deutschen Films einsetzen.

Vorstand und Beirat des VDFK

46. Hofer Filmtage - vom 23. bis 28. Oktober

Ab morgen wird für ein paar Tage wieder Hof im Mittelpunkt des Filminteresses der Nation liegen. Die Hofer Filmtage, in ihrer 46. Ausgabe, finden wieder statt, in zwei Kinos inklusive Wüstelbude. Das deutsche Provinzeck, bei Tschechien gleich links, rückt in den Mittel- und Blickpunkt, denn Hof: Das ist ein Schwerpunkt in der deutschen Festivallandschaft.

Hier findet die Herbstschau des deutschen Kinos statt, traditionell steht der Nachwuchs an deutschen (und deutschsprachigen) Produktionen im Mittelpunkt des Programms. Das geht von Fernsehfilmen über Kinodebüts bis in die bizarren Welten eines Peter Kern, hier kann man die neuen Werke bewährter Filmemacher ebenso finden, wie man Neulinge entdecken kann.

Dazu kommen ausgewählte internationale Werke - alle in deutscher Erstaufführung. Die ganz großen Namen fehlen in diesem Jahr - Darren Aronofsky, Wes Anderson, Mike Leigh etwa waren in den letzten Jahren mit ihren jeweils neuesten Filmen vertreten. In diesem Jahr immerhin beispielsweise Olivier Assayas, ein Hof-Veteran, mit "Après Mai - Something in the Air", Abbas Kiarostami mit seinem Ausflug nach Japan in "Like Someone in Love", oder Susanne Bier mit "Love is All You Need" - immer wieder kommen hier die Nachfolgefilme eines Oscarerfolgs. Sehr gespannt bin ich etwa auch auf Stefan Ruzowitzkys "Cold Blood", der nach den "Fälschern" ein Action-Roadmovie im Schnee und in Amerika inszenieren durfte (das hoffentlich mitreißender sein wird als von und zu Donnersmarcks "Tourist").

Redakteur Mühlbeyer jedenfalls wird wieder in Hof sein, wird von Kino zu Kino rennen, Döner oder Bratwurst in der Hand; und er wird wieder exklusiv für Screenshot das Beste vom Guten trennen, hart mit dem Miesen ins Gericht gehen und das Gefällige in den Himmel loben, kleine Appercus verfassen oder große Abhandlungen; wie's ihm halt grad in die Finger kommt. Bleiben Sie also dran!

(müh)


24 x Wahrheit in der Sekunde? – Das 27. Mannheimer Filmsymposium

12. bis 14. Oktober 2012, Cinema Quadrat, Mannheim

 
Gegen Ende des Symposiums, am Sonntag, liefen Vorträge und Diskussionen etwas aus dem Ruder. Ivo Ritzer, Filmwissenschaftler aus Mainz, referierte über den Kriegsfilm, über Schockwirkungen, über die Affekte, die die Leinwandbilder auf das Publikum im Zuschauerraum ausüben, und wie dadurch der Körper des Rezipienten das Geschehen im Film beglaubigt. Und Gerhard Bliersbach, film- wie psychoanalytisch gebildet, betrachtete die Imagines, die sich der Film von Hitler macht. In der anschließenden Diskussion ging es um Fragen der Genrekonventionen des Kriegsfilms und um „richtige“ und „falsche“ Holocaustbilder – und Vorträge wie Debatte waren ein ganzes Stück weg vom eigentlichen Thema dieses Wochenendes. Das Filmemachen zwischen Dokumentation und Fiktion sollte verhandelt werden, die Frage nach 24x Wahrheit in der Sekunde wurde gestellt, wie immer beim Mannheimer Symposium in fruchtbarem Miteinander von Praxis und Theorie, im Wechsel von Werkstattberichten Filmschaffender und Referaten von Filmwissenschaftlern, unter reger Beteiligung des Symposium-Publikums.

Dass dieses – im Gegensatz zum letzten Jahr – nicht überwältigend groß war, ist wohl dem Thema geschuldet: Fakt und Fiktion, Spiel- und Dokumentarfilm und all die Schattierungen und Implikationen des Wahrheitsbegriffs – das ist vielleicht nicht griffig genug, um mehr als 40 Interessierte anzulocken. Und gerade weil das Thema so ein großes Fass anzapfte, gingen vielleicht die letzten Vorträge weg von der Frage fiktionalisierender Dokus und dokumentarischer Spielfilme, und es eröffnete sich ein ganz neuer Schwerpunkt: Die Frage, wie Spielfilm mit Zeitgeschichte umgeht.

Das ist eigentlich etwas Wunderbares: Wie in einem Symposium sich das Thema wandelt, wie es mäandernd hinfließt, und wie dann neue, unvorhergesehene Aspekte auftauchen. Aus dem fruchtbaren Miteinander von Referenten und Publikum, von Vorträgen, Filmbeispielen und Berichten aus der Praxis entsteht so ein gewinnbringendes, gemeinsames Nachdenken über Film und über Wirklichkeit. Zumal ein abschließend-endgültiges Fazit natürlich von vornherein nicht vorgesehen sein kann (sonst könnte man die Filmwissenschaft einpacken); und ein strengerer Ablauf würde allzustark in eine Lenkung der Diskurse münden, die nicht zielführend sein kann.

Die dokumentarische Haltung und die Fiktion, die Darstellung von Tatsachen und das Filmen von Wirklichkeit standen im Mittelpunkt. Beispielsweise „Die Schlacht um Algier“ (1965, Gillo Pontecorvo): Die Anfänge der algerischen Unabhängigkeit durch terroristische Akte gegen Franzosen in Algier ab Mitte der 1950er, in einer Inszenierungsweise, die durch „dokumentaristische“ Strategien wie Handkamera, natürliches Licht, Laiendarsteller unmittelbare Echtheit behauptet – Mittel also, die heute inflationär gebraucht werden, vor fast 50 Jahren aber, als der Gegenstand des Films noch aktuelles Nachrichtengeschehen war, auf den Zuschauer direkt und buchstäblich fesselnd gewirkt haben. „Parteiische Neutralität“ attestiert Midding dem Film, der zwar von der algerischen Revolutionspartei produziert wurde, also direktes Propagandamittel war, der aber andererseits algerische Gräueltaten nicht ausschließt, und die Franzosen durchaus differenziert darstellt. Und der sowohl von terroristischen Untergrundakteuren wie auch vom Post-9/11-Pentagon als Anschauungsmaterial und Lehrfilm benutzt wurde.
Wie Fiktion durch Manipulationen des Filmmaterials „authentisch“ wirkt, stellte Marcus Stiglegger vor: Von der nachträglichen künstlichen Alterung von (digital!) gedrehtem Material in Robert Rodriguez’ „Planet Terror“, die dem Film spielerisch den Look abgenudelten Zelluloids verleihen sollte, bis zu den typischen Ikonographien des Holocaust mit Farbentsättigung und Streicherklängen, mit Wolken und Schlamm: Das wirkt „echt“ und ist es natürlich ganz und gar nicht.

Auf der anderen Seite der Dokumentarfilm: Etwa das unkonventionelle Firmenporträt „Ora et labora – Das Unternehmen Pöppelmann“ von Anna Ditges, die einen mittelständischen Betrieb zeigt, der Blumentöpfe und Pustefix herstellt und durch und durch katholisch geprägt ist. Die Firmenleitung, die Mitarbeiter: Alle sind fromm, und langsam, unmerklich fast, tastet sich Ditges an ein großes Geheimnis heran, an ein Tabu, an Das-worüber-man-nicht-spricht, an den Tod des Firmengründers, der eigentlich eine große geistliche Krise hervorrufen würde, würde er nicht verdrängt. Wirkt das einstündige Werk zunächst so, als wüsste es nicht, was es erzählen wolle, erschließt sich im Nachhinein das Kreisen um diesen einen wunden Punkt. Im anschließenden Werkstattgespräch berichtete Ditges bedauernd, dass es tatsächlich zum Konflikt mit dem Familienunternehmen kam – und auch innerhalb der Familie des Unternehmens –, und dass deshalb der Film auch in seinem „Stammland“, im Firmensitz in Lohne, Niedersachsen, eigentlich nicht richtig veröffentlicht ist.
Das stellt die Frage nach der Integrität des Filmemachers – zeigt er das, was er will, oder das, was der Auftraggeber/Filmpartner von ihm erwartet? Und es stellt die Frage nach der Ethik des Filmemachers: Wieweit darf/kann/soll man einen Protagonisten bloßstellen?

Zu letzterem hatte Thomas Frickel einiges zu sagen: Er macht Dokumentarfilme, die Satiren sind, zuletzt etwa „Die Mondverschwörung“, in dem all die absurden Esoteriker und abstrusen Paranoiker vorgestellt werden, die von normalen Spinnern bis zu rechtsradikalen Wirrköpfen reichen. Er lässt dabei seinen (inszenierten) Reporter Dennis R. D. Mascarenas, einen Amerikaner, auf die Deutschen los, um zu sehen, wie die so ticken – ist das noch dokumentarisch? Macht er sich über seine Protagonisten lustig? Ist das nicht alles übertrieben? Frickel erklärte dazu ein Beispiel aus dem schulischen Physikunterricht: Wenn man in eine gesättigte Flüssigkeit einen Faden hängt, bilden sich an diesem Kristalle. Was unsichtbar war, kristallisiert sich an einem Fremdkörper heraus – so auch latente Tendenzen der Wirklichkeit, wenn ein Stück Fiktion sich hineindrängt.

Schade, dass keine Frickel-Produktion als Filmbeispiel das Symposium begleitete. Nach seinem Vortrag, garniert mit einigen Ausschnitten aus seinem Werk, ergab sich aber eine ganz eigene Wahrheit, im Zusammenspiel mit der anschließenden Doku über die Pöppelmann-Firma. Eine Wahrheit, die ein Film alleine gar nicht erreichen könnte, die sich aus dem Crossover, aus der Stimmungsmischung der geballten Film- und Diskursdichte auf einem Symposium ergibt, wenn die Stimmung und das Nachdenken über den einen Vortrag auf den nächsten Film überschwappt. Wie in „Ora et labora“ eine betuliche Dame ehrfuchtsvoll das Büro der kurz zuvor verstorbenen Chefin vorzeigt, den Schreibtischstuhl, das Fenster, durch das sie immer geblickt hat, die Heilmittelchen aus „Gottes Hausapotheke“ oder der Nagel an der Wand, an dem ihr Lieblingskruzifix hing - - - oder wie die Tochter der Firmengründer am Esstisch sitzt, unter einem Sinnspruch: „Gott schuf die Zeit, von Eile hat er nicht’s gesagt“ (sic!; denn Gott schuf die Schrift, von Orthographie hat er nichts gesagt) und dann die Zeit aufschlägt: Dann überfällt einen von der Leinwand her die Absurdität, die Frickel in seinen Filmen herauskitzelt, ein ganz Fremdes da oben auf der Leinwand, das doch ganz normal ist.



Harald Mühlbeyer
 

Trailershow mit Precine

Manche sparen sich den Abspann; die Trailervorschauen vor dem Hauptfilm will man aber eigentlich nicht missen. Ja: Manchmal sind die Trailer viel besser als das, was folgt...

Für alle, die zu spät ins Kino kamen; oder die wissen wollen, was sie demnächst besser verpassen sollten; oder für die, die eine zu kurze Aufmerksamkeitsspanne haben für einen ganzen, langen Film - kurz: für alle, die Filme zusammengeschnitten, aber am Stück wollen, wurde uns ein Link zugetragen:

Precine sammelt vollautomatisch auf diversen Videokanälen im Internet die Trailer für aktuelle und kommende Filme und baut daraus eine Endlosschleife, die man sich begucken kann, wenn man nichts anderes zu tun hat. Das klappt meistens; nur manchmal schmuggelt sich ein "Twilight"-Trailer vom letzten Jahr rein...

(müh)

Bis zum Abspann und weiter - Eröffnung des fünf seen film festivals mit "Omamamia", Marianne Sägebrecht, Annette Frier und jeder Menge Kaiserschmarrn


Das Fünf Seen Film Festival rund um Starnberg hat sich gemausert: Bis zum 5. August liefen über 140 Filme an 11 Tage und namhafte Gäste begrüßen ein filmbegeistertes Publikum. Am Abend des 26. Juli ging es in der Schlossberghalle Starnberg los: Marianne Sägebrecht und Annette Frier posierten auf dem in Starnbeg nicht roten, sondern blauen Teppich.

Schauspielerin Marieke Oeffinger, seit langem dem Festival verbunden, moderierte charmant die Eröffnungsgala, Auftakt zu einem spaßigen Abend mit "Omamamia" von Tomy Wigand, der in einer Weltpremiere Monate vor dem Kinostart zu sehen war. Als Quadratur des Kreises eine hervorragende Wahl als Eröffnungsfilm, der auf der Feelgood-Welle des Mainstreams geschickt surft.

Marianna Sägebrecht als Bairisches Urgestein spielt "Oma", die nach Kanada ausgewandert ist und sich nichts sehnlicher als einen Segen von Papst Benedikt wünscht, man mutmaßt, warum. Als die übervorsichtige Tochter (Annette Frier) diese Pläne durchkreuzen will, macht sich Oma allein auf den Weg, trifft die nicht gerade gut katholisch in Rom lebende Enkelin und ein paar liebenswert-skurrile Italiener... und natürlich ist am Ende alles gut, alles wie es war und doch ein bisschen anders.

Dieser Film wird nicht die Welt retten, ist aber durch die Bank humorvoll und liebenswert, manchmal auch nachdenklich. Und im Kleinen recht aufmerksam geschrieben und inszeniert: „Wir hätten mehr Trauerarbeit mit Oma leisten müssen“ – so ein Juristendeutsch muss man erst einmal sich zu schreiben trauen! Wenn Frier in der auf den ersten Blick undankbaren Rolle der verklemmten Tochter diesen Satz über den verstorbenen Opa sagt, merkt man Zwischentöne in dem ansonsten eher leichten Film: Diese Frau ist auch als Spaßbremse noch liebenswert, aber sie wird noch das eine oder andere lernen müssen. Was sie natürlich tut.

Gegen Ende werden es der Allerweltsweisheiten ein wenig zu viele und die Liebesprobleme dreier Generationen stellen die Frage: Ist die "wilde" Jugend genauso verklemmt wie die ältere Generation oder sind umgekehrt die Älteren auch nicht immer so prinzipientreu, wie es scheint? Ein bisschen von beidem.

Obwohl es einigen Festivalbesuchern genau andersherum erging, hat mich die ungewöhnlich Erzählweise im ersten Akt beeindruckt: Die Bilder sind – bei schnellem Geschehen – sehr ruhig gehalten, aber man muss immer einen Moment lang überlegen, was da gerade passiert; es schiebt sich etwas ins Bild, man muss sich orientieren, sich die Totale, den Überblick im Kopf erschließen. Und fast bevor man Zeit dazu hat, geschieht alles Knall auf Fall und sind wir schon mitten in der Geschichte.

Insgesamt aber schon ein typisches Feelgood-Movie, dessen Gags teilweise tatsächlich Pfeffer haben (einmal im wahrsten Sinne des Wortes). Regisseur Tomy Wigand und Hauptdarstellerin Marianne Sägebrecht sind dabei gar nicht so papstdevot, wie es scheinen könnte. Sicherlich, "Oma" wünscht sich nichts so sehr wie einen Segen von dem Mann, der in der deutschen (und auch innerhalb der katholischen) Öffentlichkeit äußerst kritisch betrachtet wird. Aber es zeigt sich, dass man seinen "Segen" (das Drehbuch benutzt das Wort bewusst mehrmals im nichtreligiösen Zusammenhang) eben auch anders bekommen kann. Und dass man ihn auch aus anderen Gründen suchen kann, wie die Geschichte eines charmanten Schlawiners und Möchtegernmafioso zeigt. Sägebrecht erzählt hinterher, dass dies in gewissen italienischen Kreisen tatsächlich der Preis einer verlorenen Wette oder verlorenen „Ehre“ sei und für Agnostiker die schlimmste Schmach... Und wie ihre "Oma" den Segen um jeden Preis (sogar um denjenigen einer Scheinehe) erlangen möchte, sei sowieso valentinesk, so die Darstellerin mit bajuwarischem Humor.

Also, auf diesen Film kann man sich einlassen! Wer im Rahmen der vielen originellen Details einmal wissen möchte, wie es zu so genialen Wortschöpfungen wie "Zeugungsnebel" (von Sägebrecht dem Drehbuch beigesteuert) kommen kann, muss den Film selbst sehen. Und wer Klassiker mag, wird u.a. im Vatikan Anspielungen auf den „Paten“ finden, und in zudem Rererenzen an die unverwüstlich Rom-Romanze "Ein Herz und eine Krone" (1953) entdecken (Vespa fahren in Rom! Und die Frage, ob der Mann oder die Frau fahren darf! Außer, dass Sägebrecht nicht Audrey Hepburns Wespentaille hat…)

Am Ende – auf Screenshot sage ich besonder gern: NACH dem Abspann – präsentierte sich dann das ganze Team unter begeistertem Beifall. Und es gab, wie im Film, Kaiserschmarrn für alle.

Tonio Gas

Kurzfilmfestival "Shorts at Moonlight" fünf Tage lang in Mainz

Das große Finale des Open Air Kurzfilmfestivals Shorts at Moonlight findet auch in diesem Jahr wieder im Kurfürstlichen Schloss/-Garten in Mainz statt. Neu ist, dass das Festival nun für 5 Tage in Mainz zu Gast sein wird - vom 15. bis 18. August. Grund dafür ist das 10-jährige Jubiläum des Kurzfilmfestivals, das zuvor auch schon in anderen Schlössern der Region wie auf der Höchster Schlossterrasse und im Alten Wasserschloss in Hofheim, gastierte.

An jedem dieser vorangegangenen Abende wurden unterschiedliche Filmprogramme gezeigt mit jeweils 7-8 kurzen Filmen je Vorstellung. Immer wählte das Publikum seinen Lieblingsfilm per Stimmkarte. Alle diese Lieblingsfilme kommen nun im Finale in Mainz zusammen zur Verleihung des Veolia-Umweltservice Kurzfilmpreises am Freitag den 17. August sowie zur Verleihung des Skoda-Kurzfilmpreises am 18. August. "Das wird ein lustiges Programm, denn unser Publikum hat deutlich die Komödien bevorzugt", verrät Festivalleiterin Gudrun Winter. Das gilt auch und erst recht für Sonntag den 19. August und damit letzten Tag des Festivals, denn hier werden zur Feier des 10-jährigen Jubiläums Lieblingsfilme der letzten Jahre gezeigt. Der Sonntag gehört ebenso wie der Mittwoch und Donnerstag zu den zusätzlichen Tagen, die das Festival in Mainz anbietet.

Zur Eröffnung am Mittwoch den 15. August wurde erstmals ein Programm mit Kurzfilmen aus der Region Mainz bzw. Rheinland-Pfalz zusammengestellt. Hier werden, wie auch zu den Preisverleihungen, besonders viele Regisseure erwartet, die von der bekannten Moderatorin Gwendolyne Karpinski auf der Bühne interviewt werden. Gwendolyne Karpinski sorgt zuvor (ab 20 Uhr) auch mit Ihrer Band Frau Boss für musikalische Liveunterhaltung, denn die Künstlerin kann auch wunderbar singen.

Der Donnerstag ist den Preisträgern des Murnau-Kurzfilmpreises gewidmet. Der Preis ist einer der begehrtesten und angesehensten Preise, die es in Deutschland für Kurzfilme gibt. Entsprechend hochkarätig sind die Preisträger.

Mit rund 8 000 Besuchern gehört das Festival zu den beliebtesten Kurzfilmfestivals in Deutschland. In diesem Jahr steuert das Festival mit bisher 5 500 Besuchern auf einen neuen Besucherrekord zu. Vielleicht, weil das Publikum mit allerlei Serviceangeboten verwöhnt wird, wie z.B. kostenlose Bereitstellung von Decken und Sitzkissen, und im Fall kurzer Regenschauer gibt es auch kostenlose Regencapes?
 Bei schlechten Wetter stehen die Prunkräume des Mainzer Schosses zur Verfügung, in die man auch kurzfristig wechseln kann. Für das leibliche Wohl der Gäste sorgt die Gastronomie des Schlossgartens.

Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr mit Live Musik, die Filme werden ab Einbruch der Dunkelheit gezeigt.
Einzelkarten kosten 8 Euro, der Festivalpass, der kostenlosen Eintritt zu allen Vorstellungen gewährt, kostet 20 Euro.
Karten sind über alle AD Ticket-Vorverkausfsstellen erhältlich oder online über www.kurzfilmfestival.de, wo auch das Programm aufgerufen werden kann.

Interview mit Hellmuth Karasek: "„Billy Wilder kommt vor Hitchcock, aber er ist nicht so bekannt.“


Gespräch mit Hellmuth Karasek anlässlich der Eröffnung der Fotoausstellung „Eins, zwei, drei – Billy Wilder“ im Jüdischen Museum Rendsburg am 17.6.2012
von Tonio Gas, mit Bettina Uhlich


Hellmuth Karasek, Autor, Experte und Freund von Billy Wilder, war als Festredner zur Ausstellungseröffnung geladen und gewährte uns anschließend Zeit für ein Gespräch. Herr Karasek konnte schon zuvor in einer manuskriptfreien Rede mühelos auf dem schmalen Grat zwischen anekdotischem Witz und ernsthaften Bezügen zum NS-Terror wandeln. Und so entwickelte sich auch das Interview zu einer anregenden persönlichen Unterhaltung, in der Karasek freimütig von seinen Erfahrungen und Kenntnissen Zeugnis gab, über Größen wie Marilyn Monroe, Jean Harlow, aber auch Quentin Tarantino, über sein Talent als Witzeerzähler, seinen Nicht-Sex mit Marilyn Monroe und über eine Verbindung von Billy Wilder zu Heinrich Heine, Oberst Redl und Romy Schneider.



Karasek: Mein erster Verleger hatte Billy Wilder gesagt, mein Buch „Billy Wilder – eine Nahaufnahme“ werde ein Riesenerfolg. Filmbücher werden nie Riesenerfolge in Deutschland, nie! Und Billy Wilder dachte immer, der Verleger ist ein Betrüger und zahlt nicht. Er hat gedacht, er verdiene damit so viel wie mit „Some Like It Hot“. Die Filmleute sind da immer sehr enttäuscht. Filmbiographien haben keine großen Auflagen. Anthony Quinn, der weltberühmte Schauspieler, hatte in Hamburg im Thalia Theater die Buchpremiere seiner Autobiographie. Ich hatte eine Einleitung gemacht, das Theater war gerammelt voll, die Leute haben sich das signieren lassen, aber der Verlag hatte eine Auflage von unter 10.000 Stück, glaube ich. Nein, Filmbücher kauft man nicht!

Uhlich: In Deutschland nicht.

Karasek: Ja, in Deutschland nicht. Ich hätte es merken müssen, als ich zu meiner Mutter sagte: „Du, ich fahre zu Billy Wilder nach Hollywood.“ Da hat sie gefragt: „Wer ist das?“ Ich habe gesagt: „Some Like It Hot“, und sie: „Ach ja, dieser herrliche Monroe-Film.“ Das heißt, Regisseure kennen Leute nicht.

Gas: Nur Hitchcock, der konnte sich selbst so gut als Marke inszenieren, immer dieser schwarze Anzug…

Karasek: Der war die Marke!

Uhlich: Aber nach Hitchcock kommt doch auch schon ganz schnell Billy Wilder.

Karasek: Er kommt vor Hitchcock, aber er ist nicht so bekannt. Haben Sie einen Zettel?

Karasek demonstriert durch verschiedene Schriftgrößen die allgemeine Bekanntheit von Darstellern und Regisseuren.

Karasek: Ich zeigen Ihnen mal was: SOME LIKE IT HOT. Jack Lemmon. Marilyn Monroe – so groß, mit Bildern auf dem Plakat. (Dann schreibt Karasek unten sehr klein weiter) Ein Film von Billy Wilder. 

So war das damals, das ist wie wenn es in Salzburg heißt: KARAJAN – dirigiert Mozart (schreibt es auf, jedes Wort kleiner als das vorherige). Also, ich übertreibe ein bisschen, aber so ist es.

Gas: Ich kann das bestätigen. Ich hatte kürzlich jungen Hochschulabsolventen erzählt, dass ich zu einer Billy-Wilder-Ausstellung fahre, und man sagt immer „Some Like It Hot“, wenn jemand fragt, wer Wilder ist. Und dann wissen die Leute Bescheid, ganz junge Leute, es ist heute noch so.
Sie hatten im Vortrag schon gesagt, dass Sie beruflich erstmals anlässlich der 1985er Wiederaufführung von „Eins, zwei, drei“ mit Billy Wilder in Kontakt kamen. Und privat? Wann haben Sie überhaupt zum ersten Mal von dem Namen Billy Wilder gehört?

Karasek: „Some Like It Hot“ war der erste Kultfilm, den gab es im Programmkino. Dann gab es etwas sehr Verdienstvolles: Filmereihen in den dritten Fernsehprogrammen. Da sind dann die Filme auch gekommen, Stummfilme und Tonfilme. Und ich habe für den „Spiegel“ noch Kritiken zu Filmen von Wilder geschrieben, die neu ins Kino kamen. Zum Beispiel „The Front Page“, die Wiederverfilmung von „His Girl Friday“ von Howard Hawks. Billy Wilder hat auch eine schöne Version gemacht, damals mit Bezug zu Watergate. Diesen Film habe ich also zu seinen Lebzeiten besprochen.

Gas: Beginnen wir einmal mit Wilders Schaffen in der Zeit, als er nach Hollywood kam, in den 1930er Jahren. Eine sehr turbulente Zeit, es gab US-Nazis, den Ku-Klux-Klan, die rassistische und antisemitische Terrorgruppe Schwarze Legion, die Anti-Nazi-Filme der Warner Brothers. Was meinen Sie, warum Wilder und sein Studio, die Paramount, so etwas nicht gemacht hatten?

Karasek: Die Paramount hat das später gemacht, auch Billy Wilder. „Stalag 17“ (1953), das ist ein Film, der in einem deutschen Gefangenenlager für Engländer spielt. Er hat 1943 „Five Graves to Cairo“, einen Film gegen Rommel gemacht.

Gas: Aber in den 30ern hatte er es doch eher mit dem Lubitsch-Touch…

Karasek: Da hat niemand Filme über die Nazis gemacht. Gerade Lubitsch hat einen gemacht, mit „To Be Or Not To Be“, das ist der erste Nazifilm über Hitler, den ich kenne [Anm.: Der Film ist 1942 herausgekommen. In „Confessions of a Nazi Spy“, 1939, und in Chaplins „The Great Dictator“, 1940, kommt Hitler zumindest indirekt vor].
Chaplin hatte die Amerikaner dann sehr verärgert mit seinem „Großen Diktator“. Ich erinnere mich, dass ich in Hollywood war, bei Spielberg, als „Schindlers Liste“ herauskam, und ich saß im Wilshire, Beverly Hills, an der Bar. Die Amerikaner sind ja sehr gesprächig, und jemand fragt mich: „Was machen Sie denn hier?“ „Ich guck’ mir ‚Schindlers Liste’ an“, darauf sagt er: „I love Spielberg, but in this film, he mixes politics and movies, that’s never good.“ Das ist eine alte Hollywoodtheorie. Man macht keine Politik in Filmen. Das war in den 40er Jahren die große Ausnahme, dass man das machte.

Gas: Manchmal drückt sich bei Wilder eine sehr kompromisslose Haltung aus, beispielsweise im Umgang mit der NS-Vergangenheit, wenn er vorschlägt, bei den Passionsspielen echte Nägel zu verwenden, wenn ein NS-belasteter Mann den Jesus spielen soll…

Karasek: Nein, das war natürlich ein Witz! Und eine zynische Haltung. Er hat ihn dann auch spielen lassen, und sie haben keine echten Nägel benutzt.

Gas: Ich wollte damit auf Folgendes hinaus: Einerseits das Scharfzüngige, vielleicht Zynische, andererseits die Zusammenarbeit mit Charles Lindbergh, einem Antisemiten, bei „Lindbergh – Mein Flug über den Ozean“, 1957. Wie verlief diese? Ich habe gehört, sehr gut, und dass Wilder sehr tolerant war!

Karasek: Ja, das waren sie wohl beide. Es gibt eine Geschichte, die ich auch in meinem Buch erzähle, wo er mit Lindberg von New York nach Washington fliegt, und es ist ein sehr unruhiger Flug. Da hat er zu Lindberg gesagt: „Das wär schön, wenn das Flugzeug jetzt abstürzt und es hieße: ‚Lindbergh stirbt zusammen mit einem berühmten Juden’.“ Lindbergh könnte eigentlich ein Chaplin-Held sein. Er hatte drei Ehefrauen zur gleichen Zeit, er hatte in der Schweiz eine Geliebte, ihre Schwester in München und eine Frau in Amerika. Jetzt weiß man auch, warum er so oft geflogen ist!

Gas: Gut, aber kompromisslos war Wilder doch anlässlich von „Stalag 17“, bei dem in der deutschen Synchronfassung aus dem deutschen ein polnisches Lager gemacht werden sollte. Da hat er gesagt: Entweder Sie entschuldigen sich oder ich drehe nie wieder einen Film für die Paramount. Und letzteres geschah!

Karasek: So ist es tatsächlich gekommen, das stimmt, da war er kompromisslos, das ist ein gutes Beispiel.

Gas: Also doch ein Bruch, dass er dann mit Lindbergh zusammenarbeiten konnte?

Karasek: Nein, das war es nicht, das war kein Bruch. Ich wollte noch eines erzählen: Wilder hat es sehr imponiert, dass Lindbergh, dieser amerikanische Nationalheld, mit dem Bus zu ihm gekommen ist, in Hollywood, als Offizier. Der war ein straighter Mann, und das hat Wilder schon imponiert. Ich meine, wenn Sie den Rommel-Film „Five Graves to Cairo“sehen, wissen Sie, dass er auch Rommel, den Erich von Stroheim spielt, nicht etwa als Bestie zeichnet. Er hat schon echte Charaktere gesucht. Sie müssen sehen, dass er eigentlich immer ein Feind von ideologischen Verbiegungen war. Er hat das Drehbuch zu „Ninotschka“ geschrieben, den Lubitsch-Film – na wenn das nicht der Film ist, der sich am meisten über den Kommunismus lustig macht.

Gas: Ja, dieses Ideologiekritische, das sieht man in „Five Graves to Cairo“ bei der Frau, die Anne Baxter spielt, die sich zunächst immer durchlavier. Und sobald sie sich entschließt, sich für „die Sache“ einzusetzen – stirbt sie! Das ist doch bezeichnend!

Karasek: Ja, ja! Und bei „Five Graves to Cairo“ finde ich den schönsten Einfall, wie der ägyptische Hotelbesitzer die Bilder wechselt. Wenn Hitler vormarschiert, kommt immer das Hitlerbild, und bei den Engländern das Montgomerybild.

Gas: Und bei „Eins, zwei, drei“, 1961, rutscht der Chruschtschow aus dem Rahmen und Stalin ist dahinter. Haben Sie sich nicht nur bei „Stalag 17“, sondern auch bei anderen Filmen mit diesen ganzen Umsynchronisierungen beschäftigt? Das gab es ja noch später, dass die bösen Nazideutschen wegsynchronisiert wurden, beispielsweise in den 80ern bei einem James Bond, „Im Angesicht des Todes.“ Warum hält sich das so hartnäckig?

Karasek: Also, bei „Inglorious Basterds“, dem Tarantino-Film, wird nix mehr umsynchronisiert!!! Den liebe ich sehr, haben Sie den gesehen? Das ist ein so irrer Film. Ich hatte die Inhaltsangabe gehört und dachte, in den Blödsinn gehe ich nicht rein. Aber das ist ein so toller Film! Glauben Sie mir, da wird nichts mehr geschönt! Zurück zu Veränderungen für den deutschen Markt: Filmleute wollen Geschäfte machen. Das ist völlig legitim. Und wenn die Deutschen das nicht sehen wollten… Das berühmteste Beispiel ist „Casablanca“, da hat man diese Liedergeschichte herausgenommen, wenn die deutschen Besatzer „Die Wacht am Rhein“ singen und die Freiheitskämpfer setzen dem die „Marseillaise“ entgegen. Es gibt viele Beispiele für so etwas. Auch sehr berühmt ist Hitchcocks „Notorious“, 1946, der auf Deutsch „Weißes Gift“ Genannt wurde. Da wurde ein Nazifilm zu einem Rauschgiftschmuggelfilm, völlig umsynchronisiert. Und ehrlich gesagt, es spielt keine Rolle, es geht genauso gut.

Uhlich: Es musste sich in Deutschland verkaufen…

Karasek: Dabei waren die Nazis für diesen Film nur ein Aufhänger. Hitchcock hatte übrigens damals Schwierigkeiten mit dem amerikanischen Geheimdienst, weil er suggerierte, dass die Nazis von den Atomplänen der Amerikaner wussten. Der Geheimdienst hatte Angst, dass herauskommt, dass die Amerikaner die Atombombe bauen.

Gas: Inwieweit drückt sich Billy Wilder als Regisseur und Autor über seine Filme aus? Ich denke da an Fritz Lang, der nicht so eloquent war und meinte, er will sich nicht erklären, er will sich über seine Filme ausdrücken. Andererseits sagt Billy Wilder, wenn er traurig war, habe er Komödien gemacht, und umgekehrt. Hat er sich nicht über seine Filme ausgedrückt? Oder war das komplementär, so dass das eine das andere ergänzt hat?

Karasek: Das mit „traurig und lustige Filme“, das ist wahr und nicht wahr, und gleichzeitig ein Bonmot. Aber schon Heine hat gesagt: „Aus meinen traurigen Geschichten mache ich die lustigen Lieder.“

Gas: Beides ist bei Wilder sehr dicht beieinander. Als Dreizehnjähriger habe ich „Das Apartment“, 1960, gesehen, es hieß „Komödie“. Und dann ist das so unendlich traurig, also heute liebe ich den Film…

Karasek: Ja, es heißt „Komödie“, und dann kommt ein Selbstmordversuch vor… Im Übrigen habe ich in meinem Witzbuch „Soll das ein Witz sein? Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ einen sehr schönen Wilder-Witz aus der „Apartment“-Zeit:

Da gibt es ein junges Paar in New York. Sie wohnt bei ihren Eltern und er wohnt mit Freunden zusammen, und sie können’s nie in der Wohnung miteinander machen. Eines Tages kommt sie zu ihm und sagt: „Es wird Herbst und im Auto und im Park wird’s immer kälter, aber ich hab eine wunderbare Idee. Meine Eltern werden dich am Sonntag zum Mittagessen einladen. Du wirst kommen, wirst meiner Mutter einen Strauß Blumen mitbringen und meinem Vater Zigarren, dann werden wir Mittag essen, und dann wird mein Vater wie jeden Sonntag sagen: ‚So, jetzt gehen wir ins Kino.’ Ich werde sagen: ‚Ich hab Migräne’, und Du wirst meinen Vater fragen: ‚Welcher Film läuft denn?’ Mein Vater wird sagen: ‚Vom Winde verweht.’ Und dann wirst Du sagen: ‚Oh, schade, den hab ich schon gesehen.’ Meine Eltern sind solche Freaks, die gehen trotzdem ins Kino, und wir können endlich alleine in der Wohnung sein.“ Der junge Mann kommt, bringt Blumen, bringt Konfekt und Zigarren, isst, der Vater sagt: „So, jetzt gehen wir ins Kino“, die Tochter sagt: „Ich hab Migräne“, der junge Mann fragt: „Was wird gespielt?“ Da sagt der Vater: „Vom Winde verweht.“ „Oh“, sagt der junge Mann, „da komme ich sehr gerne mit, auf den freu ich mich schon lange.“ Jetzt kommt die Frage von Billy Wilder: „Was war passiert?“ Der junge Mann hatte in dem Vater den Drogisten erkannt, bei dem er sich am Abend zuvor die Präservative gekauft hat.

Ein richtig guter Drehbuchwitz, nicht?

Uhlich: Ja, so ähnlich wie diese Werbung mit Hella von Sinnen …: „Was kosten die Kondoooome?“ Jaja, dass man das nie zugeben mag…

Gas: Aber das haben die von Woody Allen geklaut; da gibt es in „Bananas“,1971, eine solche Szene, in der sich Allen verschämt ein Pornoheft im Supermarkt kaufen möchte… Zurück zu Billy Wilder. Wer ist eigentlich der Autor eines Filmes? Es gab und gibt ja die französischen Autorentheoretiker oder Autorenpolitiker, die nur den Regisseur als Autor ansehen. Aber bei Wilder hat man immer den Eindruck, auch der Drehbuchautor ist es. Wir meinen, dass in „Hold Back the Dawn“ oder „Blaubarts achte Frau“ wahnsinnig viel Wilder drinsteckt, obwohl er nicht der Regisseur war. Andererseits erscheint uns seine Lindbergh-Regiearbeit, zu der er aber auch das Buch geschrieben hat, weniger wilderesk. Also der Drehbuchautor als Hauptschöpfer?

Karasek: Der Drehbuchautor ist der Hauptschöpfer. Das heißt, der Filmemacher ist der Hauptschöpfer. Wilder hat, ohne es zu wollen, den auteur geschaffen. Er hat nur eigene Drehbücher verfilmt. Und er hat ab einem bestimmten Zeitpunkt seine Drehbücher niemand anderem zum Verfilmen gegeben, also ist er sozusagen der absolute Autor.

Gas: Billy Wilder und seine Darsteller: Zu Jack Lemmon und William Holden hatte er ja wohl ein recht inniges Verhältnis…

Karasek: Er hatte auch zu Walter Matthau ein sehr enges Verhältnis, und ich glaube, auch zu Erich von Stroheim. William Holden – so hätte er gern ausgesehen, aber so wäre er nicht gern gewesen. Sein anderes Ich, sein bestes Ich ist schon Jack Lemmon.

Gas: Würden Sie denn sagen, dass man sich daher zu Recht eher an Lemmon als an Holden erinnert?

Karasek: Das weiß ich nicht, ich erinnere mich auch gut an William Holden, und ich habe heute in der Festrede ja auch gesagt, der erste Film mit William Holden, „Sunset Boulevard“ von 1950, ist einer seiner persönlichsten Filme. Nicht umsonst spielt Wilders Frau mit, Audrey Wilder! Nicht umsonst ist das die Geschichte eines Drehbuchautors, in der diese Frau das Mädchen spielt, für das er sich gern entscheiden würde.

Tatsächlich irrt Herr Karasek; die Rolle wird von Nancy Olson gespielt. Aber ist nicht eine tiefere Wahrheit hinter dieser kleinen Unwahrheit, wie auch in gewissen Anekdoten Wilders selbst? Karasek meinte später, gelegentlich würde man Geschichten so oft erzählen und variieren, dass man glaube, man sei selbst dabeigewesen und/oder sie hätten sich genau so abgespielt. Daher könne man Wilder nicht wegen mangelnder Akkuratesse kritisieren. Wir meinen, dass Karasek ungewollt ein schönes Beispiel für diese These geliefert hat. Man kann durchaus in der Figur des Drehbuchautors aus dem Film Billy Wilder wiedererkennen, und in dem Mädchen die Frau, zu der er sich sehnt, wenn ihn eben nicht die krakenartige Seite der Hollywoodmaschinerie an- und aussaugen würde. So gesehen ist es konsequent und „wahr“, wenn Karasek meint, sich an Audrey Wilder in der Rolle zu erinnern (wobei der echte Billy Wilder sich nicht aussaugen ließ).

Gas: Zur Bedeutung der Darsteller für Wilders Filme würde mich Ihre kurze Einschätzung zu ein paar Besetzungen interessieren, um die Wilder sich vergeblich bemüht hatte. Wie wären die folgenden Filme geworden, was wäre anders, besser oder nicht so gut? Zunächst „A Foreign Affair“, 1948, mit Clark Gable statt John Lund.

Karasek: Der Hauptdarsteller wäre dominanter gewesen, männlicher. Ob es genützt oder geschadet hätte? Das, was ist, ist immer besser.
Besser H. Karasek oder T. Gas?
Gas: „Sunset Boulevard“ mit Mae West statt Gloria Swanson?

Karasek: Das wollte er nicht wirklich. Er hat es versucht, ja. Da ich den Film ohne Mae West gesehen habe und mir nichts fehlt, ist sozusagen nichts dagegen einzuwenden.

Gas: „Sabrina“,1954, mit Cary Grant statt Humphrey Bogart?

Uhlich: Ich glaube, dann hätte man den Film kürzen müssen, denn die Frauen sind ja alle Cary Grant verfallen.

Karasek: Bogart waren die Frauen auch alle verfallen. Aber Bogart hat das gehasst, dass er den älteren Bruder spielt, er hat das wirklich gehasst. Ich glaube, Cary Grant hätte da mehr Spaß gehabt. Bogart spielt ja gegen den Strich einen reichen, arbeitsamen, wohlerzogenen, aber zunächst etwas verklemmten Geschäftsmann der Oberschicht, William Holden seinen leichtlebigen Bruder.
Aber das war nicht wichtig; hingegen: Bei „Some Like It Hot“ wollte er unbedingt Cary Grant haben, und da hat er nur Tony Curtis bekommen. Und Tony Curtis hat sich gerächt, indem er eine wunderbare Cary-Grant-Parodie spielt. Er spricht wie Cary Grant, am Strand, als er sich als Ölmillionär ausgibt. Er benutzt einen britischen Akzent und spielt den Cary Grant! Wilder hat bedauert, dass Cary Grant nie auf der Payroll der Company war, bei der er gerade gedreht hat.
Der wichtigste Fall, wenn Sie danach fragen, war, dass Wilder bei „The Seven Year Itch“ Walter Matthau statt Tom Ewell haben wollte. Tom Ewell wirkt so ein bißchen wie Lemmon, nur noch dümmlicher, und Billy Wilder wollte das schon sexuell aggressiver besetzen. Aber da hat die Company nicht mitgespielt. Walter Matthau, der wäre mit der Monroe ins Bett gegangen, er hätte sich davon nicht abbringen lassen. [Anm.: obwohl er einen glücklich verheirateten Strohwitwer spielt und es in der Theatervorlage tatsächlich zum Ehebruch kommt].

Gas:Und das, obwohl er einen glücklich verheirateten Strohwitwer spielt. In der Theatervorlage kommt es übrigens tatsächlich zum Ehebruch. Wilder selbst sagt, das wär besser gewesen. Claudius Seidl schreibt in seinem Billy-Wilder-Buch aus der Heyne-Filmreihe, das wär schlechter gewesen. Was meinen Sie?

Karasek: Ja. wenn ich zwischen Claudius Seidl und Billy Wilder zu entscheiden habe, ist die Antwort relativ leicht.

Gas: Ein erfolgloser Billy-Wilder-Film, den ich sehr liebe, ist „Ariane – Liebe am Nachmittag“, 1957, mit Audrey Hepburn. Gary Cooper ist als dieser eigentlich zu alte Playboy oft im Halbschatten zu sehen. Wäre dies ein ganz anderer Film mit Cary Grant geworden, den Billy Wilder haben wollte?

Karasek: Ich weiß nicht, ich mag „Liebe am Nachmittag“ deshalb sehr gern, weil Cooper da schon von seiner Krebserkrankung und fast schon vom Tod gezeichnet ist und weil diese junge unschuldige Hepburn sich sozusagen eine richtige Vaterfigur erwählt. Sie werden lachen, ich habe mich jetzt an diesen Film aufgrund von Liebesbriefen von Romy Schneider erinnert. Es sind jetzt Liebesbriefe zwischen Romy Schneider und Curd Jürgens aufgetaucht. Er war alt und sie hat geschrieben: „Ich würde gern ewig mit Dir zusammenleben – wenn Du Dir das Saufen und Rauchen auch noch abgewöhnen könntest.“ Aber er wollte gar nicht mit ihr zusammenleben. Also, das muss auch bei „Liebe am Nachmittag“ ein alter Mann sein, das muss so sein.

Gas: Auch Playboy Flannagan alias Cooper betrachtet Ariane alias Hepburn zunächst nur als Spielzeug, aber sie himmelt ihn an. Ist das nicht eigentlich eine Wiederkehr seiner Rolle in „Blaubarts achte Frau“, Drehbuch Brackett und Wilder, Regie Lubitsch, 1938? Da war er zwar nicht alt, aber spielt auch einen, der um den Verstand gebracht wird – durch die sexuelle Verweigerung seiner Frau. In „Liebe am Nachmittag“ wird er um den Verstand gebracht, weil Audrey Hepburn Männergeschichten erfindet und ihn dadurch neidisch macht, ich fand es sehr passend…

Karasek: Ja, ja, es ist eine Wiederkehr von „Blaubarts achter Frau“.

Gas: Wie wäre „Irma La Douce“ mit Charles Laughton geworden?

Karasek: Wichtiger ist, dass Wilder nach „Witness for the Prosecution“, 1957, einen anderen Film mit Charles Laughton machen wollte, nämlich „Oberst Redl“. Das hat Laughton verweigert, denn die Affäre Redl war eine Homosexuellen-Affäre und nicht eine Frauengeschichte wie in allen anderen Filmen. Die Redl-Geschichte kannte Wilder aus erster Quelle, weil er mit dem Reporter Egon Erwin Kisch zusammen in einer Berliner Wohnung gewohnt hatte, der die Redl-Geschichte damals aufgedeckt hatte. Kisch war ein Prager Sportreporter gewesen, und in der Prager Fußballmannschaft war ein Spieler, der einmal zu einem Spiel nicht kam. Es hat sich dann herausgestellt, dass er nicht gekommen war, weil er ein Strichjunge für Redl war; daraufhin ist Kisch dem nachgegangen und hat die ganze Affäre um Oberst Redl aufgedeckt.

Gas: Zu der berühmten Absage Marlene Dietrichs für „Fedora“,1978: Wie wäre der Film mit ihr statt Hildegard Knef geworden?

Karasek: Genauso schlecht, wie der Film jetzt ist.

Gas: Oh – das wäre auch meine nächste Frage gewesen: Gibt es Filme von Wilder, die Sie deutlich weniger schätzen als andere?

Karasek: „Fedora“ gehört dazu. Das ist eine etwas unselige Konstruktion. Ein Zahnarztfilm! Der ist von deutschen Zahnarztgeldern finanziert worden. Die deutschen Zahnärzte versuchten damals, Steuern zu sparen, mit Filminvestitionen, und das ist ein solcher Film. Okay, „Fedora“ ist nicht so schlecht, aber als Billy-Wilder-Film ist es ein etwas schwächerer.

Gas: Ansonsten verteidigen Sie ja häufig die Flops, zum Beispiel „Kiss Me, Stupid“ ,1964, ein wunderbarer Film…

Karasek: Ja, der ist auch irgendwie sehr gut, aber da ist die Besetzung des Hauptdarstellers mit Ray Walston wirklich schlecht.

Gas: Wie wäre er denn mit Jack Lemmon geworden, den hat er doch mal erwogen?

Karasek: Ja, aber eigentlich wollte er Peter Sellers haben! Das wär spannender geworden, in der Ray-Walston Rolle. Dean Martin hingegen wollte er immer haben, denn Dean Martin spielt hier Dean Martin. Peter Sellers war schon besetzt, die Dreharbeiten mit ihm hatten schon begonnen!

Gas: Aber Peter Sellers hat immer improvisiert und Billy Wilder wollte kein Wort Abweichung von seinem Drehbuch.

Karasek: Das ist nicht das Spannende daran. Sellers hat vor den Dreharbeiten eine Herzattacke bekommen, er sollte die Rolle spielen, für die Wilder dann Walston, diesen damals sehr populären Fernsehkomiker, genommen hat. Und das ist eine Fehlbesetzung.

Gas: Ich fand, er passte zur Rolle, aber man kann ja immer unterschiedlicher Ansicht sein.

Karasek: Ich glaube, Peter Sellers hätte den Film rausgerissen.

Gas: Das kann natürlich sein – aber nochmals zu dieser Marlene-Dietrich-Absage. Sie war ja mit Pauken und Trompeten, „How could you possibly think?“. War das denn ernst gemeint von Billy Wilder, wollte er sie gerne haben? Denn es war doch bekannt, dass sie sich ungerne mit ihrem Alter auseinandersetzte, wie es die Rolle verlangte. War da nicht die Absage programmiert?

Karasek: Ja, vielleicht hat er aber gehofft. Ich meine, sie hat ja für ihn eine „Nazisse“, eine NS-Mitläuferin in „A Foreign Affair“, 1948, gespielt, was ihr sehr schwer gefallen ist. Sie hat in „A Foreign Affair“ diese Rolle gespielt, die ihr contre coeur ging. Und ihr Alter hat sie in „Zeugin der Anklage“ schon sehr deutlich gemacht. Da war klar, dass sie von einem jüngeren, kräftigen Mann betrogen wird.

Gas: Ich dachte an dieses sehr schwierige Verhältnis zu Fritz Lang. Offen gestanden weiß ich jetzt nicht mehr, ob Sie vor gut 20 Jahren dieses „Spiegel“ -Telefoninterview geführt hatten…

Karasek: Ja, das habe ich.

Gas: Da hat sie gesagt, Langs „Engel der Gejagten“, 1951, wäre der furchtbarste Film, den sie je gemacht hätte. Und Fritz Lang hat gesagt, sie habe jeden Tag auf dem Set jünger ausgesehen, sie wollte nicht diese Frau in mittleren Jahren spielen. Aber vielleicht konnte Billy Wilder das besser aus ihr herausholen.

Karasek: Sie liebte Wilder seit ihren Berliner Tagen, die waren Kumpels, die waren Freunde in der Emigration. Aber irgendwann wollte sie überhaupt nicht mehr in die Öffentlichkeit, und das hat er am eigenen Leib erlebt.

Gas: Und Sie hatten auch erlebt, dass sie Ihnen am Telefon sagte, Marlene Dietrich sei nicht da…

Karasek: Ja, ja.

Gas: Wie hat Wilder aus völlig unterschiedlichen Darstellerinnen das Optimale herausgeholt? Ich denke gerade an die vier Frauen, die je zwei Mal bei ihm gespielt haben, also Marilyn Monroe, Audrey Hepburn, Marlene Dietrich und Shirley MacLaine. Also ganz unterschiedliche Frauentypen, und trotzdem hatten sie alle bei Wilder ihre Traumrollen. Was war sein Geheimnis dabei, sich diesen Typen anzupassen, aber nicht unterzuordnen?

Karasek: Also, Billy Wilder war ein Regisseur, der die Frauen sehr genau kannte, der sie durchschaute und trotzdem liebte, das ist das Schönste, was man eigentlich über ihn sagen kann. Er hat übrigens nie mit seinen Hauptdarstellerinnen ein Verhältnis angefangen. Er hat sich lieber mit Statistinnen und Stuntfrauen begnügt, weil er da keinen Ärger hatte. Er hat gesagt: „Ich fang doch nicht mit ’ner Hauptdarstellerin ’ne Affäre an, und dann sagt die: ‚Du hast mir doch im Bett versprochen, dass ich das grüne Kleid tragen darf.’“

Gas: Vielleicht dies zum Schluss: Sie haben einen Anekdotenschatz in Ihrem Wilder-Buch. Jetzt gibt es Menschen wie Chris Mankiewicz, den Sohn von Wilders Kollegen und Zeitgenossen Joseph L. Mankiewicz, die sagen, dass Billy Wilder für eine gute Geschichte das eine oder andere zurechtgebogen habe. Wie glaubwürdig sind seine Erzählungen, wie variieren sie, oder ist Wilder einer, der „die Wahrheit sagt, selbst wenn er lügt“?

Karasek: Erstens einmal weiß ich inzwischen aus eigener Erfahrung, dass ich bestimmte Geschichten so oft erzählt habe, dass ich nicht mehr weiß, ob ich sie wirklich erlebt habe. Ich wusste eine Zeitlang noch, dass ich sie wirklich erlebt habe, aber irgendwie haben die sich dann verselbständigt. Geschichten drängen sich zwischen die Wirklichkeit, und man weiß es nicht mehr. Also, ich weiß, dass ich nie mit der Monroe geschlafen habe und daher auch nie ’ne Geschichte darüber erfunden habe.

Gas: Das wüsste man aber!!!

Karasek und Jean-Harlow-Biogaphin Uhlich
Karasek: Das wüsste ich!!! Ich weiß nur, dass ich mal in dem Zimmer geschlafen habe, in dem sie mit Yves Montand geflirtet hat. Ich war im Beverly-Hills-Hotel, als ich zu Wilder kam, der „Spiegel“ hatte mir ein Zimmer bestellt, und das Hotel hatte die Bestellung versusst. Der „Spiegel“ war auch in Amerika nichts ganz Unwichtiges, und das Hotel war voll, also haben sie mir einen der berühmten Bungalows gegeben, zum Zimmerpreis. Als ich von Hollywood wegfuhr, habe ich mir eine Billy-Wilder-Biographie besorgt, flog übers Meer, machte das Buch auf, und ich sehe, ich war genau in dem Bungalow, in dem Yves Montand mit der Monroe geschlafen hatte. Ich wäre am liebsten aus dem Flugzeug wieder rausgehopst, aber inzwischen war die Wäsche wahrscheinlich viertausend Mal gewechselt… Ein Mal habe ich übrigens auch in einem Zimmer geschlafen, in dem Napoleon mal geschlafen hat, in den „Drei Königen“ in Basel.

Uhlich: Und ich war in einem, in dem Jean Harlow geschlafen hat. Ich weiß, wie man sich freut, wenn man dann an diesen „heiligen“ Stätten ist.

Karasek: Ja, genau so ist es!


Einen Bericht über die Ausstellung "Eins, zwei, drei - Billy Wilder" finden Sie HIER.