Interview:„Weil sie tatsächlich himmlisch und nicht von dieser Welt ist.“ - Gespräch mit der Tänzerin Sonia Dvorak


Die Tänzerin Sonia Dvorak ist eine US-Amerikanerin, die erst im August 2011 nach Deutschland kam. Im Stück „Der Fall M.M“ spielt sie die Hauptrolle – und sieht ein bisschen so aus:  Stellen Sie sich eine ganz junge Marilyn vor, süßes Gesicht und Figur und ein dekolletiertes, cremeweißes Kleid zum... Sie wissen schon, seufz.


BU = Bettina Uhlich
TG = Tonio Gas
SD = Sonia Dvorak

Übersetzung: Tonio Gas 


TG: Zunächst einmal einen ganz herzlichen Glückwunsch. Sagen Sie, wie ist das, wenn Sie erfahren, sie sollen die berühmteste Frau der Welt spielen? Was fühlt man?

SD: Also, wie ist es, sie zu spielen? Zuerst war ich völlig eingeschüchtert, weil sie so eine Legende ist. Hinter ihr steckt so viel. Ich meine, selbst heute noch ist sie eine Ikone, das ist fünfzig Jahre nach ihrem Tod doch wirklich unglaublich. Es ist etwas derart Magisches an ihr, das kann man nicht nachbilden. Als Tänzerin habe ich versucht, so viele Videos wie möglich von ihr zu sehen, wie sie sich in ihnen bewegte.

BU: Haben Sie alle ihre Filme gesehen, oder jedenfalls die wichtigsten?

SD: Die meisten, ja. Meine Recherche war nicht so mühselig, das hat jede Menge Spaß gemacht… [lacht].

BU: Ich weiß… Das ist keine harte Arbeit, das ist Spaß…

SD: Als Tänzerin habe ich versucht, viel von dem mitzunehmen, wie sie sich bewegte, viel von ihren kleinen Nuancen. Ich bin froh, als ausgebildete Tänzerin das Handwerkszeug dafür zu haben, denn sie ist tatsächlich himmlisch und nicht von dieser Welt. Also, zu Beginn war ich wirklich völlig eingeschüchtert! Aber es war schön, das als Theaterstück und nicht etwa als Film zu machen, denn man weiß, dass man es nicht komplett nachstellen wird. Stattdessen deutet man sie mit dem Mittel des Tanzes. Zudem hatte ich nicht so viel Text, also spielte ich sie nicht so unmittelbar, sondern las lieber viel über ihr Leben und was sie durchmachte…

BU: Sie haben natürlich einige ihrer Lieder gesungen. Persönlich mag ich “One Silver Dollar” ganz besonders. Ich glaube, Sie auch, jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass Sie diesen Song auch sehr mögen. Ist es Ihr liebster Song, oder welches ist Ihr liebster Song von Marilyn?

SD: Oh, das ist so schwer zu sagen. Da trifft man auf “die Marilyn”, also den Charakter, den sie erschaffen hat. Dieses süße Kind, das man einfach nur lieben will. Dieser Charakter ist in einem Song wie “I wanna be loved by you” perfekt eingefangen. Aber sie hat so viele Seiten… Das ist wirklich sehr schwer zu sagen.

BU: Nun einmal zur Handlung des heutigen Stücks. Glauben Sie, dass Marilyn ermordet wurde? Es gibt so viele Hinweise – was würden Sie daraus schließen?

SD: Ich kann nicht sagen, dass ich diese Frage für mich fest entschieden hätte. Ich glaube nur, dass es mehr gibt als das Augenscheinliche. Ich glaube, irgendetwas wurde vertuscht. Diese Frau hat viel durchgemacht, war aber sehr, sehr stark. Sie hat immer gekämpft. In einem Film wie “Gentlemen Prefer Blondes”, wo sie mit Jane Russell spielte, musste sie für ihren eigenen Wohnwagen kämpfen! Aber als ich diesen Film sah, fand ich, da war sie der Star. Wir lieben sie in dem Film.

BU: Sie sagte so etwas wie “Schließlich bin ich die Blondine” in “Gentlemen prefer Blondes”. Ich habe alle Dokumentationen gesehen und ein Buch über Jean Harlow geschrieben, weil ich sie auch liebe, und weil es schon so viele Marilynbücher gab, habe ich mich entschieden, eines über Jean zu schreiben. Aber angefangen habe ich als Marilynfan. Sie haben sie so großartig, so wunderschön porträtiert, vielleicht besser als Michelle Williams. Wir haben gestern ihren Film “My Week With Marilyn” gesehen.

TG: Haben Sie ihn gesehen?

SD: Ja, hab ich.

TG: Was halten Sie von dem Film? Sie meinten ja, zunächst eingeschüchtert gewesen zu sein, aber dann haben Sie ihren eigenen Weg gefunden, MM darzustellen, ohne sie zu kopieren. Hat Michelle Williams ihren Weg gefunden?

SD: Ich glaube, ich hatte eine viel einfachere Aufgabe als sie. Als reine Schauspielerin musste sie MM sein. Das ist beim Film ganz anders als beim Theater, daher glaube ich, dass alles für mich sehr viel mehr Spaß gemacht hat.

TG: Aber man kann es doch beim Singen mit Michelle Williams Situation vergleichen. Als Tänzerin haben Sie Ihre eigenen Ausdrucksmittel, aber wenn Sie als Marilyn singen, müssen Sie sich dem Vergleich mit ihr aussetzen. Haben Sie versucht, in Marilyns oder in ihrem eigenen Stil zu singen, oder war es ein bisschen von beidem?

SD: Ich habe mir das Material wieder und wieder angehört und versucht, soviel wie möglich davon aufzugreifen. Ich bin keine ausgebildete Sängerin, ich hatte nie Gesangsstunden…

BU: Sie hatten nie Gesangsstunden? Sie haben also jetzt erst damit angefangen…

SD: Naja, ich hab schon aus Spaß gesungen. Aber als ich vor ein paar Wochen mit Michael Nündel zu arbeiten begonnen hatte, der die ganze Musik für das Stück gemacht hat, da gab es schon spezielle Dinge, die mir klar wurden. Zum Beispiel wie sie die Konsonanten betonte, oder etwas wie “My heart belongs to [imitiert Marilyn] Daaaddy”, und alle diese kleinen Sachen, die man noch dazugeben kann, also gab ich so viel, wie ich konnte. Ich habe versucht, mich wie sie zu fühlen und ich sang, wie ich dachte, dass sie es tun würde.

BU: Ja, diese Bewegungen… wirklich ganz wundervoll….

SD: Ja, das habe ich genossen, das habe ich wirklich genossen.

TG: Vielleicht mögen Sie uns sagen, ob Ihre Arbeit Ihre Haltung zu Marilyn Monroe verändert hat?

SD: Aufgrund meiner Recherchen glaube ich, dass sie mehr Tiefe hatte gegenüber dem, was ins Auge springt. Ich habe sie schon immer bewundert, ich bin seit Jahren ein Riesenfan. Ich bin aufgewachsen mit lauter Hollywoodklassikern, z.B. mit Cary Grant, ich bewundere das total. Ich habe speziell über Marilyn vorher nicht so viel gewusst, aber nach der Recherche finde ich das alles wirklich unglaublich.

BU: Welche Bücher haben Sie über Marilyn gelesen? Biographien?

SD: Eines, was ich besonders mochte, ist Randy Taraborrellis “The Secret Life of Marilyn”

BU: Dieses kenne ich nun gerade nicht. Aber Tonio hat Donald Spoto gelesen, ich vor Jahren auch, und es gibt so viele Bücher. Haben Sie mehrere gelesen?

SD: Ich hab dieses eine gelesen und viel im Netz, aber vollständig nur Taraborelli. Wir hatten nicht viel Zeit, diese Produktion vorzubereiten, nur drei Wochen. Aber was ich gelesen habe, hat mir sehr gefallen, denn ich denke, dieses Buch von Taraborelli greift vieles über ihr Leben auf, was andere Biographen überspringen, so wie ihre Kindheit und die Beziehung zu ihrer Mutter, die ich besonders fesselnd fand. Jeder ist Produkt seiner Umgebung, daher brachte das für mich eine Menge Tiefe in ihr Wesen.

TG: Planen Sie, das Stück noch in anderen Städten aufzuführen?

SD: Das kann ich jetzt nicht sagen. Wir haben hier nur noch drei Vorstellungen geplant. Aber man redet darüber, vielleicht mehr zu machen, denn es ist so gut angenommen worden, und ich weiß nicht…

TG: Es wird doch wohl in der nächsten Spielzeit noch mehr geben.

SD: Ich weiß es nicht, ursprünglich geplant war es nicht, aber vielleicht…

TG: Da wäre doch jeder ein Narr, es nur vier Mal aufzuführen… Spielen Sie noch in anderen Stücken, die sich mit Hollywoods Goldener Ära befassten, von der Sie offensichtlich ein großer Fan sind?

SD: Oh, für mich war das eine Eins-zu-eine-Million-Chance, denn ich bin Balletttänzerin. Ich bin darin ausgebildet und bin jetzt nach Deutschland gekommen, um dieser Company beizutreten, und ich hätte nie gedacht, dass ich die Möglichkeit haben würde, als diese unglaubliche Ikone zu singen und zu schauspielern. Das war brillant!

BU: Das ist interessant, denn so oft passiert es ja nicht, dass Balletttänzer entdecken, dass sie singen können. Wer hat entschieden, dass Sie die Songs live auf der Bühne singen?

SD: Also, ich erinnere mich an unseren Opernball im Februar, da waren auch alle Leute der Oper, die nicht Instrumente spielen oder singen, und da habe ich einem Song gesungen. Mein Regisseur hat das beobachtet, und Jana, die Autorin und Regisseurin von “Der Fall M.M.”, hat es ebenfalls gesehen, und als sie entschieden hatten, dass ich die Marilyn spiele, haben sie mich gefragt, ob es mir angenehm wäre, ein paar ihrer Lieder zu singen. Du liebe Zeit, ich meine, das ist fantastisch, was in den letzten paar Wochen passiert ist, denn ich fühle mich noch wie gestern, als ich auf der Bühne beim Singen fast nichts herausbrachte, ich war so nervös, ich war… [lacht].

TG: Aber Sie wissen sicher, dass es in den späten Vierzigern und frühen Fünfzigern eine junge Tänzerin gab, die dann eine große Schauspielerin wurde und ebenfalls ein paar Lieder selbst sang. Audrey Hepburn. Vielleicht werden Sie ja die nächste Audrey Hepburn!

SD: [lacht]

TG: Ich mochte bei “My Fair Lady” nie, dass man sie nicht selbst hat singen lassen. Meiner Ansicht nach wäre der Film mit ihrem eigenen Gesang wesentlich besser gewesen, was meinen Sie?

SD: Auf jeden Fall, denn solche Dinge haben immer eine eigene Kraft und da ist mehr als reine konforme Perfektion. Ich glaube, heute geht es nur noch um das perfekte Maß und die richtigen Schritte, aber Leidenschaft ist das, worauf es wirklich ankommt. Man hat’s oder hat’s nicht, und das ist alles, was zählt. Es geht um Liebe zu dem, was man tut. Und darum hätte sie selbst singen sollen.