Hofer Filmtage: "Cold Blood" - rot wie Blut, weiß wie Schnee

"Ich habe den Film aus denselben Gründen gedreht, aus denen Sie jetzt hier sind" - Stefan Ruzowitzky hat sich einen gewitzten Einstieg in seine Einführung zu "Cold Blood" einfallen lassen: "Nach all den Beziehungsdramen und Vergangenheitsbewältigungen hat man mal richtig Lust auf Action, Gewalt und Sex." Ja, hat man, und genau das bietet "Cold Blood", genau das wollen wir sehen!

Eric Bana als Gewaltkrimineller, Olivia Wilde als seine kleine Schwester, beide auf der Flucht durch den Winter Michigans, Bana zieht eine blutige Spur durch den Schnee, die Schwester lacht sich einen Ex-Sträfling an, der auf dem Weg ist zum Thanksgiving-Fest seiner Eltern, verfolgt werden sie von der Polizei, darunter die junge Tochter des Sheriffs, die von ihrem Vater immer untergebuttert wird... Die Jagd durch die verschneiten Berge, dann der Treffpunkt am gedeckten Thanksgiving-Tisch, Familienkonflikte, Liebe, psychopathische Gewalt, Überlebenskampf, Verfolgungsjagden, da ist alles, was einen guten Thriller ausmacht.

Zumal die Figur von Eric Bana alles andere als 08/15 ist, der nämlich zwar ein eiskalter Gangster, aber auch ein behütender Beschützer seiner Schwester ist, wie überhaupt ein Engel der Witwen und Waisen ist (nuja: die er zuvor zu solchen gemacht hat, aus Gerechtigkeitsgefühl). Und der im Finale dann doch der süffisante Sadist ist, der ein Festmahl pervertiert mit seiner abgesägten Schrotflinte, die ihm alle Macht der Welt verleiht. Widerspruch in der Charakterzeichnung? Nein, eher Komplexität, und das ist es, was die Figur - und auch den ganzen Film - interessant macht.

Der sich im übrigen nicht von Logik aus dem Tritt bringen lässt, sondern straightforward durch den Winterwald schreitet; und man fragt sich, was die Leute eigentlich mehr erwarten.
Es gab Naserümpfen im Publikum, nach der Vorstellung beim Q&A. Ja, das sei doch alles sehr Hollywood, sehr Mainstream, ob der Herr Ruzowitzky denn da überhaupt sich und seine europäische Perspektive habe einbringen können? Nein, wollte er nicht, es ist ja ein amerikanischer Film!
Oder: Jaaa, das sei ja nun ein Independent-Film, der sich aber doch so sehr nach den Regeln richtet, ob das denn nun tatsächlich die Schnittfassung des Regisseurs sei? Independent bezieht sich erstmal auf nix anderes als die Finanzierung, das ist keine ästhetische Kategorie; und ja, mit der Schnittfassung sei er zufrieden, sagte Ruzowitzky.

Man muss doch nicht auf einen Film herabsehen, der gut gemacht das Genre bedient? Man muss doch nicht herumkritteln, wenn einer im besten Sinne Unterhaltung bietet? Klar, die Leute auf einem Festival erwarten etwas "Anspruchsvolles", etwas "Sperriges", das sich dem Konventionellen kritisch gegenüber positioniert. Freilich: Man kann natürlich die Regeln brechen, oder neu erfinden, und kann sich ganz und gar auszudrücken versuchen. Man kann aber auch versuchen, das Publikum zu erreichen und dabei, in Handlung und Figurenzeichnung, eine gewissen Intelligenz des Erzählens und der Dramaturgie hineinbringen. Muss man das eine gegen das andere ausspielen?

Das ist ja das schöne an Festivals, dass man die Auswahl hat zwischen so ziemlich allem. Vor "Cold Blood" habe ich Peter Kerns "Diamantenfieber - Kauf dir lieber einen bunten Luftballon" gesehen, dessen Untertitel gar nichts mit dem Film zu tun hat, außer dass am Ende an einem Rollstuhl Luftballone befestigt sind.
Tatsächlich ist Kerns Film einer seiner zugänglichsten, der natürlich Trash ist und das auch gar nicht leugnet, aber immerhin keiner der filmischen Amok-Rundumschläge, die Kern so gerne gegen all seine Feinde austeilt. Diesmal gehts "nur" gegen die Behörden, speziell gegen das Jugendamt, das die kriminellen Brüder einer armen, elternlosen Familie in Heime und Pflegefamilien stecken will, und die Oma soll in die Klinik; und andererseits um reiche Etepeteteschnepfen, die sich ihr Leben mit Diamanten bereichern; die wiederum kaufen sie von Onkel Fritz, den Josef Hader spielt - mal ein richtiger Profi in einem Kern-Team! -, der sich wiederum der kriminellen Brüder als Boten bedieht, ohne sie anständig zu bezahlen... Etc.pp.

Schlussendlich kann man manchmal wirklich lachen; und, ganz wichtig bei Kern: Der Rest quält nicht. Das ist dann die andere Richtung des Filmemachens, dass einer sich, seine Gesellschaftssicht, seinen Ärger und seine Wut und sein ganzes Geld (so wenig es auch ist) aus Leidenschaft in seine Filme steckt, und froh sein muss, wenn sie irgendwer sieht. Und vielleicht auch irgendeinem auf irgendeine Weise aus der Seele spricht.


Harald Mühlbeyer