Festival des deutschen Films Ludwigshafen - zum neunten Mal

Sehr stolz ist das Ludwigshafener Festival des deutschen Films über das Urteil der FAZ, wo das Filmfest im April 2012 das "schönste Festival Deutschlands" genannt wurde.
Damit ist es in diesem Jahr vorbei. Denn die große Flut, die Bayern, Ost- und Norddeutschland überschwemmt, machte auch in Ludwigshafen eine Evakuierung notwendig: Zelte und Equipment, vorbereitet und im Aufbau im Park am Rheinufer, musste dem Wasser weichen. Der Boden ist nass, die uralten Bäume nicht mehr standfest - das Festival muss umziehen und findet in diesem Jahr auf einem schlaglochbesäten Schotterplatz im Hafengebiet statt, wo sonst im Juni die Autos der Besucher parken.
Keine langen Nächte unter schattigen Platanen, kein Füßebaumelnlassen im Rhein, kein Sonnenuntergang über dem Wasser, sondern die volle Industriebrache Ludwigshafens. Kein Schönreden dieser Stadt.

Das ist schade, einerseits. Andererseits sieht sich Festivaldirektor Dr. Michael Kötz ohnehin nicht als "Zirkusclown", wie er Screenshot im letzten Jahr in aller Deutlichkeit klarmachte. Wenn die Verpackung sich ändern muss, bleibt der Inhalt doch immer noch gleich; das ist ja die Hauptsache.

Eröffnet wird das Festival am Donnerstag, 13. Juni - und verlängert wurde es in diesem Jahr, um die vielen Besucher unterzubekommen - mit 18 Tagen meldet Kötz Ambitionen an, nicht nur das schönste, auch das längste Festival in Deutschland zu werden. Und weil der deutsche Film reichhaltig ist, haben er und seine Mitstreiter auch viele höchst sehenswerte Filme gefunden, die sie dem Publikum der Rhein-Neckar-Metropolregion präsentieren:
Etwa - natürlich - "Oh Boy", die existentialistische Berliner Drifter-Komödie, die den deutschen Filmpreis in diesem Jahr dominiert hat. Oder der hervorragende "Verdingbub", über das Schweizer Verdingwesen, in dem Waisen, Halbwaisen und sonstige Kinder unbarmherzig ausgebeutet wurden, bis in die 1970er Jahre hinein; im Übrigen auch in LU der von mir unterm selben Link besprochene "Ende der Schonzeit", immerhin halb sehenswert.
Großartig: "Draußen ist Sommer" über eine deutsche Familie, die in die Schweiz in ein schönes Haus zieht, um dort die innerfamiliären Beziehungen zu kitten - die nur immer mehr in Scherben zerfallen. Minimalistisch, aber starbesetzt: "Die Libelle und das Nashorn", in dem Fritzi Haberlandt und Mario Adorf eine einsame, gemeinsame Nacht in einem Hotel verbringen.
Und ebenfalls einen schönen Sommer-Kinozelt-Abend verspricht "Abseitsfalle", der das Bochumer Opel-Schicksal zu einer tragischen Komödie verarbeitet. "Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel", eine komödienhafte, selbstironische, selbstreflexive Meditation über Kleists klassische Unrecht- und Rachestory, hat viele Zuschauer verdient, ebenso wie "Gold", der diesjährige deutsche Berlinale-Wettbewerbsfilm, ein Western, der einer deutschen Goldsuchertruppe in die kanadische Wildnis folgt.

Dazu: Noch gefühlte hundert weitere Filme, deutsche Kino- und Fernsehproduktionen - von den mir bisher unbekannten vor allem letzteres; gemäß den Statuten des Festivals wird ja nicht nach Aufführungsort entschieden, sondern nach Qualität des Films (womit man auch schlechte Projektion von DVD in Kauf nehmen muss). Auch dies muss nichts Schlechtes sein - beim bloßen Zappen durchs Programm entgehen einem viele Fernsehfilmperlen, die hier aufzuspüren sind.

Unverzeihlich ist im diesjährige Programm nur eines: Dass in der Kinderfilmreihe die unglaublich großartige Tommi-Ungerer-Verfilmung "Der Mondmann" nicht berücksichtigt wurde (immerhin lief ja im letzten Jahr der kongeniale "Die drei Räuber", ebenfalls nach Ungerer, ebenfalls Zeichentrick, ebenfalls wunderbar skurril).

Wem die Filme nicht reichen; wer den Schotter unter den Füßen vergessen will; wer auch das Ambiente ordentlich genießen möchte, dem bietet Michael Kötz auch kulinarische Genüsse an: Unter dem Motto "Sinn und Sinnlichkeit" werden ausgewählte Filme mit Drei-Gang-Menüs verbunden, für den ordentlich kulturbeflissenen Festivalgast; inklusive Handschlag vom Festivaldirektor persönlich. Womit noch einmal ganz klar der (selbstgebastelte) "Zirkusclown"-Vorwurf tatkräftig dementiert wird - und empfiehlt sich im Gegenzug als künftigen Nachfolger von Siegfried Rauch resp. Sascha Hehn.

Harald Mühlbeyer
(der, soweit bisher bekannt, in diesem Jahr wieder eine Akkreditierung erhalten wird)