Mutters Maske - Christoph-Schlingensief-Edition #5

von Harald Mühlbeyer

Mutters Maske
Deutschland 1987/88. Regie, Produktion, Kamera: Christoph Schlingensief. Drehbuch: Matthias Colli, Christoph Schlingensief. Musik: Helge Schneider & Menu Total. Darsteller: Karl-Friedrich Mews (Willy von Mühlenbeck), Helge Schneider (Martin von Mühlenbeck), Brigitte Kausch (Mutter), Susanne Bredehöft (Els), Dieter Lersch (Julien, der Diener), Volker Bertzky (Sanitätsrat), Udo Kier (Seidler). Länge: 85 Minuten. Anbieter: Filmgalerie 451.

Extras: Interview, Presseschau.
Code Free
PAL Farbe
4:3
Dolby Digital 2.0


Es gibt ein 20minütiges Interview über „Mutters Maske“, das Alexander Kluge einmal mit Schlingensief geführt hat, in sorgfältig Veit Harlans „Opfergang“ (1944) mit Schlingensiefs Remake von 1987 verglichen wird, in dem auf die Figurenkonstellationen der beiden Filme, auf die Atmosphäre und die Stimmung eingegangen wird. In dem Schlingensief bemerkenswerte Imitationen von Helge Schneiders schneidend abgehackter Sprache liefert, in dem Schlingensief selbst einmal sprachlos ist, als sich Kluge über die ideologischen Implikationen von Veit Harlans Melodram im Kontext der Endzeit des Dritten Reiches auslässt.
Leider wurde versäumt, dieses Interview (das einmal auf dem dctp-Sendeplatz nach Mitternacht auf Vox gesendet wurde) ins Bonusmaterial der DVD aufzunehmen, dabei wäre es eine schöne Beigabe zu dem Monolog, den Schlingensief in dem enthaltenen Interview zu „Mutters Maske“ hält, ein erweiterter Ausschnitt aus dem schon auf einer anderen DVD herausgegebenen Interviewfilm. Die beiden Interviews würden sich gut ergänzen: einmal, mit Kluge, als kluge Aufarbeitung im gegenseitigen Gespräch, das andere Mal als Deutungsversuch aus Schlingensiefs Sicht, versetzt mit Anekdoten und mit einer Aufzählung von Einflüssen auf seinen Film: Harlan, Fassbinder, TV-Soaps.

Das Fehlen des Kluge-Interviews ist aber freilich der einzige Mangel an der DVD und dem Film. Die Attraktion ist natürlich Helge Schneider, der den bösen Bruder spielt in wirklich widerwärtiger Weise. Neben Nihil Baxter, dem Verbrecher aus Einsamkeit, ist Martin von Mühlenbeck Schneiders wahrscheinlich beste Rolle bisher; und „Mutters Maske“ hätte das Zeug zu einem ähnlichen Status wie Werner Nekes’ in Helges Fankreisen verehrtem „Johnny Flash“. In knapper, kantiger Sprache beherrscht Schneider seine Figur, und die Figur beherrscht den Film. Martin von Mühlenbeck, von einer undurchsichtigen Bosheit durchdrungen, lässt die Puppen tanzen, er ist das Herz der Handlung und, obwohl nur Nebendarsteller, der Mittelpunkt des Films.
Vermutlich hat Schneider aus diesem Film – ebenso wie von Nekes – viel gelernt für das eigene Filmschaffen. Wie sich allein aus Dialogen und der Art, wie sie vorgetragen werden, groteske Brechungen erzielen lassen, die, von den Figuren völlig ernstgemeint, den Film in künstliche, abstrakte Sphären aufsteigen lassen, um durch die Hintertür einen ganz anderen Diskurs zu eröffnen: Über das Verhältnis von künstlerischer Sprache zur Wirklichkeit, über die (fehlende) Bereitschaft Sprechender, etwas zu sagen, über die Problematik menschlicher Kommunikationsfähigkeit. Aber auch: Wie sich ein Film selbst aufbrechen lässt, um sein Inneres, sein Skelett freizulegen (das oft genug nur von einer Hohlform umschlossen ist).
Im Fall von „Mutters Maske“ wird der Film erzählt von Julien, dem Diener der von Mühlenbecks, der sich immer wieder dazwischenschaltet mit Kommentaren, mal an einem türkischen Imbiss stehend, mal in der Badewanne liegend – ist hier nicht ein Zusammenhang erkennbar zu den Einschüben von Szenen mit Kommissar 00Schneider in Schneiders „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“ aus der, wie er es nennt, „Twilight Zone“, einem anderen Ort zu einer anderen Zeit im Universum, die eine Parallelwelt öffnen, die rein gar nichts mit der eigentlichen Handlung um Doc Snyder zu tun hat – Szenen, die die Westernparodie auflösen und zersetzen – und die im Übrigen unter Co-Regie und Kameraführung von Christoph Schlingensief im Nachdreh entstanden sind.

Schlingensief arbeitet sich ab an Veit Harlans „Opfergang“, einem Melodram von 1944, das eine durchgängig morbide Atmosphäre aufweist, in dem Tod als Erlösung, nicht als Qual, sondern nachgerade als Symbol für die überirdische Liebe erscheint. Schlingensief erweitert die Dreierkonstellation des Originalfilmes aus Albrecht Froben (Carl Raddatz), seiner Ehefrau und der todkranken Nachbarin Äls (Kristina Söderbaum), in die er sich verliebt, zu einem Quartett. Nun sind es zwei Brüder, Willy, der von einer weiten Reise zurückkommt, und Martin, der inzwischen die Familie führt, die Mutter, die ziemlich verrückt ist (und von Martin verrückt gemacht wird) und die kranke Nachbarin Els (deren Name wie Aids ausgesprochen wird, das war eine Regieanweisung Schlingensiefs).
Wieder also arbeiten sich in einem Schlingensief-Film die Kinder an den Eltern ab – Willy verehrt die Mutter und will sie vor Martin beschützen, Martin, der „Nachgeborene“, spielt ihr gerne einmal als Theaterszene mit den Hausangestellten zusammen den Tod ihres Ehemannes vor.
Els, die Kranke, wird von Willy umworben; Martin, gerade durch das Verbot, treibt ihn in ihre Arme, er hat, wie Schlingensief es interpretiert, ein Kind mit ihr und will, dass sich auch sein Bruder an ihrer tödlichen Seuche ansteckt. Andererseits wäre es aber auch möglich – und weitaus abgründiger – wenn Martin und der Sanitätsrat, der auf seiner Seite steht, recht hätten mit ihren Warnungen Martin gegenüber vor der Seuche der Els und Els gegenüber davor, ihre Gesundheit restlos aufs Spiel zu setzen. Auch diese Sichtweise steckt im Film, und sie lässt Willy, den „Guten“, als einen Verblendeten erscheinen, der die Realität nicht sehen will, während Martin, der „Böse“, nur das Beste für alle will. Ist es Bosheit, Eifersucht oder einfach nur die Vernunft, die Martin so böse erscheinen lässt?

„Mutters Maske“ ist Schlingensiefs publikumsaffinester Film, denn hinter den Brechungen ist natürlich noch das Erzählkino Veit Harlans sichtbar. Ganze Szenen, komplette Dialoge wurden übernommen und dann ins parodistische übersteigert – ein Nietzsche-Gedicht wird zur Rezitation eines Poems über den „frohen Toten“, wenn Willy das Fenster aufreißt, um Lebensfreude in die todeslastige Stimmung zu bringen, herrscht draußen trübes und windiges Wetter statt strahlender Sonnenschein, und wenn Els mit Willy ausreitet, dann nicht auf stolzen Pferden, sondern auf mickrigen Ponys; und Els spricht ihren Schimmel mit „Brauner“ an.
Es ist dies der Film von Schlingensief, der am ehesten zu Helge Schneiders Filmen hin tendiert – die freilich erst Jahre später, wiederum unter Mitwirkung Schlingensiefs, entstehen werden. „Mutters Maske“ ist der künstlerische Knotenpunkt zwischen den beiden Filmemachern, eine Hinwendung Schlingensiefs zur Nonsens-Groteske späterer schneiderscher Machart; und zugleich eine Abrechnung mit dem Erzählkino, indem es überstrapaziert wird, und ein Drama um Bruderrivalität und inzestuöse Mutterbindung.

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