United Trash - Christoph-Schlingensief-Edition #9

von Harald Mühlbeyer

United Trash

Deutschland 1996. Regie, Kamera: Christoph Schlingensief. Buch: Christoph Schlingensief, Oskar Roehler. Schnitt: Andrea Schumacher. Musik: Levias Ruzive, Wiseman Shambare, Biber Gullatz, Eckes Maltz. Produktion: Ian Robert White.
Darsteller: Udo Kier (General Werner Brenner), Kitten Natividad (Martha Brenner), Joachim Tomaschewsky (Pater Pierre), Johnny Pfeiffer (Bodybuilder des Generals), Jones Muguse (Diktator Hassan), Thomas Chibwe (Jesus Peter Panne).
Länge: 72 Minuten.
Anbieter: Filmgalerie 451.
Extras: Interview, Kinotrailer
Superbonusprogramm: „Udo Kier – Tod eines Weltstars“ (45 Minuten)
Sprachen: Deutsch und Englisch (ohne Untertitel)
FSK: Ab 18 Jahren
Code Free
PAL Farbe
4:3
Ton: Dolby Digital 2.0


„United Trash“ ist ein Film, den Schlingensief anscheinend für sein Publikum gemacht hat. In 35mm gedreht, versehen mit erläuternden, witzigen Voice-Over-Kommentaren, enthält der Film eine (für Schlingensief-Verhältnisse) nachvollziehbare Geschichte. Vollkommener Trash, ganz klar. Genau deshalb wird im Filmtitel darauf hingewiesen, damit jeder weiß und damit jeder lustvoll erwarten kann, was auf ihn zukommt. Das ist der Unterschied zu anderen Schlingensief-Filmen: „United Trash“ ist nicht konsequent und mit voller Absicht gegen das Publikum konzipiert, sondern er richtet sich gezielt an eine bestimmte Zuschauerschicht. Der Regisseur schmeißt nicht eine geballte Ladung ins Gesicht des Zuschauers, sondern serviert seine Geschmacklosigkeiten in mundgerechten Häppchen für den, der den schlechten Geschmack goutiert.

Kurz nach dem absoluten Versagen der Vereinten Nationen bei ihrer Friedensmission in Ruanda, wo schließlich ein paar tausend Leutchen in Machetenmassakern getötet wurden, dreht Schlingensief seine Sicht der afrikanischen Verhältnisse; und der Verhältnisse in der ganzen Welt. Locker hangelt er sich an einer biblischen Erlösergeschichte um „Jesus“ Peter Panne entlang, der von seiner vollbusigen Mutter Martha (Russ-Meyer-Superhexe Kitten Natividad) zwar nicht jungfräulich, sicherlich aber außerehelich geboren wurde – ihr Mann Brenner (Udo Kier) ist UN-General in einem afrikanischen Land, und er ist stockschwul. Peterchen ist folglich schwarz, aber vielleicht ist sein Vater auch der antipäpstliche Priester Pierre, der schon lange exkommuniziert wurde und nun Peter als neuen Heiland in einer neuen Religion installieren möchte (erinnert ein bisschen an „Life of Brian“, oder?). Peter ist ein Kleinwüchsiger und hat eine ejakulierende Vagina auf dem Kopf: Die Mutter hatte ihm eine Stricknadel durch die Nase gerammt, nach der Operation entstand eine fürchterliche Spalte quer über Peters Schädel (Vater Brenner macht ein schönes Gestammel aus den Wörtern „Fratze“ und „Fotze“). Weil Peters Fotze so schön raucht und spuckt, will ihn der Diktator Hassan für sich haben: Ihm hat Brenner eine alte deutsche V2-Rakete geschenkt, mit der Hassan das weiße Haus in die Luft sprengen will. Als Antrieb nimmt er brennende Neger, aber das funktioniert nicht richtig, und deshalb kommt ihm Peter mit seiner spuckenden Spalte gerade recht, denn da ist Druck dahinter. Nur: Pater Pierre will die Rakete mit dem Peterantrieb gegen den Vatikan einsetzen.
Das ist die Geschichte, und damit alles nun vollends überhaupt nicht kompliziert wird, ist alles in einer Schrifttafel schon am Anfang des Films vorweggenommen. Denn eigentlich geht es natürlich darum, wie Schlingensief die Puppen zum Tanzen bringt. Versagen von UN-Missionen, Kolonialvergangenheit, Evangeliumsgeschichte und christliche Missionierung, Amerikahass, Schwule, Neger und Freaks in einem grotesken Reigen, angereichert durch Anspielungen unter anderem auf Oskar Matzerath und Reich-Ranitzky, Effi Briest und Tanja Blixen, und alles wird schön erklärt durch witzig-ironische Kommentare („Wer UNO heißt, der niemals auf den Teller scheißt“ – sollten diese Kommentare nachträglich auf Anweisung von Hanno Huth hinzugefügt worden sein, der als Produzent von Senator Film 100.000 Mark zugeschossen hat – und auf dessen Kappe auch die alberne Kommentarstimme in Helge Schneiders „Texas“-Film geht?).

Tatsächlich hat es bisher bei Schlingensief noch keine derartige Masse an Körperflüssigkeiten gegeben: Blut, Schweiß, Sperma, Scheiße, Schleim, Kotze und dergleichen mehr. Und erstmals nimmt Schlingensief tatsächlich Freaks zur Darstellung einer absolut verzerrten Welt: der kleinwüchsige Peter, die großbusige Kitten Natividad, ein gemischtrassiges Liliputaner-Ehepaar (er weiß, sie schwarz) mit bayrischem Dialekt, und schließlich hat er tatsächlich auch einen Albino-Neger gefunden.
Vielleicht ist es die gewollte Trashigkeit, die stilisierte Obszönität, die auf bestimmte Publikumsbedürfnisse für camp zielen, die Schlingensief im der DVD beigefügten Interview bekennen lassen, dass er den Film nicht richtig mag. Denn natürlich stimmt, was Susan Sontag zu camp anmerkt: „Reines Camp ist immer naiv. Camp, das weiß, dass es Camp ist, überzeugt in der Regel weniger.“ Unterhaltsam, wenn auch wenig erkenntnisfördernd, ist es freilich dennoch. Wobei der ganze Irrwitz des Films fast noch übertroffen wird von dem Drumherum bei den Dreharbeiten, die vom Geheimdienst von Simbabwe bedroht waren und vom deutschen Botschafter heldenhaft gerettet wurden. Schlingensief lässt sich darüber aus im Interview wie ein guter Märchenonkel, der keine bösen Gedanken kennt.

Anders hingegen kommt Schlingensiefs 45-Minuten-Film „Udo Kier – Tod eines Weltstars“ von 1994 daher, der der DVD ebenfalls als Extra beigegeben wurde. Im Auftrag des WDR sollte Schlingensief Udo Kier porträtieren, der ja in fast all seinen Filmen mitspielt. Schlingensief scheint das öffentlich-rechtliche Geld genommen zu haben, um mit all seinen Freunden einen schönen Toscana-Urlaub zu machen. Alfred Edel ist dabei, Susanne Bredehöft, Brigitte Kausch und Dietrich Kulbrodt, Freifrau Irmgard Baronin von Berswordt-Wallrabe, an der Kamera Voxi Bärenklau, und natürlich Udo Kier, um den sich alles dreht. Alle nehmen sie Teil an einem schön unsinnigen fiktionalen Dokubericht über Kiers angeblicher Todeskrankheit, der Alfred Edel als Fernsehreporter nachspüren soll, nur um festzustellen, dass Kier seine Krankheit inszeniert hat, um – ja, eigentlich ist alles nur inszeniert, um ein bisschen Spaß vor der Kamera zu haben. Und zugleich natürlich, um Udo Kier zu würdigen, der so gekonnt immer schon Trash mit Kunst verbunden hat et vice versa. Das ist Albernheit pur, zur Freude des Publikums natürlich, aber vor allem auch zum Spaß aller Beteiligten. Unsinn ohne Dreck, ohne Nazis, ohne Inzest und Ekel. Und das ist doch auch mal was Entspannendes bei Schlingensief.

Die DVD können Sie in unserem Online-Shop bestellen.


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