Das Boll-Werk. Ein Portrait des Regisseurs und Produzenten Uwe Boll (aus dem Jahr 2005)

von Gregor Ries

Ist Regisseur Uwe Boll nur ein finanzkräftiger Dilettant oder ein neuer Ed Wood, wie die amerikanische Presse zum Start seines Monsterspektakels ALONE IN THE DARK (USA 2005) behauptete? Auch in Deutschland musste der erklärte Actionfan für seine zweite Umsetzung eines erfolgreichen PC-Spiels reichlich negative Kritik einstecken. Jedenfalls ist der 27 Millionen Dollar teure Action-/Horror-Mix auf den Spuren von THE X FILES (CAN/USA 1998) oder THE RELIC (USA/GBR/DEU/JPN/NZL 1997) Bolls bislang aufwändigstes Kinoprojekt. Als er Anfang der 1990er gemeinsam mit Frank Lustig den eher amateurhaften, mäßig komischen GERMAN FRIED MOVIE (DEU 1991/92) sowie den dialoglastigen Politthriller BARSCHEL – MORD IN GENF? (DEU 1992/93) im Eigenverleih herausbrachte, hätte wohl niemand geahnt, dass seine Werke eines Tages in Amerika mit 2000 Kopien starten würden.

Dem Splatterfilm AMOKLAUF (1993), mit dem Boll erstmals seinem Hang zu blutigen Trash-Stoffen nachging, folgte 1996 der wenig beachtete Studentenulk DAS ERSTE SEMESTER (DEU 1996). Nach dem Grund seiner vierjährigen Regiepause befragt, sagt der inzwischen in Mainz lebende Filmemacher: "Ich hatte keine Lust, so weiterzumachen. DAS ERSTE SEMESTER sollte eigentlich eine schwarze Studentenkomödie werden, doch dann fing der Verleih an, mir in das Konzept und die Besetzung reinzureden. Am Ende starteten sie den Film dann nur mit 60 Kopien. Lieber verlegte ich mich dann auf das Produzieren. Außerdem wollte ich Genrefilme drehen, und dazu gab es hier keine Möglichkeiten."

Von Wiesbaden aus produzierte Boll in Folge einige Fernsehfilme, daneben aber ebenso experimentelle Kinostoffe wie den umstrittenen L'AMOUR, L'ARGENT, L'AMOUR (DEU/CHE/FRA 1996-2000). Als er Medienfonds gründete, um Geld für in Kanada gedrehte Psychothriller wie SANCTIMONY (DEU/USA 2000) oder BLACKWOODS (DEU/CAN 2001) aufzutreiben, sah dies nur auf den ersten Blick wie eine Totgeburt aus. Bei der letztjährigen Frankfurt-Premiere von ALONE IN THE DARK rechnete der Finanzprofi in einer atemlosen One-Man-Show den Fondsinhabern und Rhein-Main-Medienleuten vor, wie deutsche Anleger bei Hollywood-Großproduktionen über den Tisch gezogen werden. Ungeachtet dessen, was man über die meist mit B-Filmstars besetzten Actionstoffe denken mag, erwiesen sich die Investment-Filmfonds für Anleger auf Dauer ertragreicher als andere deutsche Medien-Beteiligunsgesellschaften. Bei Verhandlungen ist Boll ein knallharter Geschäftsmann. Mit Darsteller wie Christian Slater oder Michelle Rodriguez pokerte er noch kurz vor den Dreharbeiten um die Gage, um letztlich im Budget bleiben zu können. Das Kalkül ging stets auf. So waren bei dem schon abgedrehten BLOODRAYNE (USA/DEU 2005) sowohl Michelle Rodriguez als auch Kristanna Loken zeitweise ausgestiegen. Als Boll jedoch Leelee Sobieski als Ersatz für den Titelpart engagieren wollte, kam Loken wieder zurück. Auch Rodriguez hatte ihre Koffer für die Kaparten längst gepackt und überstimmte ihren Agenten. Boll: "Der Agent von Rodriguez hat uns dann sogar Meat Loaf als Ersatz für Ving Rhames besorgt, der vertraglich an ein anderes Projekt gebunden war. Somit ist es gut, hartnäckig zu bleiben. Bislang zahlte es sich immer aus."

Dass die Einspielergebnisse von ALONE IN THE DARK weit hinter den Erwartungen blieben, dürfte den Tatendrang des Doktoranden im Fach Literaturwissenschaft kaum bremsen. Boll besitzt die Rechte an einem halben Dutzend erfolgreicher PC-Games wie "Dungeon Siege", "Hunter: The Reckoning", "Far Cry" oder "Fear Effect". Nachdem HEART OF AMERICA (DEU/CAN 2002) über ein Schulmassaker, sein ambitioniertestes Projekt, international schwer zu verkaufen war, verlegte er sich auf den Erwerb von Game-Lizenzen: "Die Rechte erwarben wir 2003. Obwohl wir im letzten Jahr noch Verhandlungen führten und weitere Optionen besitzen, belassen wir es im Moment erst einmal dabei. Der Vorteil liegt natürlich darin, dass die Spiele schon eine große Fanbasis besitzen. Vielleicht hängt der US-Misserfolg von ALONE IN THE DARK ja damit zusammen, dass das Spiel in Europa erheblich populärer ist."

Seine blutige Umsetzung des Zombie-Spiels "House of the Dead" spielte an den US-Kassen 10 Millionen ein und erzielte weltweit 80 Millionen Dollar. Verärgert waren einige Zuschauer jedoch über das Einbinden von Spielszenen. Dabei handelt es sich keineswegs um eine direkte Verfilmungen: Während HOUSE OF THE DEAD (DEU 2002/03) die Spiel-Vorgeschichte schildert, was sich erst in den letzten Minuten heraus stellt, sind ALONE IN THE DARK und der Vampirschocker BLOODRAYNE zeitlich nach dem letzten Game angesiedelt.

Boll zum Unterschied von Vorlage und Adaption: "Natürlich ist es wichtig, dem Geist eines Spiels treu zu bleiben, aber man muss auch eine stimmige Story erzählen. Die Fans sind über jede Änderung enttäuscht oder verärgert. Auf der anderen Seite erwartet man dann eine Geschichte mit dem Gehalt von SCHINDLER'S LIST (USA 1993). Wovon handelt denn HOUSE OF THE DEAD eigentlich? Da geht es um das Abknallen von Zombies!"

In ALONE IN THE DARK löst ein von einem skrupellosen Wissenschaftler freigesetztes Wesen gleichzeitig den Amoklauf von 19 unbescholtenen Bürgern aus. Gemeinsam mit diesen Leuten wurde Privatdetektiv Edward Carnby, die Nummer 20 (Christian Slater), als Kind aus einem Waisenhaus entführt. Von den verschwundenen Kindern tauchte Carnby damals als Einziger wieder auf. Mit einer Archäologin (Tara Reid) und seinem Rivalen (Stephen Dorff), einem Regierungsagenten, versucht der Spezialist für Paranormales jetzt den Ausbruch des Bösen aufzuhalten. Gemeinsam stösst das Trio auf ein Tor, das den Übergang zwischen der Welt des Lichtes und der Dunkelheit bildet.

In der ersten Fassung entwickelte ALONE IN THE DARK durchaus eine bewusst undurchsichtige Handlung, wenn sich verschiede Plotelemente erst allmählich zum Ganzen formen. Doch nach US-Testvorführungen entschloss man sich zu Änderungen. Dazu der Frankfurter Produzent Wolfgang Herold: "Wir haben Rückblenden neu gedreht, Inserts eingesetzt und den Schluss durch Texteinblendungen verständlicher gemacht." Das Einfügen eines nachträglichen Off-Kommentars irritierte Hauptdarsteller Christian Slater. Uwe Boll: "Christian Slater fragte mich: 'Wie oft soll ich es eigentlich noch sagen, dass die Geschichte 20 Jahre später weiter geht?' Darauf meinte ich: 'Aber die Leute kapieren es doch offenbar nicht.' Das ist kein Wunder. Beim amerikanischen Start besuchte ich eine Vorstellung um 23 Uhr. Die Hälfte der Besucher war dort unter 15 Jahren, darunter auch einige vier- oder fünfjährige Latino-Kinder mit ihren Eltern. Es ist verständlich, dass man für sie die Handlung so simpel wie möglich gestalten muss. THE LORD OF THE RINGS könnte man mit seiner ausufernden Geschichte heute ohne die bekannte Vorlage schon gar nicht mehr durchsetzen."

Die düstere Horrormär, routiniert und streckenweise rasant in Szene gesetzt, überlässt den beschworenen Schrecken lange der Publikumsfantasie. Leider krankt das übersinnliche Schauerstück wie viele Boll-Werke daran, dass die Konflikte schließlich mit dem Holzhammer (sprich: einem endlosen Massaker) aufgelöst werden, an einer eher behaupteten denn entwickelten Liebesgeschichte sowie der fehlbesetzten Tara Reid. Sowohl Drehbuch als auch Inszenierung weisen zudem manche Ungereimtheiten auf. Recht offen spricht Uwe Boll über Stärken und Schwächen seiner Filme, so wie er etwa Tara Reid für überfordert hält, was aber letztlich nichts am eingeschlagenen Weg ändern soll: "Bei den nächsten Produktionen will ich mich stärker auf das Filmemachen konzentrieren und mich weniger um die Fondsfinanzierung kümmern."

Froh ist Uwe Boll darüber, dass die Postproduktion nicht im Ausland, sondern bei "Herold & Besser" in Frankfurt erfolgt. Mit seinem Studio sorgt Wolfgang Herold für das Sound Design, die Bild-Nachbearbeitung, den Soundtrack und die deutsche Synchronisation. Abgedreht hat das eingeschworene Team den historischen Vampir-Schocker BLOODRAYNE unter anderem mit Ben Kingsley, Michael Madsen, Udo Kier oder Geraldine Chaplin stilgerecht in den rumänischen Kaparten. Die ersten Ausschnitte sehen recht vielversprechend und wieder reichlich blutig aus. Von der Nazi-Zeit verlegte man den Konflikt ins Transylvanien des 18. Jahrhunderts. Stolz berichtet Uwe Boll, dass es ihm gelang, fast ein Dutzend bekannter Darsteller für rund 3 Millionen Dollar zu engagieren, während Milla Jovovich für RESIDENT EVIL: APOCALYPSE (DEU/FRA/GBR/CAN 2004) allein 4,5 Millionen erhielt.

Noch größer soll das Fantasy-Spektakel DUNGEON SIEGE nach dem Microsoft-Erfolgsspiel ausfallen. Ein Debakel wie die DUNGEONS & DRAGONS (USA/SVK 2000)-Umsetzung will der umtriebige Filmemacher vermeiden. Vielmehr schwebt ihm ein Kampfepos wie BRAVEHEART (USA 1995) vor: "Ben Kingsley, Kristanna Loken oder Christian Slater würden wieder mitwirken. Aber eigentlich möchte ich jetzt mit neuen Leuten arbeiten. Dazu muss jedoch neben der Gage natürlich das Drehbuch stimmen, um etwa jemanden wie Edward Norton zu überzeugen." Ob es gelingt, Bolls Lieblingsschauspieler zu gewinnen, ist im Moment noch ungewiss, aber vielleicht kann er mit seinen nächsten Projekten einmal den steten Trash-Vorwurf widerlegen.

PS: Wer mehr über Uwe Bolls Aktivitäten wissen möchte, sollte sich auf seiner Firmenseite BOLL KG umsehen.