Der Teufel ist ein Eichhörnchen - "Antichrist" von Lars von Trier

von Harald Mühlbeyer

"Antichrist"
Dänemark, Deutschland, Frankreich, Schweden, Italien, Polen 2009. Buch und Regie: Lars von Trier. Kamera: Anthony Dod Mantle. Produktion: Meta Louise Foldager.
Darsteller: Charlotte Gainsbourg (Sie), Willem Dafoe (Er).
Länge: 104 Minuten
Verleih: MFA
Kinostart: 10.09.2009

Jetzt also doch noch etwas zu Lars von Triers "Antichrist"; wenn auch mit einiger Verspätung nach dem Kinostart.

"Antichrist" ist sicherlich nicht der beste Film von von Trier. Nein. Aber es ist ein eindrücklicher Film, das hat er mit den anderen von Triers gemeinsam, und das ist mehr, als viele sonstige Filme zu bieten haben.

Und es ist im Grunde ein Wunder. Denn die diesjährigen Filmfestspiele von Cannes, wo "Antichrist" seine Uraufführung erlebte, haben eine Menge eindrücklicher, nachdrücklicher, unvergesslicher Filme beinhaltet, die alle jetzt so langsam in die deutschen Kinos kommen: Tarantinos Meisterwerk "Inglourious Basterds", demnächst Michael Hanekes "Das weiße Band", der verdientermaßen gewonnen hat, im Januar dann Gilliams "Imaginarium of Dr. Parnassus"; und Ang Lees "Taking Woodstock", der auch gerade in den Kinos läuft, ist ja auch sehr, sehr gut. Da geht sogar ein Film wie "Zerrissene Umarmungen" unter, der sicherlich nicht der beste von Almodovar ist, zu überambitioniert, zu gewollt verdreht; in Berlin aber wäre man froh, wenn man wenigstens sowas mal sehen würde...

"Antichrist" ist als Film vielleicht nicht ganz gelungen, als Aufreger aber allemal gut genug. Und diese Aufgabe hat er ja auch erfüllt, und von Trier hat das ja auch bezweckt. Sonst würde er nicht gleich am Anfang in seine wunderbar choreographierten Slowmotion der Schrecklichkeit einen kurzen Hardcore-Porno-Clip einmontieren. Von Trier weiß schon, wie er die Leute aus den Sesseln heben kann, die sonst wenig aus den Sesseln hebt. Und die dann gleich Frauenfeindlichkeit rufen.

Ich war nicht dabei; aber das muss in Cannes sowas wie ein Lauffeuer gewesen sein, dass man sich gegenseitig in diesen Vorwurf reingeschaukelt hat: uha, von Trier, der hat doch immer die Frauen leiden lassen. Und jetzt ist die Frau sogar nicht nur die Böse, sonder das Böse an sich!

Aber nein. Das ist ja das Gewitzte bei Lars von Trier: dass er sich eben nie auf einen Standpunkt festlegen lässt. Der Film ist genauso frauenfeindlich wie irgendwas anderes. Man kann "Antichrist" auf soviele Weisen interpretieren, wie man will; und man kann reinlesen, was man will; und der Film lässt das zu; und ist dabei doch überhaupt nicht beliebig; weil es ihm genau darum geht: um die Herausforderung einer Reaktion.
Da kann man psychologisch rangehen: man kann über die Trauerarbeit reden, die Sie und Er ableisten müssen nach dem Fenstersturz-Tod ihres Kindes. Man kann diskutieren, was richtige und was falsche Trauer ist (wie Er und Sie es im Film tun), und man kann auch Willem Dafoes Charakter einen arroganten, selbstgerechten Kotzbrocken nennen, und Charlotte Gainsbourgs Figur eine neurotische Psychopathin. Oder: man kann ihn als Verzweifelten sehen, der den schrecklichen Tod des Sohnes mit eigener emotionaler Distanz überwinden und dabei wenigstens seiner Frau helfen will, und sie als eine Verzweifelte, die einen ganz anderen Weg geht, die eine größtmögliche emotionale Nähe zum toten Kind erhalten will und dabei von ihrem Mann wegdriftet. Oder hatte vielleicht, auch das deutet der Film an, sie schon immer einen Klammer-Tick, hat sie an ihrer tiefsitzenden, krankhaften Angst vorm Alleinsein schon immer gelitten und deshalb dem Sohn die Schuhe falschrum angezogen, damit er nicht zu weit weglaufen kann? Und fickt sie deshalb so manisch ihren Mann?

Man kann das alles auch religiös sehen, deshalb heißt ja die Waldhütte "Eden", in die Er Sie hinverschafft, um ihre Ängste zu überwinden: durch die Konfrontation mit dem, wovor sie am meisten Panik hat. Und deshalb geht der Horror auch direkt in die Urgründe religiösen Furors: hin zum Bösen in allem. Psychotherapie steht dabei gegen religiöse Spiritualität, die trockene Rationalität der Aufklärung wird mit der Sexualneurose vielleicht des Christentums, vielleicht des Katholizismus, vielleicht auch nur des fanatischen Volksglaubens kontrastierend verbunden. Und das geht bis hinein in die Bilder und perversen Phantasien des Horror-Slasher-Films...

Was aber haben die drei Bettler da zu suchen: das Reh, der Fuchs, der Rabe, die nicht nur überaus symbolisch auftauchen, die auch als überaus symbolisch im Film selbst benannt werden? Und das Schlussbild, die Vielen, Vielen, die den Bergwald hinaufstreben? Die Eicheln, der böse Wald, der tote Baumstumpf, der verlassene Fuchsbau, die Brücke über den Bach...

Lars von Trier weiß sicher ganz genau, was das alles soll; vielleicht aber auch nicht, weil er sich diesen Film ja, wie er sagt, nur von der depressiven eigenen Seele heruntergeschrieben hat. Eins aber ist klar: ob nun aus dem Bewusstsein oder aus dem Unterbewusstsein geschaffen: in seiner klaren Vagheit, in seiner vieldeutigen Grundphilosophie ist er durchaus stringent.

Das hätte man sich auch vom gesamten Film an sich erhofft; dann wäre er ein geniales Meisterwerk geworden.
Nun freilich ist er irgendwo mitten drin etwas unzusammenhängend. Denn Lars von Trier kanns nicht lassen und muss eine seiner großen Geschichtsverdrehungen, Rationalitäts-Spinarounds, Provokationshypothesen loswerden. Wie er in "Breaking the Waves" eine Frau aus irrationalem Glauben heraus hat leiden lassen und ihr am Ende recht gegeben hat; oder die Sklaven von "Manderlay" ihre Unfreiheit hat selbst wählen lassen zugunsten von Sicherheit, so schraubt er auch in "Antichrist" ein Was-wäre-wenn hinein: dass der Gynozid an den als Hexen verschrienen Frauen eben doch gerechtfertigt war, weil man damals noch wusste, wo das Böse liegt...

Das haben in Cannes viele wörtlich genommen, deshalb der böse Vorwurf der Frauenfeindlichkeit. Aber natürlich ist es nicht wörlich gemeint; eher als provokantes Gedankenspiel, als Aufforderung, neue, andere Sichtweisen zuzulassen. Denen, die über von Triers Frauenbild schimpfen, könnte man also im Gegenzug mentale Intoleranz vorwerfen.
In Woody Allens "Der Schläfer" spielt Allen einen Vegetarier, der 200 Jahre eingefroren war und nun gewärtigen muss, dass die Wissenschaft neue Erkenntnisse gewonnen hat: dass nämlich vor allem fettes Fleisch und viel Tabakgenuss gesund sind. Bei Allen ist das ein Scherz; von Trier erzählt etwas ähnliches, aber eben nicht als Gag: und das stürzt dann viele in Verwirrung, weil sie nicht wissen, wie sie umgehen sollen mit dem, was im Film da so alles vorkommt. Und dann stürzen sie sich aufs Offensichtliche und versteifen sich auf angeblichen Frauenhass und beweisen damit, dass sie sowas wie uneigentliches Sprechen oder Ironie oder, sagen wir, böse verdrehten Humor nicht kapieren.

Dem Film kann man etwas anderes vorwerfen. Dass er nämlich diesen Aspekt der Richtigkeit von Hexenverbrennungen zuwenig verbindet mit dem Geschehen zwischen Mann und Frau; und auch nicht so richtig in Einklang bringt mit Charlotte Gainsbourgs eingängiger Erkenntnis, dass die Natur die Kirche Satans sei. Das wurde zwar alles schön und richtig in einen Topf geworfen, aber nicht so richtig umgerührt; oder sagen wir: miteinander vergoren. Oder wenigstens durch gemeinsames Anbrennenlassen miteinander zu einem Ganzheitlichen verbunden.
Aber egal: faszinierend ist der Film dennoch. Wäre er perfekt, wäre er vielleicht wirklich gar nicht mehr zu ertragen.