DVD: „Das weiße Band“ – Auch ohne Oscar viele Blicke wert

Österreich/Deutschland 2009. Regie, Buch: Michael Haneke


Der deutsche Film des Österreichers Michael Haneke („Funny Games“, „Caché“) hat nicht den Oscar als bester nichtenglischsprachiger Film gewonnen. Aber eine Menge andere Preise, darunter die Goldene Palme in Cannes. Die jetzt erscheinende Einzel-DVD und die Deluxe 2 Disc Edition bietet nun die Möglichkeit, den Film noch einmal oder gar zum ersten Mal anzusehen, was sich in jedem Fall lohnt.

Erzählt werden Ereignisse des Lebens in einem norddeutschen Dorf in dem Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Durch die Geschichte leitet der Voice-over des Schullehrers aus einer nicht genau benannten späteren Zeit. Die mehrfach mit Auszeichnungen gewürdigten Aufnahmen des Kameramanns Christian Berger zeigen das Dorfleben in Schwarzweiß, in kunstvollen Arrangements. Hier wird Hanekes Herangehensweise an das historische Thema deutlich: Wie in diversen Interviews von ihm ausgedrückt, verabscheut er Filme, die versuchen so zu tun, als würden sie wirklich die vergangenen Zeiten abbilden, weil sie dadurch für ihn jegliche Glaubwürdigkeit verlieren. Seine Erzählweise vermeidet diesen Eindruck durch die zweifache Abstraktion. Einerseits ist der Film, da von dem Lehrer erzählt, eine subjektive oder zumindest unzuverlässige Erinnerung. Der Verzicht auf Farbe vermindert ebenfalls den Eindruck einer möglichst realistischen Abbildung. Somit soll sich der Zuschauer von vorneherein bewusst sein, dass er keine Dokumentation der Tatsächlichkeit vor sich sieht.

Dies hilft beim Umgang mit dem Inhalt. Die episodenhafte Dramaturgie, verbunden durch den Voice-over, bewirkt eine Struktur des Films, die an Romane oder Stücke erinnert, die anhand der Darstellung einer kleinen Gesellschaft größere Zusammenhänge darstellen wollen – man denke an Thornton Wilders „Our Town“. Wie in solchen Werken schildert Haneke anhand des Alltags die Machtstrukturen und Beziehungen zwischen den Personen. Und ebenso wie das epische Theaterstück Wilders hat wohl auch Haneke eine gewisse Belehrung oder zumindest Anregung des Zuschauers im Sinn. Seine erwachsenen Figuren tragen alle keine Namen, sondern ihre Berufs- beziehungsweise Standesbezeichnung. Er schafft so eine exemplarische Darstellung des Lebens zu Beginn des 20.Jahrhunderts, besonders dem auf dem Land. Dort haben die Adeligen eine unangreifbare Autorität inne, die ihnen verpflichteten Dorfbewohner sind sogar eher dazu imstande, ihre eigenen Kinder zu prügeln, als bei dem Gutsbesitzer in Ungnade zu fallen. Diese Hierarchie gliedert das gesamte Dorf, weist jeden seinen Platz zu, dem er anscheinend nicht entfliehen kann.

Die Bedeutung und die Auswirkung dieser festgefahrenen und komplizierten Strukturen behandelt Haneke durch die Darstellung des kindlichen Lebens in dieser Art der Gemeinschaft. Kinder haben im Allgemeinen einen großen Freiheitsdrang und müssen die Regeln ihrer Umgebung erst mit den Jahren lernen. Dieses Erlernen der Verhaltensweisen, der Pflichten und Verbote festigt in ihnen ein bestimmtes Moralverständnis, eine Vorstellung von der Welt, sind prägend für ihr Verhalten als Erwachsener. Haneke zeigt eine Vielzahl Kinder aus verschiedenen Familien und jeden Alters. Fast allen widerfährt irgendeine Art Misshandlung, sei sie physischer oder psychischer Natur. Oft sind gerade die Eltern die Urheber dieser Übergriffe. Besonders sticht hierbei der Pfarrer heraus. Seine große Kinderschar wird unter sehr strengem Regiment gehalten, für nichtige Vergehen werden sie mit Schlägen und, schlimmer noch, mit Folter an ihren Gefühlen bestraft. Am Ende des Films liegt sogar die Vermutung nahe, dass es die Kinder, vor allem die Pfarrerskinder, sind, die für die geheimnisvollen und unheilvollen Vorkommnisse in dem Dorf verantwortlich sind.

Da wird ein fast tödlicher Anschlag auf den Doktor verübt und einem behinderter Jungen die Augen ausgestochen. Alles scheint aus einem fehlgeprägten Gerechtigkeitssinn der Kinder zu entspringen. Da ihre Eltern angeblich im Namen der Wahrheit und der Liebe Schreckliches tun, ihnen und ihren Dorfnachbarn gegenüber, bauen die Kinder dieses Verhalten zu einem eigenen System aus, indem sie deren Regeln als absolute, gnadenlose Gesetze verfolgen. Anders als der Thornton Wilder wirft Haneke keinen irgendwie doch optimistischen Blick auf die Zeit und das Leben damals. Es ist zwar nicht so, dass es gar keine positiven Moment gibt, da gibt es Geschwister, die zueinander halten, oder aufkeimende junge Liebe, doch über allem liegt der Eindruck von dauerndem Zwang, ewiger Unfreiheit und ständig drohender Gewalt. Diese Stimmung wirkt sich auch auf den Zuschauer aus. Kritiker warfen Haneke daher vor, er manipuliere sein Publikum, ließe ihnen keinen Ausweg als seine Perspektive auf diese vergangene Zeit am Ende in ihrer Reaktion auf das Gesehene zu adaptieren. Dazu sollte natürlich bemerkt werden, dass die meisten Filme, auch viele, die für sehr gut gehalten werden, eine klare Position einnehmen. Zudem legten auch Hanekes frühere Filme durchaus schon öfter klare Schlussfolgerungen über das Thema nahe.

Auch bleiben natürlich Fragen und Handlungsstränge ungeklärt. Für die ungewöhnlichen Zwischenfälle im Dorf liegt die Lösung am Ende recht deutlich vor dem Auge des Zuschauers. Doch bietet das gesehene Panorama des Dorflebens viele verschiedene Episoden, die vage bleiben. So beispielsweise das Schicksal des Doktors und seiner Familie. Diese nicht vollkommen erklärbaren und abschließbaren Erzählstränge sind einerseits der Tatsache zuträglich, dass Haneke den Zuschauer von Anfang an aufmerksam die Glaubwürdigkeit der Geschichte untersuchen lässt. Auch können sie als Warnung darauf gesehen werden, das Thema des Films zu einseitig in eine Interpretationsrichtung zu zwingen. Zwar kann natürlich eine Beschäftigung mit dem Faschismus durchaus erkannt werden, doch ist der Film sicher nicht als Gesamtheit eine Beschäftigung mit dem Dritten Reich.

Viel interessanter scheint eben gerade die eigentümliche Beschäftigung mit unserer deutschen Vergangenheit. Bearbeiten Filme diese, geht es selbstverständlich am häufigsten um den Nationalsozialismus. Die Zeit hingegen, die Haneke uns zeigt, kennen wir in deutschen Filmen eher in Geschichten der nostalgischen, kitschigen Verklärung. „Das weiße Band“ bietet dem Publikum aber die Möglichkeit, die Missstände in der damaligen Gesellschaft zu erkennen und somit die eigene Vergangenheit zu überdenken. In Kinematographien anderer Länder lassen sich ähnliche Behandlungen gerade dieser Vergangenheit auch finden. Als Beispiel sei der zwar optimistischere „Fanny und Alexander“ von Ingmar Bergman genannt, der aber in der Darstellung der Quälereien an Kindern im Namen des protestantischen Glaubens durchaus Parallelen zu Hanekes Film aufweist. Die dargestellten Lebenszusammenhänge in „Das weiße Band“ verweisen natürlich zu gleichen Teilen auf die noch ältere Vergangenheit Deutschlands, die diese Systeme etablierte, sei es das Feudalwesen des Mittelalters, die Macht der Kirchen oder die Obrigkeitshörigkeit seit Vorherrschaft Preußens, und auch auf die Auswirkungen auf spätere Zeiten, vielleicht sogar bis in die Gegenwart. Auf jeden Fall hat das Thema auch ein hohes Maß an Aktualität inne, denn natürlich können sich auch heute in bestimmten Gemeinschaften oder Gesellschaften derart schadhafte Machtgefüge ausbilden und Unterdrückung und Folter im Name der Erziehung furchtbare Auswirkungen in den Seelen der Kinder haben.

Die Deluxe-Edition der DVD beinhaltet eine Disc mit sehr sehenswertem, aufschlussreichem und spannendem Bonusmaterial. Darunter befindet sich ein Making Of, das tiefe Einblicke in das Entstehen des Films, die Suche nach den Schauspielern und Hanekes Arbeitsweise ermöglicht. Außerdem findet sich darauf eine Dokumentation über den Erfolg des Films bei den Festspielen in Cannes, mit Aufzeichnung der Pressekonferenz und der Preisverleihung. Ein Dokumentarfilm über Michael Hanekes bisheriges Werk mit Einblicken in sein Privatleben von Gero von Boehm und Felix von Boehm aus der Arte-Reihe „Mein Leben“ rundet die Zusammenstellung ab.

Elisabeth Maurer


„Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“
Regie, Buch: Michael Haneke. Kamera: Christian Berger. Produzenten: Stefan Arndt, Veit Heiduschka, Michael Katz, Margaret Ménégoz, Andrea Occhipinti.
Darsteller: Christian Friedel, Leonie Benesch, Ulrich Tukur, Ursina Lardi, Fion Mutert, Michael Kranz, Burghardt Klaussner und viele andere
Verleih: X-Verleih
Laufzeit: 138 min
Veröffentlichung: 5.3.2010


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Lesen Sie auch unseren Bericht über "Das weiße Band" vom Münchner Filmfest 2009.