Kritik – Replik: Thomas Klein in filmdienst 07/10 über Harald Mühlbeyers "Perception is a Strange Thing. Die Filme von Terry Gilliam"

In filmdienst 07/10 besprach Thomas Klein in einer Sammelrezension neben meinem Buch „Perception is a Strange Thing.“ Die Filme von Terry Gilliam (Schüren-Verlag, Marburg 2010) auch Georg Seeßlens George A. Romero und seine Filme (Edition Phantasia, Joachim Körber Verlag, Bellheim 2010) und Roland Mörchens Ronin. John Frankenheimer und seine Filme (Vertigo-Verlag, München 2010).

„Die Filmanalysen und Schilderungen der teilweise haarsträubenden Probleme Gilliams mit der Filmindustrie sind genau und kenntnisreich; da schreibt einer, der sich mit den Filmen intensiv befasst hat“, bemerkt Klein zu meinem Buch. Ansonsten überwiegt der kritisch-tadelnde Blick: Er bemängelt neben einigen sprachlichen Holprigkeiten (die zu verzeihen seien) insbesondere den fehlenden „kulturelle[n] und gesellschaftliche[n] Kontext sowie eine genretheoretische Diskussion“.

„Die überbordende Fantasie Gilliams, der Traum als zentrales Motiv seiner Filme, die Produktion komplexer Systeme von Subtexten und die politische Aktualität einiger Filme werden zwar genannt, in den Analysen aber nur angerissen. Dabei bieten sich hier kontextuelle Anknüpfungspunkte; denn wie man spätestens seit Alexander Kluge/Oskar Negt weiß, ist die Fantasie ein wichtiger menschlicher Erfahrungsbereich.“ Weiter heißt es: „Einige Versuche, Gilliams Filme in einen politischen Zusammenhang zu stellen, geraten fast peinlich, weil keinerlei Literatur hinzugezogen wird. So wird der Anfang von „The Meaning of Life“, der als „The Crimson Permanent Assurance“ als eigenständiger kleiner Film Gilliams besprochen wird, zwar richtig als scharfer Kommentar „zu einem inhumanen Turbokapitalismus, in dem die Angestellten nicht mehr als Menschen, nur noch als Produktivkräfte angesehen werden“ beurteilt, woraufhin allerdings die Aktualität dessen darin gesehen wird, dass dieses „Gedankengut des Neoliberalismus die Welt in eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen überhaupt getrieben hat“. Der Autor (oder das Lektorat) hätte gut daran getan, diesen Satz wegzulassen oder sich mit dem vielschichtigen Begriff „Neoliberalismus“ näher zu beschäftigen.“

Und: Thomas Klein hat recht. Alexander Kluge und Oskar Negt bleiben in meinem Buch außen vor; auch habe ich mich nicht vertieft in Literatur zu politischen Zusammenhängen, in die Gilliams Filme gestellt werden könnten. Ich analysiere Gilliams Filme nicht hauptsächlich im Hinblick auf politische oder gesellschaftliche Aussagen, im Gegensatz zu Georg Seeßlen in seinem Romero-Buch, den Klein im selben Artikel ebenfalls, allerdings wohlwollend rezensiert und dem er bescheinigt, dass es ihm „einmal mehr“ gelinge, „dem Werk eines Regisseurs im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext Kontur zu verleihen.“

Ja: Klein vermisst den kritischen Blick in meinem Buch, und nein: einen solchen wollte ich gar nicht bieten. Insofern hat Kleins Kritik durchaus seine Berechtigung, denn das, was er in meinem Buch suchte, konnte er – bedauerlicherweise – nicht finden. Er sieht in Romero einen der „bedeutendsten Gesellschaftskritiker des Kinos“ und in Gilliam seinen in dieser Hinsicht ebenbürtigen Kollegen – womit er zweifellos recht hat, allerdings außer Acht lässt, dass Gilliam nach „Brazil“ kaum mehr direkten Bezug zur politischen und gesellschaftlichen außerfilmischen Wirklichkeit nimmt – „12 Monkeys“ zeigt zwar die Selbstzerstörung der Menschheit, aber innerhalb einesVexierspiels zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn; „Fear and Loathing in Las Vegas“ nimmt Bezug auf die historische außerfilmische Wirklichkeit; und erst „The Imaginarium of Dr. Parnassus“ enthält wieder direkt satirische Spitzen etwa zu Konsumismus und Charity-Wahn.

Thomas Klein hat seinen Standpunkt zu Gilliam, der sich mit meinem nicht hundertprozentig deckt, er kann diesen Standpunkt begründen, und leider passt mein Buch nicht zu seinen Vorstellungen. Während Klein einen Blick auf die Welt durch das Prisma von Gilliams Filmen fordert, betrachte ich das Prisma selbst. Wobei ich natürlich auch sowohl der bunten Strahlenspur, die das Prisma aussendet, als auch der Quelle des weißen Lichtes, das in diesem Prisma gebrochen wird, nachzugehen mich bemühe. Ob dies gelungen ist, muss gesondert beurteilt werden – Thomas Klein tut es in seiner Rezension nicht.

Ein kleinsches Argument aber kann ich entkräften: „Selbst eine Bemerkung zu Gilliams eindeutiger politischer Positionierung, die ihn dazu bewog, die US-amerikanische Staatsbürgerschaft während der Bush-Regierung abzugeben, bleibt aus, ja wird nicht einmal erwähnt“, schreibt er. Gerne sei hierzu ein Zitat von Gilliam nachgereicht: Beim Filmfest München 2006 antwortete er auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion auf eine diesbezügliche Frage von Moderator Robert Fischer: „It’s partly political, partly tax, partly getting old and trying to simplify a too complicated life“ – eine ähnliche Aussage findet sich in einem Interview auf Dreams – The Terry Gilliam Fanzine (runterscrollen, drittletzte Frage). Dass Gilliam nicht zur politischen Rechten gehört, ist selbstverständlich – man muss sich nur eine beliebige halbe Minute Monty Python anschauen. Seine Aufgabe der US-Staatsbürgerschaft freilich war kein rein politischer Akt. Und auf ebensolche Weise können meiner Meinung nach auch Gilliams Filme nicht allein auf politische Aussagen bezogen werden – wer sie auf diese Weise eindeutig macht, reduziert sie und wird ihnen keinesfalls gerecht. Finde ich.


Harald Mühlbeyer



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