Festival des deutschen Films, Ludwigshafen – „Die Mondverschwörung“

Thomas Frickel erforscht in seinem Dokumentarfilm „Die Mondverschwörung“ die Untiefen der deutschen Esoterik- und Verschwörungstheoretikerszene. Dafür bedient er sich eines einfachen, aber wirkungsvollen Tricks: er setzt einen Interviewer ein, der vorgeblich naiv und wohlwollend all den Spinnern zuhört, die da ihren Quatsch erzählen. Und weil der Mann mit dem Mikrophon so nett ist und so jovial nickt, plappern sie munter drauflos. Dennis R. D. Mascarenas ist dieser gemütliche Amerikaner, der die Deutschen erforschen möchte, ein dicker, behäbiger Mann irgendwo zwischen Michael Moore – wie er sich an die Gesprächspartner ranwanzt – und Alfred Hitchcock (in lustigen Filmtrailern oder „Alfred Hitchcock-Hour“-Anmoderationen) – wie er mit ironischem Gestus und lakonischem Humor alles mitmacht, was sich anbietet.

Ausgangspunkt ist ein amerikanischer Spinner, der Grundstücke auf dem Mond verkauft und einen kleinen Disput hatte mit einem deutschen Spinner, der den Mond für sich reklamiert – weil Friedrich der Große damals seinen Vorfahren den Himmelskörper per Urkunde geschenkt hat. Das ist natürlich Quatsch, ein Experte der Kölner Uni erläutert ausführlichst den internationalen Vertrag von 1967, nach dem alle Himmelskörper keinem Staat und keiner Person gehören dürfen – doch der Film nimmt das zum Anlass, seinen Protagonisten Mascarenas, der ja nichts anderes ist als eine konstruierte Vermittlerfigur, tief in die Mond-Esoterik-Ecke zu schauen, mit Mondgymnastik, -anbetung, -wasser. Stößt dabei auf die merkwürdigsten Typen, die an positive Schwingungen und Energien, an allgegenwärtige Satanismen glauben, an Astralmächte und kosmische Engel – hier sind wir im anthroposophischen Bereich, ein schwäbischer Spinner grenzt sich strikt ab von den Ufonauten, und vom nächsten Gesprächspartner wird Mascarenas schon gewarnt vor den giftigen organischen Zinnverbindungen auf den Euroscheinen, und jetzt wird es politisch: Das nämlich haben die Amerikaner verbrochen. Wie die Spinner freimütig gegenüber dem Amerikaner beklagen, der gutmütig nickt.

Das ist eines dieser höchst lustigen Momente, dass hier die Spinner jede Zurückhaltung vergessen, weil sie so froh sind, ihre Spinnereien mal ins Mikrophon, in eine Kamera verkünden zu dürfen, „die Leute müssen ja gewarnt werden!“, sagt einer der Spinner. Und mehr und mehr gerät Mascarenas und der Film hinein ins urdeutsch-nationalmythisch-rechtsradikale Milieu: Amerikaner sind schuld, aber eigentlich vor allem die Juden, und zwar kann man das messen: an negativen Schwingungen und am Plutoniumgehalt der Menschen, vor allem der Politiker: die alle zu Juden umgepolt wurden, von Strahlen aus dem Weltall natürlich, wobei es dagegen ein kraftvolles schützendes Symbol gibt (hier sind wir wieder bei zwei ganz anderen Spinnern, die, so scheint es, nicht antiamerikasemitisch eingestellt sind, weil sie ihre Weisheit direkt vom Erzengel Gabriel erhalten haben – sie fürchten auch nicht das Plutonium, sondern die Barium-Aluminium-Verbindungen in den Strahlen; doch das nur nebenbei). Wichtiges Stichwort ist hier Neuschwabenland, unter diesem Rubrum versammeln sich die nationalrechten Esoterikspinner, Hitler selbstverständlich nicht tot, sondern am Südpol, bzw. im Erdinneren, bzw. mit seinen Diesseits-Jenseits-Sprüngen beschäftigt, die ihn jung erhalten. Der Weltraum ist natürlich das Territorium der Reichsdeutschen, denen von den Aldebaranern die Raumfahrt gelehrt wurde, die nun die Rückseite des Mondes bevölkern – es ist ja eine unbegreifliche Verbindung zwischen dem Makromultiversum und dem Mikroversum, klar: das innere der Erde ist hohl, da leben die Atlantis-Überlebenden und die Reichsdeutschen, die unter der Erlöserfigur Hitler mit ihren untertellerförmigen Raumschiffen dereinst das jüngste Gericht halten werden: steht doch alles in der Offenbarung!

Ein unglaubliches Sammelsurium von Theorien und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die fundamental alle in einem neuen Licht erscheinen lassen, erforscht Mascarenas hier, bzw. Regisseur Thomas Frickel, und das ist lustig und immer wieder auch sehr erschreckend, was da an verquerem Denken sich auftut – und man kann hoffen, dass aus dem Denken dieser Spinner kein Handeln wird. Dramaturgisch ist das recht simpel gemacht, ohne größere Steigerung außer der, dass auf jede Theorie noch eine weitere, obskurere, absurdere draufgeschichtet wird; tiefe Erklärungen für das Bedürfnis nach derartigen spinnerten Welterklärungsversuchen darf man auch nicht erwarten, es reicht aber auch völlig, dass gezeigt wird, Erklärungen sind gar nicht nötig. Frickel und Mascarenas folgen einfach dem Weg der Spinner, ohne vordergründig belehren zu wollen: die Strategie ist Einfühlung, und vermutlich deshalb ließen sich so viele vor der Kamera aus mit ihren irrationalen Abstrusitäten, an die sie so fest glauben.

Ein Ende ist auch am Filmende nicht abzusehen, ein großes Zusammenfassen ist unmöglich, klar ist nur, dass alles mit allem zusammenhängt. Frickel und sein Mascarenas kommen da nur raus mit der Pointe, dass der Protagonist ob all dieser verwirrend-widersprechenden Glaubensbekenntnissen verrückt wird – ein etwas billiger Gag, aber wie hätte man sonst einen Abschluss finden sollen?
Im Abspann werden jedenfalls nicht nur die Gesprächspartner aufgezeichnet, die im Film vorkommen, sondern eine mindestens ebenso lange Liste an Spinnern, die nicht auftauchen; darunter ein Chronologiekritiker, ein Reichskanzler und ein Hasser des Brandenburger Tores.

Harald Mühlbeyer