MOP 2011: Der deutsch(sprachig)e Film – ein Integrationserfolg

Zu den Beiträgen und Gewinnern des 32. Filmfestivals Max Ophüls Preis 2011

Mir ist nicht bange, daß Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das Ihrige thun“, soll sich Goethe dereinst gedacht haben – und wenn man sich das gerade zu Ende gegangene 32. Filmfestival Max Ophüls Preis 2011 in Saarbücken angeschaut hat, hat man mit dem Uneins-Sein und -Bleiben auch heutzutage und auf andere Weise keine sonderlichen Problemen.

Das hat freilich weniger mit dem Zusammenhalt und -hang der Nation zu tun als vielmehr, dass in Sachen Film das Etikett „deutsch“ selten für soviel Qualität stand – und dabei so wenig „Deutsches“ bezeichnete. Der „MOP“ ist eine Festival vor allem für den Nachwuchsfilm made in Germany (oder zumindest: „in deutscher Sprache“), und wer sich davon im diesjährigen Wettbewerb nicht selbst überzeugen wollte oder konnte, glaubt es vielleicht Regisseur Dani Levi oder blickt auf die aktuellen Prämierungen.



Acht Flaschen Wein brauchte die sechsköpfige Hauptjury, so Levy, um unter den 16 Langfilmwettbewerbsbeiträgen (der siebzehnte, POLNISCHE OSTERN, lief außer Konkurrenz) den Gewinner zu küren. Ob es nun eine Bouteille zu wenig oder zu viel war (und ob Cosima Shiva Hagens gesundheitsbedingte Abwesenheit bei der Preisverleihung am Samstag im Congresszentrum dem Alkohol geschuldet) war, sei dahingestellt. Allerdings: Ob all der bunten Güte der Filme vergab die Hauptjury zum Hauptpreis hinzu noch einen Spezialpreis und zwei lobende Erwähnungen. Bis März, zum Rosenmontagsumzug müssen wir warten, um solch ein freigiebiges Herumwerfen von Süßigkeiten nochmal mitzuerleben. Doch man mag es nicht übelnehmen, war es doch wahrlich nicht leicht, schon vorab einen Favoriten zu küren. Und ein weiterer Beleg für die Vielfalt und Qualität der Einreichungen: Anders als letztes Jahr mit SCHWERKRAFT und BIS AUFS BLUT wurde kein Film bzw. Filmemacher doppelt ausgezeichnet – sogar die Darstellerpreise gingen an Schauspieler mit „eigenen“ Filmen.

Wer oder was haben diese Auszeichnungen und Lobhuldigungen jedoch nun bekommen? Zunächst waren es: die Schweiz. Beziehungsweise die Schweizer, die dieses Jahr die Österreicher mit deren vor allen skurrilen Komödien, die in den vergangenen Festivals so glänzten, verdrängt haben. Gleich fünf Wettbewerbslangspielfilme schickte uns Helvetia in den Norden und alle haben sie – berechtigterweise – etwas bekommen:

- 180° (CH 2010) von Chihan Inan: lobende MOP-Erwähnung;
- FLIEGENDE FISCHE MÜSSEN INS MEER (CH/D 2011) von Güzin Kar: Preis des saarländischen Ministerpräsidenten;
- STATIONSPIRATEN (CH 2010) v. Michael Schaerer: Preis der Schülerjury
- SILBERWALD (CH 2010) R: Christine Respond: Interfilmpreis
- Last but not least: DER SANDMAN (CH 2011) von Peter Luisi: Publikumspreis



Vergessen sei auch nicht die lobende Erwähnung der Dokumentarfilmpreisjury für Maria Müllers HÜLLEN (CH 2010). Übrigens: Auch Dani Levy ist Schweizer.

Ha!, mag da mancher sarrazinieren: Seht ihr, das sind jene feinen Einwanderungen, solcher Art von Emi- und Integrationwollen wir (uns) loben – Graswurzeldemokratie, Käsefondue, Bankgeheimnis, Ricola: wer hat’s erfunden, ganz recht, die Schweizer eben.

Doch gemach! Denn schon ein genauer Blick auf diese ganz feinen Alpen-Filme enthüllt: Auch „suspekte“ ethnische Hindergründe haben da ganz gehörig Anteil am Aufschwung, genauer gesagt und Schock schwere Not: Türken! Sowohl von 180° als auch FLIEGENDE FISCHE sind Regisseur und Regisseurin stammen (wenn auch nur in der zweiten Generation) aus dem islamnahen Osten; ihre Namen bringt es bereits an den Tag. Was in einem Fall (180°) eine Bereicherung ist, im anderen (FLIEGENDE FISCH) schlicht schnuppe.



Auch als bester Darsteller wurde sehr verdient Burak Yigit ausgezeichnet, der beim MOP in dem Mittellangen GURBET – FREMDE HEIMAT (D/TR 2010) von Deniz Söbir zu sehen war, im letzten Jahr aber bereits neben Jacob Matschenz in BIS AUFS BLUT brillierte.
Und der Förderpreis der DEFA-Stiftung wiederum ging an die Dokumentation ANDUNI – FREMDE HEIMAT (D 2010) von Samira Radis. Klingt auch nicht ganz geheuer, oder?

Um jetzt aber nicht weiter den Zirkus Sarrazin mit seinen Artisten und Clowns zu veräppeln, sondern um einfach weitere Beispiele dafür zu liefern, wie wenig Ideenbegriffe wie „deutscher Film“ oder „Nationalkinematographie“ hierzulande und in der Mitte Europas im positivsten Sinne an ihre Grenzen stoßen, weil eben solche nicht mehr wirklich von Bedeutung sind, noch ein paar Beispiele mehr: „Polnische-Ostern“-Regisseur und Co-Autor Jakob Ziemnicki ist gebürtiger Pole und Nick Baker Monteys, Regisseur von DER MANN DER ÜBER AUTOS SPRANG (D 2010), der mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde, wurde zwar in Berlin geboren, ist aber Brite (oder Schotte? Oje, Fettnäpfchengefahr!). Lobende MOP-Erwähnung bekam auch INSIDE AMERICA (2010) – ein österreichischer Film.

Und wenn eben kein Nicht-Deutscher hinter der Kamera stand, standen erstaunlich, erfreulich oft welche davor oder der Blick ging in die Fremde: Dokupreisgewinner THE OTHER CHELSEA (D 2010) von Jakob Preuss ist ein Personen- und Stadtporträt in, aus oder der ukrainischien Stadt Donezk mit ihrem „politischen“ Fussballklub. Eröffnungsfilm BAD BOY KUMMER des gebürtigen Budapesters Mikós Gimes: Ist über den deutschen Tom Kummer, der Starinterviews erfand, in den USA bzw. dem Traumland Hollywood. Der liebreizende Langfilmbeitrag WINTERTOCHTER (D/P[olnisch!] 2010) von Johannes Schmid handelt von einem Mädchen (betörend widerspenstig: Nina Monka), die am Heiligabend erfährt, dass ihr leiblicher Vater ein russischer Seemann ist, den sie nun in Polen sucht, gemeinsam mit einer älteren vertriebenen Dame, die sich dort ihrer Geschichte stellen muss.

Der Kurzfilmpreis erhielt ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE (D 2010) von York-Fabian Raabe. Der gedreht wurde u.a. in südafrikanischen Townships und von zwei illegalen afrikanischen Einwanderern, die als blinde Passagieren auf dem Fahrwerk eines Flugzeugs zu erfrieren drohen.



Und der Hauptpreis, der Max Ophüls Preis 2011? Der ging an ein Emigrations- und Illegalendrama: DER ALBANER (D 2010) von Johannes Naber, der, zum großen Teil in Albanien gedreht, einen Einblick in die dortigen Verhältnisse gibt. Naber übrigens hielt die beste Dankesrede seit langem? jemals? indem er die Gelegenheit nutzte die hiesige Film- und Kinopolitik und -ökonomie zu kritisieren und zum Beispiel eine Verstärkung der Verleihförderung anzumahnen. Wenn also irgendwo tatsächlich eindeutig und grenzgenau von deutschem Film die Rede sein kann, dann – leider – in solchen Bereichen…



Was das ganze Herkunfts- und (beinah) Identitätsgesinne soll? Sicher, auch in den letzten Jahren (und davor) haben wir immer im frankreichnahen Saarbrücken in Sachen Thema, Finanzierung und kreativem Personal Kultur- und National-Grenzgänger, Austausch und Fusion, beste Darstellerinnen wie Irina Potapenko (geboren auf der Krim) oder Nora von Waldstätten (geboren in Wien) bewundern und feiern dürfen. Aber 2011 strahlte das Filmfestival als ein ganz eigener Integrationserfolg besonders hell, schlicht weil es ein ganz anderes Verständnis von Integration an den Tag brachte, eines, das in anderen, öffentlichen Debatten, den Diskursen der „Einwanderung“ und „Leitkultur“ wenn nicht zu kurz kommt, so doch stets ein bisschen zu unanschaulich bleibt.

Im Schmelztiegel Kino, der in Saarbrücken geboten wurde, macht es dahingehend nicht mal sonderlich Spaß (geschweige denn Sinn), groß drüber nachzusinnen, ob Deutsche etwas über Albaner erzählen „dürfen“ (also ihre Leidensgeschichte „klauen“ oder vereinnahmen), ob Erfolgseinwanderer in Schubladen gesteckt, auf immer gleiche Weise vorgezeigt oder sich an bestimmte, auf „ihre“ Sujets fesseln (lassen). Natürlich gibt es dahingehend gewissen Schwerpunkte und Muster, aber schon 180° und FLIEGENDE FISCHE MÜSSEN INS MEHR zeigen, dass bei aller möglichen Kritik sich keine Vereinnahmungen und Erzählpolitiken mehr pauschal und eindimensional finden lassen, ohne dass sie mühsam daherkonstruiert würden. Fremde erzählen vom Eigenen, Eigene vom Fremden, beide vom selben und jeder für sich Universelles, kunterbunt und durcheinander.

Das eröffnet den Blick auf ganz andere Fragen, die einer anderen Integration, einer beispielhaften, einer der positiven Auflösung. Denn: Was soll das sein, ein „deutscher“ Film, was zeichnet ihn aus, ästhetische, inhaltlich? Integration ist hierbei ebenso wie in der Diskussion um den „Nutzen“ von Einwanderern eine erzegoistische, ausbeuterische Sache, aber eine famose, eine, von der jeder etwas hat: Das deutsche oder (gar schweizer-) deutschsprachige Kino fordert nämlich kein An- und Einpassen von Filmkünstlern, seien sie Türken, Schotten, Polen oder sogar Österreicher. Es integriert selbst, mopst sich und gliedert ganz eigennützige die Eigenarten der Kreativen, ihr Können und ihre Energie, ihre besonderen Blicke und Erfahrungen, ihren Mut, ihre Stimme und ihr Interesse ein.



Ist halt Kunst, ist selbstverständlich, dieses Bereichern, zwangsläufig, nichts Besonderes? Mag sein. Ich sag jedenfalls: Gratulation nicht nur den Gewinnern des Max Ophüls Preis 2011 und vielen Dank – für einen deutschen Film, der nur so gut sein kann, weil es ihn bzw. sowas auch jenseits von Fatih Akin und Co. ganz selbstverständlich irgendwie und eigentlich gar nicht gibt und geben braucht.


(Zu Filmen des 32. MOP gibt es hier demnächst mehr)


Bernd Zywietz