Screenshot Region: PICCO mit Regisseur im Capitol


Am 8. Februar 2011 präsentiert Regisseur Philip Koch seinen Film PICCO (D 2010) im Capitol, Mainz. Beginn der Veranstaltung ist 20.00 Uhr.

Unserem Redakteur Bernd Zywietz hat der durchaus nicht handzahme Film letztes Jahr auf dem Max-Ophüls-Preis gefallen:

"Constantin von Jascheroff (FALSCHER BEKENNER) spielt darin Kevin, der in den Jugendknast kommt und dort zum „Picco“ seiner Zelle wird, dem Neuling, der die Schikanen der anderen erdulden muss. Es ist eine umbarmherzige Welt, die zwischen Opfer- und Täter-Sein keinen Mittelweg kennt – wer sich eine Blöße gibt, hat schon verloren. Auch hier zählt Machismo alles; wehe, man kommt in den Ruch des „Schwulseins“. Koch entfaltet ein Panoptikum zwischen Fernsehzimmer und Hofgang, stellt einzelne Charaktere vor; einzelne Episoden wie das Beratungsgespräch mit der Psychologin oder der Besuch von Angehörigen lässt jeden den der vier Zelleninsassen zu seinem Recht kommen. Ein anderer des Trakts wird Opfer, wird gar vergewaltigt, ein tragischer Fall. Doch auch nur: eine Episode. Doch alles läuft auf den wahren Horror erst hin: Auch in Kevins Zelle wird es schließlich ein Opfer geben, schrecklich gemartert, zuletzt gar ermordet. PICCO erzählt in seinem letzten Akt eine der Knaststories, wie sie es zum Ekel und Grusel in die Medien schafften – drei Jungs quälen einen dritten, auf engstem Raum schaukelt es sich hoch, hin zu einer Schaudergeschichte vom Unterleib der Gesellschaft.

Sicher, Vergewaltigung mit Klobürste, zynisches Forderungen, er solle sich jetzt, die Schlinge um den Hals, gefälligst selbst erhängen, all das geht an die Nieren, dieses Maximum an Grausamkeit,, auch für das Publikum. Dass einige Zuschauer den Saal verließen kann man ihnen nicht verdenken. Doch der Vorwurf, der gegen PICCO und den Regisseur und Drehbuchautoren Koch in Saarbrücken erhoben wurden, laufen ins Leere: PICCO tut weh, ja, und klar: man hätte vieles nicht (so) zeigen müssen – sicherlich hätte man mit einem abstrakten Tanztheater und dem Li-La-Launebär ebenfalls auf das Thema hinweisen können. Aber PICCO delektiert sich nicht blind an seinen Schrecken und allem Desolaten, die Koch nach eigenem Bekunden aus diversen Jugendgefängnissen zusammengesammelt hat, so einfach macht er es sich nicht. Die Kamera schaut immer wieder weg, und gerade dieses Wegschauen, das als solches ausgestellt wird (bisweilen auch als das der Figuren), ist ein besonders schmerzliches. Darüber hinaus lässt PICCO zwar manche Figuren grausamer sein als andere – in Kevins Zelle vor allem den Oberbrutalo Marc (eindringlich realistisch: Frederick Lau – auch ein künftiger Nachwuchspreis-Anwärter). Aber ebenso wenig wie PICCO entschuldigt, klagt er an: Weswegen die Jungen einsitzen, bleibt stets ebenso offen, wie sie alle ihr Fett abbekommen, auch Marc, der eine DVD von seiner Freundin bekommt, auf der sie ihm nicht sexuelle Erleichterung bringt, sondern ihm – Überraschung – sein Kind vorstellt.

Schließlich überrascht auch PICCO, sind Täter und Opfer nicht, wie man es dramaturgisch, von der Rollenanlage her, erwartet. Gerade das macht PICCO und seine hermetische Wolfswelt so unbequem, der blanke ungeschützte Blick auf Facetten und Mechanismen des Hochschaukelns und des Enthemmens, von Abgestumpftheit, Sadismus, Triebabfuhr – im schlimmsten Fall aber von Jugendlichen, die letztlich zu gemeinsten Tätern werden, nicht im Rausch, sondern verzweifelt, kalkuliert, um selbst nicht Opfer zu werden. Großen Schauspieleinsatz bedarf es dazu. Neben Lau und Jascheroff bietet den u.a. Martin Kiefer, der als Andy mit einer ganz eigenen, einer lauernden, ironischen Variante von Überlebenshemmunglosigkeit glänzt. Ob und wie PICCO da in (s)einer Sozialkritik am Justizwesen zu pessimistisch ist, spielt angesichts dieser parabelhaften Qualität kaum mehr eine Rolle. Der Preis des Ministerpräsidenten hat PICCO jedenfalls verdient."