Buchrezension: Zum 100. Geburtstag eine Biographie über Jean Harlow

Bettina Uhlich: Marilyns Idol. Das Leben der Leinwandgöttin Jean Harlow. Militzke Verlag, Leipzig 2011. 256 Seiten, 19,90 Euro.


James Deans kurze Karriere hat für den noch heute bestehenden Kultstatus genügt, bei Jean Harlow müssen nicht Filminteressierte schon mal ein bißchen überlegen. Doch auch ihre kurze Karriere (sie starb 1937 mit nur 26 Jahren an Nierenversagen) hat die Popkultur nachhaltig geprägt. So ließ sich beispielsweise Marilyn Monroe von Jean Harlow inspirieren – ohne Harlow hätte es „MM“ nicht gegeben. Gründe genug also, sich zu ihrem einhundertsten Geburtstag am dritten März dieses Jahres an diese einzigartige Frau zu erinnern.

Über Jean Harlow gibt es nun eine Biographie – und sie ist ebenfalls einzigartig. Nicht nur, weil es die erste original deutschsprachige Harlow-Biographie überhaupt ist. Sondern weil Autorin Bettina Uhlich eine Annäherung, nein: ein Eintauchen gelingt, das man als Quadratur des Kreises bezeichnen darf. Das Buch glänzt nämlich einerseits mit penibel recherchierter Faktentreue (und einer Akkuratesse in Fußnoten und Literaturverzeichnis, an der sich zu Guttenberg einmal ein Beispiel nehmen könnte). Andererseits spürt man in jeder Zeile Emphase, Frische, oft auch Humor, aber immer die Fähigkeit, sich in die Harlow und ihr Umfeld hineinzuversetzen. Uhlich ist keine Berichterstatterin, Uhlich ist eine Erzählerin. Beispielsweise gelingen ihr Schilderungen um den dramatischen (mutmaßlichen) Selbstmord von Harlows zweitem Ehemann Paul Bern, die mehr Prosa als Reportage sind. Der Leser liest nicht nur, sondern erlebt mit, zumal Uhlich sich nicht im Stile einer Klatschkolumnistin zu weit aus dem Fenster lehnt. Aber mit mutmaßlich sehr großer Menschenkenntnis und auf der Basis ihres umfassenden Wissens erläutert Uhlich so gut wie möglich, wie Harlow und die Menschen in ihrem Umfeld gewesen sein könnten. Das ist immer bestechend – und wenn Uhlich einmal mit einem Fragezeichen enden muss, ist das tiefer Respekt statt falscher Bescheidenheit.

Harlow, der „sexy clown“: Wenn Otto Waalkes Marilyn Monroe verehrt, weil es sehr, sehr selten sei, dass jemand schön und komisch zugleich sein könne, muss man konstatieren: Harlow konnte das auch, Jahrzehnte früher schon. Harlow war immer daran gelegen, nicht einfach auf das platinblonde Gift reduziert zu werden. In der rotzfrechen Komödie „Red-Headed Woman“ (1932) schläft Harlows Charakter sich nach oben, aber man verzeiht ihr, weil die Männer es im Grunde nicht anders verdient haben. In „Red Dust“ („Dschungel im Sturm“, 1932) hat sie ein Verhältnis mit Clark Gable, möchte aber das Prostituiertengeld nicht annehmen – um sich später diesen Mann zurückzuerobern, nicht nur des Spaßes, sondern auch der Liebe wegen. Dass die wahre Liebe und der knisternde Spaß kein Widerspruch sein müssen, konnte kaum jemand so gut darstellen wie Jean Harlow. In dem heute noch einigermaßen bekannten Ensemblefilm „Dinner at Eight“ („Dinner um acht“, 1933) schubst sie zwar ihren feisten Gatten (Wallace Beery) herum, um in „bessere Kreise“ aufzusteigen. Aber von ihrem Geliebten wünscht sie sich wahre Aufmerksamkeit und Liebe, während der zu seinem Fauxpas nicht stehen mag. Harlow war in ihren besten Filmen immer der Vamp, der sich nach Liebes-Würdigkeit im Wortsinne sehnt.

Uhlich gelingt es, durch eine Mischung aus Hintergrundinformationen und Interpretationen diese Filme beim erneuten Sehen doppelt interessant zu machen; viele kleine Details könnten dem Zuschauer sonst entgehen. Vielleicht aber noch wichtiger: Ihr Buch ist schon eine Biographie im klassischen Sinne, d.h. der Schwerpunkt liegt auf Harlows Leben, von der Wiege bis – viel zu früh – zur Bahre (und ein bißchen darüber hinaus, wie ihr Monroe-Schlusskapitel zeigt). Hierbei arbeitet Uhlich heraus, dass es Harlow vielleicht nicht viel anders ging als einigen ihrer Filmcharaktere: Sie wollte nicht auf den sexy vamp reduziert werden. Beispielsweise band sie sich oft an ältere Männer, die nicht gerade dem Typ des Gigolos entsprachen und ihre Schlagfertigkeit, ihren Witz, ihre Klugheit, ihre patente Kumpelhaftigkeit schätzten. Die Öffentlichkeit und viele aus dem Umfeld stempelten sie jedoch eher als Nur-Sexbombe ab, weil sie nur diese eine Seite in den Filmen sahen, um sie fälschlich auf das Leben zu übertragen. Man sah, was man sehen wollte. Uhlich hingegen blickt tiefer – in die Filme und in die Harlow, so weit dies jedenfalls möglich ist. Ohne dabei der devote Fan zu werden, der Jean Harlow auf Biegen und Brechen gegen den Moloch Hollywood verteidigt. Nein, auch bei Harlows Schattenseiten (z.B. Ansätzen eines Helferkomplexes und einer überzogenen Mutterbindung) ist Uhlich Harlow ganz nah. Und nimmt uns mit tiefem Einfühlungsvermögen und frischem Schreibstil mit, statt uns nur etwas zu zeigen. Man ahnt, dass es eine aufreibende Sisyphusarbeit war, das Buch zu schreiben – und wie schön, dass sich das nicht, aber auch gar nicht, auf das Lesen überträgt!

„Das Leben der Leinwandgöttin Jean Harlow“ – entgegen den vom Verlag angegebenen 240 Seiten - 241 Seiten (und mit Anhang 256), die nicht zu eng layoutet sind, aber Abstand von einem bedauerlichen Trend der Buchverlage nehmen, die Seitenzahlen künstlich aufzublähen, um einen höheren Preis zu rechtfertigen. Es enthält schöne Schwarzweißfotos, die stets im textlichen Zusammenhang abgedruckt sind. Hierbei handelt es sich teils um historisches Material, teils um Uhlichs eigene Fotografien, entstanden, als sie in Hollywood auf Harlows Spuren gewandelt war. Im Anhang finden sich das internationale Literaturverzeichnis und die Fußnotennachweise – hier zeigt sich besonders eindrücklich, dass das Buch alles andere als ein Schnellschuss war.

Ein Radio-Interview mit Bettina Uhlich über ihr Buch bzw. über Jean Harlow (16.3., Radio Eins, 16.20 Uhr) findet sich als Podcast HIER.

Tonio Gas


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