Grindhouse-Nachlese Dezember 2011 – Freudstein und Hundegott

Samstag, 17. Dezember 2011, Cinema Quadrat Mannheim:

„The House by the Cemetary“ / “Quella villa accanto al cimitero”/ „Das Haus an der Friedhofsmauer“, Italien 1981, Regie: Lucio Fulci.

“The Curse of the Dog God” / “Inugami no tatari”, Japan 1977, Regie: Shunya Ito.

Recht vorhersehbar ist Lucio Fulcis „The House By the Cemetary“ – nur, dass es nicht um Zombies geht, ist überraschend, vor allem wegen des in dieser Hinsicht etwas irreführenden Titels. Ein haunted house in good ole New England steht im Mittelpunkt, drumrum im Garten Kreuze und Grabsteine, auch im Wohnzimmer eine Grabplatte; ein unheimlicher Babysitter, ein geheimnisvolles Geistermädchen, der Angriff einer blutrünstigen Fledermaus, unheilschwangeren Geräusche aus dem Keller und diverse Splatterszenen sind die Zutaten. Die Familie im unheimlichen Haus, ein holder Knabe mit blondem Haar ahnt Böses, der Papa, Historiker, erforscht den Selbstmord eines Kollegen, die Mutter nimmt Tabletten gegen Halluzinationen – das alles ist uninspiriert zusammengerührt, und lächerlich wirken die ständigen wiederholten Aktionen: Jemand kommt heim und ruft nach den anderen, die aber nicht da sind; und wenn einer dann allein ist, dann geht er in den dunklen, dunklen Keller. Dort lauern die Splattereffekte.

Ann, das Kindermädchen, hat ein ähnliches Antlitz wie eine Schaufensterpuppe, die wir zuvor gesehen habe: Ihr Kopf fiel ab, Blut quillt hervor, die Maskenbildner taten alles, um das Halsinnere echt aussehen zu lassen. Zeuge davon: Ein Mädchen, offenbar ein Geist mit telepathischen Fähigkeiten. Doch das alles – inklusive dem Babysitter – sind Nebenkriegsschauplätze, die gar nichts mit irgendwas anderem zu tun haben, deren Wirkung des Unheimlich-Seltsamen deshalb verpufft, ja: sich nie entfalten kann. Das Beste an dem Film: Der Unhold ist ein untoter Geist, ein Mad Scientist des 19. Jahrhunderts, mit dem feinen Namen Dr. Freudstein.

Völlig unvorhersehbar dagegen der zweite Film des Abends; der aber wiederum verblüffend vorausschauend ist. Wäre „The Curse of the Dog God“ bekannter, wäre die Welt nicht so erstaunt über die Katastrophe von Fukushima gewesen. Alles ist hier schon vorgezeichnet, in prophetischer Klarheit!

Das japanische Kino ist voll von Metaphern wider das Atomzeitalter. Godzilla ist die metaphorische Verkörperung von Little Boy und Fat Man; zwei Banden, die von einem herrenlosen Samurai gegeneinander ausgespielt werden, symbolisieren Hiroshima und Nagasaki; und verschiedene Versionen über ein Verbrechen im Lustwäldchen bedeuten zehntausende verlorene Geschichten von atomisierten Toten. Aber diese Interpretationen sind natürlich höchste Kunst der Hermeneutik, die nicht jeder verstehen muss.

Ganz eindeutig dagegen „The Curse of the Dog God“, der sowohl metaphorisch als auch ganz konkret vor dem Atom warnt. Es geht um die Suche nach Uran im rohstoffarmen Japan, drei junge, enthusiastische, übermütige Männer sind im Jeep unterwegs und geraten außer sich vor Freude, als der Geigerzähler über 30.000 geht. Dabei überfahren sie einen Schrein für den Hundegott und gleich darauf auch noch einen echten Hund. Zack, fährt der Fluch in sie, und 10 Filmminuten später sind zwei von ihnen tot. Der Dämon ist entfesselt, die Geister, die sie fanden, werden sie nicht mehr los, die Gefahr des Atoms wütet in Form eines bösen Gottes. Wenn der Bergbaukonzern dann das Uran abbaut, wird es konkret: ein wildgewordener Bohrer rast unten im Bergwerk wild herum und verfolgt und durchlöchert zwei Arbeiter. Und selbstverständlich kann es nicht gut gehen, wenn Uran aus dem Berg mit Schwefelsäure herausgewaschen werden soll. Tepco-like versuchen die Uranarbeiter die Verseuchung des Grundwassers zu vertuschen; und Kano, der einzige integre Uraningenieur – der einzige der Uransuchenden vom Anfang, der überlebt hat –, kann natürlich nichts ausrichten, weil da draußen immer noch der Hundegott wütet.

Was man immer in den Nachrichten hört: Es gebe in Japan keine Antiatomgesinnung; die Katastrophe von Fukushima sei völlig überraschend gewesen – „The Curse of the Dog God“ führte bereits vor fast 35 Jahren die Gefahren haarklein vor. Und ist dabei unheimlich unterhaltsam, weil er alles tut, was man von einem Grindhousefilm verlangen kann: Schon vor dem Sündenfall mit dem Hundegottschrein sehen wir zwei nackte junge Damen sich im Wildwasser tummeln, Kano und seine Kumpels beobachten sie heimlich, und – als wärs ein Almenjodlerbumsifilm: Kano fällt vom Baum ins Wasser, hahaha! Später schlägt der Fluch zu, Kanos Freunde sterben auf unheimliche Weise – der eine wird von Hunden aufgefressen, Tierhorror! -, und Kanos Frau nimmt den Fluch auf sich, um Kano zu schützen. Sie wird wahnsinnig, ist auch noch schwanger, Rosemarys Baby und der Exorzist treffen sich zum Kaffeekränzchen, allerdings auf japanisch: Ein Priester fuchtelt furchtbar herum, ein Medium wedelt mit Papierstreifen aus dem Aktenvernichter, wilde Bewegungen und groteske Fratzen lassen den Dämon im Leib der Lady hervortreten; sie stirbt dann im Schnee. Und der Film wird zum Hinterwäldlerhorror, ein alter Bauer will sein Land nicht an die Urancompany verkaufen – er hat Angst vor der Atombombe –, es kommt zu diversen Ausschreitungen, an denen der Hundegott kaum Schuld hat, eine Art Fronleichnamsprozession wird zum Lynchmob, Religionspsychoaction meets Hexenjagd meets Ökothriller, und im übrigen vergewaltigt eine Rockerbande beinahe die Tochter des renitenten Bauern, Bikerfilm kommt also auch noch hinzu.

Man kann, wenn man inmitten des Wahnsinns dieses Filmes steckt, niemals vorhersagen, was als nächstes passieren wird; Grusel, Horror, Splatter wechseln sich mit Momenten der Komik ab, um dann eine neue, absurde Handlungsschleife zu nehmen. Dass alles vor atemberaubender Landschaft geschieht (gedreht wurde in einem Nationalpark), macht die Bilder groß und schön – dass alles auf komplizierten Familienverhältnissen beruht, macht das Kuddelmuddel schön groß. Kano hat nämlich die Tochter dessen geheiratet, dem der Uranberg gehört, geschäftlich ist also alles in Butter; deren Freundin aber hat einen Bruder, und dessen Hund hat Kano getötet, was überhaupt erst alles ins Rollen brachte. Vater von diesen Geschwistern ist wiederum der renitente Bauer, und – jetzt wird’s kompliziert – nach dem Tod seiner Frau bändelt Kano wiederum mit dessen Tochter an, was den vormaligen Schwiegervater grämt… Reicher Bauer gegen armen Bauer, mein Land und dein Land: typische Heimatfilmzwistigkeiten mischen auch noch mit rein und werden durch diverse wechselseitige Hundegottbeschwörungen und –besessenheiten nicht vermindert. Dass auf der Seite des armen Bauern eine Zwölfjährige sich ganz vom Hundegott in Besitz nehmen lässt und fantastisch-übernatürliche Sprünge durch die Luft vollführt, als sie Kano endgültig den Garaus machen will; oder dass der reiche Uranbergbesitzer in der Scheune einen gewalttätig-wahnsinnigen Sohn versteckt hält: das sind die letzten Aufbäumungen dieses wirren, wilden, hellsichtigen Filmes, der alles in sich vereint, was man sich wünschen könnte.

Ob Regisseur Shunya Ito das kleine oder gar das große Latinum hat – der Name Kano deutet darauf hin (oder habe ich bei meiner Googlesuche nach dem Film vielleicht den falschen Namen der Hauptfigur erwischt…?) – bleibt ungewiss, wie am Ende so manches im völlig Verworrenen bleibt. Wenn Kanos Leiche zum Schluss verbrannt wird und sein Körper sich in den Flammen nochmals erhebt: Dann würde man sich eigentlich nicht wundern, wenn noch eine Zombieepisode angehängt würde.

Harald Mühlbeyer