TV-Nachschau: KOMMISSARIN LUCAS: AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN



Eine Frau um die 60 putzt sich heraus: roter Lippenstift, rauchiger Lidstrich, schwarze Netzstrümpfe, hohe Absätze. Im Bus sitzt sie neben einer Freundin. „Du siehst schön aus“, sagt sie zu ihr, und die beiden lachen kurz. Eine dunkle Limousine gibt Lichtzeichen, sie lässt die Freundin gehen – wir hören noch, wie die protestiert, aber das Auto braust gleich davon. Auf der Donaubrücke wartet ein junger Kerl auf sie. „Hallo, Maria“, sagt er und kaut auf einem Zahnstocher herum. Ganz in der Nähe vertreibt eine andere ältere Dame eine Bordsteinschwalbe. Sie sieht Maria und den jungen Mann von eben ins Haus gehen, im Dachzimmer geht das Licht an und er schließt die Vorhänge. Am Morgen wird die Frau tot an der Donau gefunden, kein Handy, keine Papiere, aber dafür Kondome in allen Farben in ihrer Handtasche – was die Vermutung über sie bestätigt, die bereits seit dem Anfang in der Luft hing.

Kommissarin Ellen Lucas (Urike Kriener) muss ihren jungen Kollegen Leander (Florian Stetter) erst einmal aufklären über Verhütung und Frauen um die 60. Prostituierte in diesem Alter sind neu für die Polizisten. Innerhalb von kurzer Zeit bekommen alle Figuren aus dem Prolog einen Namen und eine Verbindung: Der junge Mann ist Philip Schumann (Vladimir Burlakov) und hatte eine Beziehung mit der ermordeten Maria Bolte (Renate Krößner). Die Kommissarin folgt ihm zum halbseidenen Nachtclubbesitzer Liebl (Hans-Jochen Wagner als arroganter Unsympath), der auf „die Schlampen vom Omastrich“ nicht gut zu sprechen ist. Marias Freundin Agneta Wilhelm (Traute Hoess), die letzte Nacht versehentlich in Liebls Auto gestiegen ist, kann das mit blauen Flecken bezeugen. Philips Mutter Nadja (Hannelore Elsner) betreibt eine Kneipe und war früher selbst Prostituierte. Ferdinand Bolte (Elmar Wepper) schließlich ist Marias Ehemann, der seine Frau als vermisst meldet. In diesem kleinen Panoptikum an Figuren rund um die käuflichen Damen im Herbst ihres Lebens sind alle reichlich maulfaul. Als Zuschauer wissen wir bereits viel mehr, das macht sie natürlich alle verdächtig. Später wird auch Liebl erstochen vor seinem Club liegen, was den Kreis der Suspekten nicht gerade schmälert.

Die Kommissarin ist bald frustriert von den Befragungen und Verhören. Aber sie wäre nicht Ellen Lucas, wenn sie nicht angetrieben wäre, die Wahrheit aufzudecken. So scheint sie aufzublühen, wenn es etwas Konkretes zu tun gibt, denn dann kommt auch der (bewusst) ruhig erzählte Fall stärker auf Touren. „Sie kombiniert und kombiniert“, grantelt ihr Vermieter Max (Tilo Prückner), den sie natürlich auch zu seiner Bekanntschaft mit Agneta befragt. Die Kommissarin bemüht sich sehr, zu verstehen, warum Frauen in ihrem Alter ihren Körper verkaufen. Geld sei immer ein Grund, gibt Nadja lapidar an. Agneta, die Ellen Lucas im Morgengrauen an der Donau trifft, sagt, es fühle sich immerhin gut an, begehrt zu werden.

Im Zentrum von AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN stehen starke Frauen. Resigniert sitzen die Männer zuhause, während ihre Frauen sich nachts schick machen und aus dem Potential schlagen, was sie noch anzubieten haben. Die Männer wussten nichts oder wollten nichts wissen. Ferdinand Bolte gibt zerknirscht zu, dass seine Frau nun eben eine „Geschäftsfrau“ war, aber Überzeugung spricht nicht aus seinem Gesicht. Er wird gleich doppelt entmachtet: Nicht nur ist seine Frau nun zum Verdiener geworden, er muss auch dulden, dass ihr Körper ihm nicht mehr allein gehört. Der junge Philip flüchtet sich in die Beziehung mit Maria, die locker seine Mutter sein könnte, das Schwein Liebl kann er ihr jedoch nicht vom Leib halten. Die Wilhelms hatten früher eine eigene Metzgerei – jetzt nur noch einen Haufen Schulden und Hartz IV, denn beide sind in ihrem Alter auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Als die Ermittler aus dem Haus sind, baut sich Agneta vor ihrem Mann auf, reißt sich die Bluse herunter und entblößt die Reizwäsche und Strapse, die sie darunter trägt. „Schau’s dir an, so verdien ich unser Geld. Warum fragst denn nie?“, beschwört sie ihn, während er hilflos davonschleicht. In dem System der Entwertung ist das kein Vorwurf, sondern lediglich der Wunsch nach Anerkennung. Sie will wieder von ihrem Mann „gesehen“ werden, so wie die Männer auf der Straße sie ansehen. Was sie tut, das tut sie für beide. Diese Ehrlichkeit schmerzt, aber zumindest für die Wilhelms gibt es am Ende etwas Hoffnung auf Glück.

Ebenso sachlich wie seine Kommissarin geht auch das Drehbuch von Friedrich Ani mit dem Thema Altersprostitution um. Auf dem sozialen Abstellgleis nimmt man auch für 20 Euro eine unangenehme Nummer in Kauf, so die diegetische Logik. Und das zur besten Sendezeit im ZDF, ohne der Versuchung zu erliegen, die Figuren allzu sozialdramatisch zu karikieren. Das ist auch der Verdienst des nüchternen Stils, in den Regisseurin Maris Pfeiffer den Fall kleidet. Man kann diese Figuren zwar vielleicht nicht immer verstehen, aber man kann sie alle ernst nehmen.
Während der Nebenstrang mit den Wilhelms zeigt, wie trotz grimmiger Krimi-Sozialrealität ein emotional warmer Kontrapunkt gesetzt werden kann, bleibt der Rest des Krimis schnörkellos. Mit Maria muss diejenige sterben, die ihren zweiten Frühling genießt und ausbrechen will. Liebl war ohnehin ein Schwein. Konsequent ist es ein Fall, der sich auf die Kommissarin fokussiert, während das (Männer-)Ermittlungsteam in den Hintergrund rückt. Sie will diese Sache, die ihr so fremd ist, durchdringen. Nadja und sie sitzen sich gegenüber wie Pokerspieler, die abschätzen, welche Hand das Gegenüber haben mag – die Kommissarin ist ebenfalls eine starke und abgeklärte Frau. Natürlich löst Ellen Lucas am Ende beide Morde (mit der Doppel-Verhör-Methode à la Exley in L.A. CONFIDENTIAL) – die entscheidende Spur ergibt sich, das war absehbar, aus der problematisierten Mutter-Sohn-Beziehung. AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN ist, wie in der LUCAS-Reihe üblich, ein stark besetzter Krimi, der ein gesellschaftliches Thema zum spannenden Milieu macht. Die leider sehr konventionelle Auflösung nutzt die darin liegenden Möglichkeiten nicht und bleibt der einzige wirkliche Kritikpunkt, den man hier feststellen kann.

Mathias Grabmaier


KOMMISSARIN LUCAS: AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN (ZDF, 23.04.2011)
Regie: Maris Pfeiffer
Buch: Friedrich Ani
Kamera: Andreas Doub
mit: Ulrike Kriener, Hannelore Elsner, Elmar Wepper, Renate Krößner, Vladimir Burlakov, Traute Hoess, Günter Junghans, Michael Roll, Florian Stetter, Inez Björg David, Alexander Lutz, Tilo Prückner, Hans-Jochen Wagner, Roland von Kummant u.a.
Prod: Olga Film