Die Seele der Aronofsky-Filme - Darren Aronofsky-Seminar Mannheim

Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie. 10. Mannheimer Filmseminar, 2. bis 4. März 2012, Cinema Quadrat


Es geht bei Darren Aronofsky um ein schwankendes Gleichgewicht zwischen Geist und Körper, wie auf einer Wippe. Ist der Geist stark, schwächt sich der Körper, geht es ums Körperliche, lässt der Geist nach.

In „Pi“ verfängt sich der Protagonist Max Cohen in ein Netz aus Denken und Rechnen, aus Furcht und Paronoia – er ist der reine Geist, dessen Körper ihn mit Kopfschmerz straft, bis er sich – seinen Verstand, sein Denken, wahrscheinlich seine Identität – per Bohrmaschinen-Selbstlobotomie ruhigstellt. In „Requiem for a Dream“ steht der körperliche Verfall durch Sucht und Drogen den hehren Idealen einer großen Liebe und einer perfekten Selbstverwirklichung – all in the mind – entgegen. In „The Fountain“ geht es um das Sterben, um die Wiedergutmachung des Todes, auf einem Trip durch drei Zeitebenen und mehrere Jahrhunderte, die vielleicht nur im Traum, in Literatur oder gar in Wahn stattfinden. „The Wrestler“ ist nur Körper, so wie auch Nina in „Black Swan“ die perfekte Körperlichkeit zu erreichen will – inklusive Zerfall der Psyche.

Dass Aronofsky für das zehnte Mannheimer Filmseminar gewählt wurde, in dem Filmwissenschaftler mit Psychoanalytikern in fruchtbaren Dialog treten, ist bei dieser Gemengelage aus Wahn, Traum und dem Unvermögen einer Harmonie von Geist und Fleisch nur folgerichtig. Dass das 84-Platz-Cinema Quadrat vollständig ausverkauft war, ist Bestätigung der richtigen Wahl zu diesem Seminar, in der das Filmhistorische – das in vorherigen Seminaren etwa über Pasolini, Antonioni oder Bergman zwangsläufig mit hineinspielt – außen vor blieb, das dafür zugleich eine vollständige Werkschau des Regisseurs mit seinen bisher fünf Spielfilmen bot. Immerhin ist von Aronofsky noch vieles und wahrscheinlich Großes zu erwarten.

Peter Schraivogel, Psychoanalytiker aus Tübingen, unterzog Aronofskys Debütfilm „Pi“ einer eingehenden psychoanalytischen Deutung. Streng dem Filmtext entlang stieg er ein in die Psyche der Figuren, in die Psyche des Films: „Die Reise ins Innere als Verzeicht auf die absolute Wahrheit“ war sein Vortrag betitelt, er fing mit Faust an – der danach strebt zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält – und führte bis hin zum kabbalistischen Schöpfungsmythos, mit einem Protomenschen, dessen Lichtausstrahlung in Gefäße gefüllt wird, die daran zerbrechen – inklusive einem Hinweis auf eine Anselm-Kiefer-Collage, die dieses Zerbrechen der Gefäße thematisiert.

Für den psychologischen Laien manchmal etwas verstiegen, was die psychoanalytischen Begrifflichkeiten und Denkmodelle angeht, ging Schraivogel doch den Weg, den auch eine Filmanalyse gehen würde – Beweis dafür, wie universell kompatibel psychologisch-psychoanalytische Deutungsmodelle sind, und wie fruchtbar sie auf die Gebiete des Lebens und der Kunst angewandt werden können. Ob nun die Sonne, von der der „Pi“-Protagonist im Kindesalter geblendet wurde, nach der einen psychoanalytischen Schule das väterliche, mithin göttliche Prinzip bedeutet und die anschließende Blendung die Kastrationsstrafe, oder ob die Sonne nicht vielleicht eher das mütterliche Prinzip des vollkommenen Körpers symbolisiert, die Strafe also auf den Übertritt über das Inzestverbot erfolgt – unbestritten ist die metaphorische Auffassung als Licht der Erkenntnis, dem Max Cohen zustrebt, hin zu einer Wahrheit, die allein Gott – oder welchem Übergeordneten immer – vorbehalten bleiben sollte. Und dass es sich bei den verschiedenen Figuren des Films (auch) nur um „innere Objekte“ von Cohen handeln könnte, dass also die objektive Wahrheit um die kabbalistische Sekte oder um die Wall-Street-Händler, die Cohen verfolgen um der großen mathematischen Formel der absoluten Erkenntnis willen, dass die Vermieterin eine Mutter-, der mathematische Mentor eine Vaterfigur sind, ist einleuchtend für jeden, der sich näher mit dem Film beschäftigt. Hier psychoanalytische Interpretationsmethoden zu unterlegen ist mehr als schlüssig.

In diese Richtung ging auch Marcus Stigleggers einführendes Referat über eine Motivgeschichte innerer Bilder in Aronofskys Œuvre. In seiner eingehenden Betrachtung untersuchte Stiglegger insbesondere die ästhetischen Leitlinien der Filme: Die Zusammenarbeit mit Clint Mansell etwa und das Zusammenspiel von Ton, Musik und Bild, die oft auf jeweils eigener Ebene eine eigene Dimension hinzufügen; die Kameraarbeit, die Mise en scene, die Irritationsmomente, in denen sich die Elemente des Bildes zu verselbständigen scheinen; die HipHop-Montage, die die Bilder rhythmisierend und dynamisierend zu sich steigernden Sequenzen antreibt.

Daraus entwickelt Stiglegger seine thematischen Leitmotive in Aronofskys Werk: die unbedingte Suche nach dem Glück – von der Weltformel und dem Baum des Lebens bis zu Liebe, Erfolg und Tanzkarriere –, das Streben nach Perfektion, die Liebe angesichts des nahen Todes als Reminiszenz an die Schwarze Romantik und die schizophrene Perspektive – im Bewusstsein der Schwierigkeit, vor einer Ansammlung von Psychoanalytikern von Schizophrenie zu sprechen. Dieser Aspekt – Film an sich als paranoides System, bei dem Einzelelemente für eine sinnstiftende Deutung zwingend aufeinander bezogen werden müssen – ist grundlegende, reflektierte Strategie bei Aronofsky, der in seinen filmischen Erzählungen wenige verlässliche Verweise auf objektive Realität zulässt, bei dem die subjektive Perspektive an der Zerstörung der Wahrnehmung – der Figuren bezüglich ihrer Welt wie auch der Zuschauer bezüglich des Filmes – arbeitet.

Am Ende – bei der Diskussion mit dem Publikum – brachte Stiglegger es auf den Punkt: Ein Aronofsky-Werk übt Gewalt am Zuschauer aus, ist autoritär, eine Diktatur von der Leinwand herunter; es ist ein Film, der uns in die Fresse haut, kurz: es ist große Kunst.

Harald Mühlbeyer