Filmfest München: Robert Gwisdek in "3 Zimmer / Küche / Bad" und "Kohlhaas"

Ein Film mit Robert Gwisdek ist immer eine Wohltat. Und wenn dann noch Dietrich Brüggemann Regie führt...

"3 Zimmer/Küche/Bad" ist eine Ensemblekomödie, es geht um Umzüge aller Art, um Beziehungsgeflechte und um Generationendefinitionen, -bekenntnisse und -widerrufe. Anna Brüggemann, auch Co-Autorin, ist mit von der Partie, Alice Dwyer, Alexander Khuon, Katharina Spiering, als eine Art Hauptrolle - primus inter pares - Jacob Matschenz - und Gwisdek. Ein prominentes Ensemble an den besten und talentiertesten Schauspielern, mit einigen hat Brüggemann schon in "Renn, wenn du kannst" gearbeitet, dazu kommen hier eine Menge Gastauftritte, im Abspann lese ich u.a. Sven Taddicken, Christian Schwochow, Andreas Dresen habe ich auch so erkannt: Brüggemann hat es wohl geschafft, er ist in der Branche angekommen, mit seinem erst dritten Langfilm - und er hat nichts verloren, nein, er wird immer besser.

Die Leichtigkeit seiner Dialoge, die Lässigkeit, wie er die Handlungsstränge führt, wie er aus Witz Emotion und umgekehrt schafft, wie er locker mit dem Zufall umspringt, der immer wieder der Handlung einen Stups gibt, und der zugleich ironisch reflektiert wird; wie er große Sätze ganz nebenbei fallen lässt, und wie manches, was sich groß und wichtig anhört, eigentlich doch nur eine Meinung, und nicht einmal die Wahrheit, sein könnte.Ein solcher Filmemacher hat Deutschland gefehlt, und es ist ihm jede Anerkennung eines möglichst großen Publikums zu wünschen.

Robert Gwisdek ist hier wohl kongenialer Partner. Mit welcher Beiläufigkeit er seine Coolness ausspielt, wie er einen sarkastischen Oneliner nach dem anderen hinlegt, wie er sich bewegt in der filmischen Welt, als wäre er nie außerhalb gewesen... Schon am Anfang, in seiner ersten Szene, lässt er wie versehentlich, im Vorbeigehen, eine Pfanne von einer überfüllten WG-Spüle rutschen, und fängt sie im Reflex - im eintrainierten, inszenierten wohlgemerkt, gleichwohl spontanen und automatischen - mit dem Fuß wieder auf. Und mit Matschenz hält er beim Fahrradfahren durch Berlin die Tradition des philosophischen Dialogs hoch. Mit Matschenz hat er auch in "Renn, wenn du kannst" seine Dialoggefechte ausgetragen, der war sein Zivi , er saß im Rollstuhl (als hätte er nie was anderes gemacht) und ließ seine Zynismen ab. Großartig: nicht nur die Sätze, die er sagt, auch wie er sie sagt; und wie er sich bewegt; und wie er sich nicht bewegt. Weil stets hinter dem Coolen die Tragik des Einsamen steckt, dessen, der keinen an sich heranlassen kann. "Nie zeigst du Emotion", wird ihm in "3 Zimmer / Küche / Bad" vorgeworfen, und er: "Warum auch, die zeigst du doch schon."

Und nochmal Gwisdek: In "Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel" von Aron Lehmann spielt er den Regisseur Lehmann, der ein großes historisches Epos drehen will, eine Adaption von Heinrich von Kleists "Michael Kohlhaas"-Novelle - allein es fehlen die Mittel. Nach einem großartigen ersten Drehtag verabschieden sich Produktion und Fördermittel, und das Filmteam ist auf sich selbst zurückgeworfen irgendwo in einem Kaff im schwäbischen Allgäu. Kein Geld. Keine Waffen. Keine Pferde. Keine Rüstungen. Nur die Vision von Lehmann; und heimlich dessen Träume von einer schönen weißen Frau, seiner Muse, die ihn vorwärtsführt durch den steinigen Pfad des vollkommenen Mangels.

Lehmann improvisiert. Kühe und ein Ochse müssen für Pferde herhalten, die Waffen sind imaginär, die muss der Zuschauer sich mitdenken. Der Bürgermeister des Ortes immerhin fühlt sich geehrt und unterstützt, wo er kann - der Tanzsaal des Gasthofs wird Gemeinschaftsunterkunft, die freiwillige Feuerwehr sorgt für den Regen am Set, und das ganze Dorf spielt mit - sind eh alle im Laien-Bauertheater engagiert. Vollkommener Dilettantismus ist die Folge, Unprofessionalität, wohin man schaut, Unzufriedenheit und Streit - und die Vision von Lehmann, die er verbissen verfolgt, gegen alle Widerstände.

Gedreht wie von der Making-of-Kamera des Films im Film erreicht Aron Lehmann eine direkte Unmittelbarkeit, wenn's um seinen Lehmann geht: weil er mit den Perspektiven spielt, den Blick von außen auf das Geschehen richtet und zugleich Lehmanns inneren Trieb, seinen radikalen Willen zeigt; einmal fängt die Making of-Kamera die Muse ein, die nur er sehen kann. Und wenn mit nicht vorhandenen Schwertern gekämpft wird, wenn Türen ins Schloss fallen und auf Kühen geritten wird, dann hören wir die "echten" Geräusche, und wir hören die gewaltige Musik, die zu einem Historienfilm dazugehört.

Gwisdek spielt den Getriebenen, Treibenden schön charismatisch, er kann mitreißen, er ist vom Wahnsinn der Kunst befallen, er pflanzt seine Imgination in die Köpfe der anderen, die ihm folgen - ähnlich Kohlhaas, der ein Unrecht erlitten hat und nur Gerechtigkeit will. Der per Rechtsweg scheitert und den Privatkrieg erklärt, der schließlich Leipzig niederbrennt mit seinen Horden: Eine innere Verletzung führt zu Willen, zu Obsession, zu Wahnsinn.

Der Film ist eine Komödie. Er spielt mit dem Unzulänglichen, pointiert die Situationen, nicht unähnlich den Rittern der Kokosnuss (wo die Pythons ja ähnliche Katastrophen kurz vor Drehschluss hinnehmen mussten und das Beste draus machten): Der Schauspielcoach trainiert die Dorfbevölkerung auf der Straße mit seinen Schauspielschulübungen, der Hauptdarsteller muss zu seiner Kuh Pferd sagen, die Schlachten sind ein kindliches "Du wärst jetzt tot"-Spiel. Und die Streitereien und Spannungen im Filmteam führen immer wieder zu neuen comic reliefs.

Und genau das, dass der Film auf forcierten Witz setzt, wo alles in seiner Tragik schon komisch genug wäre, ist Aron Lehmann vorzuwerfen. Er hätte sich etwas runterfahren müssen, denn so klar die Parallelen zwischen seinem Lehmann und Kohlhaas sind, in einem entscheidenden Punkt stimmts nicht. Kohlhaas kann nichts dafür, er hat zunächst alles richtig gemacht. Lehmann aber, der Regisseur im Film, adaptiert seine Vision nicht an die Wirklichkeit, hängt an oberflächlichen Kleinigkeiten und verliert das Eigentliche aus dem Auge (auch wenn Aron Lehmann mit seinem Film über diesen Lehmann anderes behauptet). Es fehlt ihm an souveräner Flexibilität, um seine Aussage auch unter geänderten - verarmten - Verhältnissen zu treffen.

Während Gwisdek alles richtig macht, macht's seine Figur des Lehmann einfach falsch, im Gegensatz zum zunächst unschuldigen Kohlhaas: Wenn keine Kostüme da sind, darf man auch nicht mit halben Kostümen arbeiten; wenn keine Pferde da sind, können sie nicht durch Kuh oder Schaf gedoubelt werden. Dann muss man aus der Not eine Tugend machen - das versäumt der Lehmann im Film, und Lehmann außerhalb des Films, der das alles inszeniert hat, opfert seine Hauptfigur dem Willen, noch mehr, noch klarere Unpässlichkeiten darzustellen. Lehmanns Vision (egal welcher Lehmann) war offenbar nicht stark genug, um den Kohlhaas wirklich als relevantes Stück hinzukriegen. Im Gegensatz zu Ben von Grafenstein mit seinem schnell und billig (wenn auch nicht einfach) auf dem Oktoberfest gedrehten "Kasimir und Karoline" vom letzten Jahr.


Harald Mühlbeyer