BERLINALE 2013: Panahis PARDÉ / CLOSED CURTAIN


Sehn betroffen - den Vorgang zu ...

Eigentlich muss man Jafar Panahis PARDÉ gar nicht mehr loben, das wird schon überall getan. In der Zeit („ein beklemmendes Kammerspiel“, das „das Denken und Fühlen in Bilder verwandelt“), bei DRadio („ein mutiger Film“) und in der taz („ein trotziger Kommentar zu einer Situation, die sich mit gängigen filmischen Mitteln kaum beschreiben lässt“). Gibt es eigentlich noch mehr zu sagen? Und: Darf man eigentlich auch was anderes sagen? 

Keine Frage, filmisch, in Sprache, Gedankenreichtum und Ausdruck ist PARDÉ (international: CLOSED CURTAINS) meisterlich. Und trotzdem hat der Film ein Problem (oder bereitet es mir zumindest). Wobei das nicht ganz stimmt, es ist ein Bauchgrimmen, das vom Film ausgeht, das aber auch vom der Lücke zwischen Film und Zuschauer ausgeht. Eines, das besonders schlimm wird, wenn Ekkehard Knörer in der taz (vom 13. Feb., S. 23) das einzelne „Buh“ nach der Pressevorführung am Dienstagmorgen flapsig mit: „Da hätte sich der iranische Geheimdienst aber ein bisschen mehr Mühe geben können“ kommentiert. Nur bedingt weniger wurstig gesagt: Wer PARDÉ also nicht mag, muss zwangsläufig Agent eines Repressionssystems sein.


PARDÉ ist auch dank Panahi selbst wenig mehr als der Film zum Zensur-Skandal, der eine so schöne eingängige Geschichte bietet. Dort das unmenschliche, unterdrückerische, undemokratisch-tyrannische und praktischerweise so gesichtslose „System“ der Mullahs, hier der märtyrerhafte auteur, dem die Lebensbestimmung geraubt wurde, der in seiner Brillanz gehemmt, darob leidend, seine Kunst nicht ausüben darf. Und der dann doch, im kleinen, einmal mehr mit Witz und Pfiff obsiegt. David versus Goliath, und das in seinem Werken und Wirken erst seiende Genie noch obendrein. 

Nicht falsch verstehen: Dass der Iran diesen seinen Bürger ein 20-jähriges Berufs- und Reiseverbot auferlegte und ihn mit Haft bedroht, ist nicht nur eine ausgemachte Schweinerei, sondern auch idiotisch, denn wie uns nicht die theokratische, sondern das westliche kapitalistische Ordnung vormacht, neutralisiert man Kritik nicht, indem man sie verfolgt, verbietet und bestraft, sondern indem man sie einbindet, institutionalisiert, zur leicht verdaulichen Ware macht.  

Ein bisschen Mitleids-, Empörungs- und Protest-Gut ist PARDÉ nun leider insofern auch, als PARDÉ zwar nicht das Buch zum Film zum Event ist, aber immerhin der Film (und ein "Ereignis", so Verena Lueken in der FAZ) zum Zensurfall Panahi. Und damit leider viel zu wenig ein Kinokunstwerk aus und mit eigenem Recht. Eines, das schon von Geburt an ohne seine Politikum hinkt.

In einfachen wie famosen Einstellungen (gerade der ersten, der überlangen), die zugleich wenig mit denen von so manchen Berliner Möchtegern-Schülern zu tun haben, präsentiert PARDÉ einen älteren, sorgenvollen Schriftsteller (Kamboziya Partovi). Wir sehen ihn durchs Fenster, durchs Gitter, wie er mit einem Taxi ankommt, das Haus betritt, die Fenster verhängt – denn in seiner Reisetasche hat er einen putzigen, cleveren Hund hereingeschmuggelt (Boy, der wahre Star des Films!).

Hintergrund: der islamische Republik habe – so vermitteln uns (fiktionale) Fernsehnachrichten, die besagtes Haustier sich bequem im Sessel „anschaut“ – die „unreinen“ Kreaturen verboten, weshalb die gemeuchelt werden. Der Mann verbirgt seinen Hund wie einen Flüchtling, lässt ihn in einer selbstgebauten Sandbox sein Geschäft verrichten. Dann gelangt ein junges Pärchen auf der Flucht in die abgeschottete Villa; die vorgeblich selbstmordgefährdete Frau (Maryam Moghadam) bleibt zurück, und nun wird der Film leicht und vorsichtig immer merkwürdiger – bis Panahi als Panahi auftritt in diesem seinen Haus am Meer, die Vorhänge herunternimmt, dabei Plakate seiner Filme enthüllt. Der ältere Herr und die junge Frau sind allegorische Gestalten, die ein Geisterparalleleben führen, eine Arte Ideen-Konkurrenz ausfechten. Realität, Fantasie, Fiktion vermischen sich, überkreuzen sich, oder aber bleiben sattsam und lustvoll deutungsgierig. Ist die Frau an der Tür, die ihre Schwester sucht, nun ein Kurzschluss zwischen den Sphären oder die nachgezogenen Inspiration für die Erfindung der nächtlichen Besucherin?

Das ist leichthändig wie intelligent und vielschichtig, macht aber auch – insbesondere wenn Panahi als dröger Schauspieler seiner selbst sein Berufsverbot und Leben unter permanenter Beobachtung direkt, im Gespräch mit dem Hüter seines Feriendomizils, reflektiert (und reflektieren lässt) – die spannende, berührende und für sich meisterliche Geschichte der (knapp) ersten Hälfte von PARDÉ preisgibt (selbst, wenn er sie in etwas anders überführt).

Dass PARDÉ auf der Berlinale, wo 2011 Panahis Jury-Stuhl demonstrativ leer blieb, im Wettbewerb läuft, ist selbstverständlich wie auch von der künstlerischen Originalität im Einzelnen her berechtigt. Es ist aber etwas anderes, ob man – wie Lueken in der FAZ schreibt – „unter den Bedingungen, unter denen Panahi lebt und verbotenerweise arbeitet, keinen Film drehen [kann], der diese Bedingungen nicht enthält“, oder ob man sich selbst und diese Bedingungen so sehr zum Gegenstand macht wie Panahi, der schließlich gar sein kleines Team vor die Kamera vor der Kamera bringt.      

Kunst als Ausdruck der eigenen Erfahrung, des eigenen Leidens, eine Kritik der Situation, ein Aufschrei, Protest, Subversion, das ist mehr als nur legitim für den Film und das Kino. Welches Zeichen von Unbeugsamkeit und der heiligen Macht der Kreativität wäre es jedoch gewesen, hätte Panahi einfach unter den widrigen Bedingungen einen Film gemacht, der quasi ohne ihn, ohne den „Fall Panahi“ funktioniert hätte, der zwar auch auf ihn verwiese, zugleich aber allgemeiner und universeller sinnbildlich geworden wäre. Eine souveränere Geste, die die Sittenwächter des Staates stärker noch bloßgestellt hätte, zusammen mit ihrer Machtlosigkeit was die Einhegung des menschlichen Geistes und seiner Kreativität aller Verzweiflung und Widrigkeit zum Trotz betrifft.  

So aber hebt sich PARDÉ und seine Wucht leider doch eher simpel aufmerksamkeitsmerkantil als künstlerisch transponierend oder sonst wie ergiebig in dem Widerspruch selbst auf, dass Jafar Panahi seinen Triumph gerade als ein Filmemacher feiert, der weniger sein Verbot als das Verunmöglichen des Filmemachens thematisiert. Indem er einen gelungenen Film darüber macht. 

Ist nach THIS IS NOT A FILM und PARDÉ hier also ein Genre am Entstehen? Das des selbstbeobachtenden, selbstinszenierenden, des staatlicher verbotenen und durch subversive Digitaltechnik ermöglichten Märtyrer-Dissidenten-Films für die Wohlmeinenden in Freiheit? Ein neues mediales Exportprodukt für Diktaturen? 

Wem das zu zynisch ist, der soll warten, ob PARDÉ nicht den Goldenen Bären in Berlin bekommt und dann sehen, dass und wie wir uns mit Panahis Schicksal nicht längst prächtig arrangiert haben.


zyw